Der 21. November 2025 wird ein Gedenktag an Opfer der NS-Gräuel in Stuttgart. An diesem Tag wird der Künstler Gunter Demnig, Erfinder der Stolpersteine, 15 Erinnerungssteine in der Landeshauptstadt verlegen. Damit erhöht sich die Zahl der in Stuttgart verlegten Steine auf 1066.
Für die Nachkommen der Familie Sontheimer wird es ein ganz besonderer Tag werden. Mit insgesamt 5 Steinen (siehe unten) wird an den angesehenen Stuttgarter Bankier Felix Sali Sontheimer, seine Mutter Pauline sowie seine drei Söhne Fritz, Paul und Heinz erinnert. Zu der Verlegung haben neun Nachkommen der Familie ihr Kommen angekündigt. „Das ist der Ort an dem die Angehörigen ihrer Familie gedenken können“, würdigt Ute Hechtfischer, Koordinatorin der Stuttgarter Stolperstein Initiativen, die Verlegungen. „Das sind sehr emotionale Momente“, fügt sie hinzu.
Vielfach wurde in den Familien der Opfer, die im Krieg auseinandergerissen wurden, über das Schicksal der Angehörigen in Nazi-Deutschland geschwiegen. Das habe sich geändert. „Das Interesse der Nachkommen an der Familiengeschichte steigt stetig“, erläutert Hechtfischer. Immer mehr Verlegungen werden von Angehörigen initiiert. Für manche Nachkommen bedeuten die Verlegungen die „Rückkehr zu den Wurzeln“.
Anlässlich der Verlegungen nehmen die Angehörigen teils weite Anreisen in Kauf. Viele betreten zum ersten Mal das Täterland, also deutschen Boden. Die Familie Sutten/Sontheimer wird aus England und Kanada anreisen. Die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen würden es begrüßen, wenn die Stadt Stuttgart das Besuchsprogramm für ehemalige jüdische Mitbürger:innen wieder aufnehmen und auch auf deren Nachkommen ausdehnen würde.
Ein Stein für Alfons Lindenfeld
In der Widdumhofstraße 34 in Weilimdorf wird künftig an Alfons Lindenfeld erinnert. Am 21. November um 9 Uhr verlegt der Künstler Günter Demnig dort den Gedenkstein für den jungen Dentisten, der im Ausland Schutz vor den Nazis gesucht hat. Sein Erinnerungsstein wird neben denen seiner Eltern Paula geb. Stern und Sigmund Lindenfeld sowie seiner Tante Adele Stern liegen. Noch im Jahr 1937 praktiziert Lindenfeld gemeinsam mit seinem Vater im ersten Stock des Hauses. Aufgrund der zunehmenden Schwierigkeiten für Juden flieht er über Ungarn nach Jugoslawien. Sein letztes Lebenszeichen stammt aus dem Jahr 1940. Über seinen Leidensweg ist wenig bekannt. Vermutlich ist er in einem Lager umgekommen. Er wird am 8. Mai 1945 für tot erklärt.
Fünf Steine für Familie Sontheimer
In der Eduard-Pfeiffer-Straße 43 in Stuttgart-Nord werden um 9.35 Uhr die Steine für Felix Sali Sontheimer und seine Mutter Pauline verlegt. Felix Sontheimer, ein engagiertes Mitglied der jüdischen Gemeinde, ist als stellvertretender Direktor der Württembergischen Vereinsbank (später Deutsche Bank) in der Stuttgarter Gesellschaft hoch angesehen. Doch die Nazis zwingen die Familie bereits 1933 ihr Haus zu verkaufen. Später wohnt die Familie mit ihren drei Söhnen in der Azenbergstraße 57. Von dort aus gehen Fritz, Paul und Heinz ins Dillmann-Realgymnasium.
Doch die Kinder werden in die jüdische Schule gezwungen. Bald wird die Familie auseinandergerissen. Felix Sontheimer und seine Mutter werden ins Zwangswohnheim Dellmensingen gebracht, dann nach
Theresienstadt deportiert. Auf seiner letzten Postkarte, datiert „Nordbahnhof, 22. August 1942“, stehen die Worte „Leben Sie wohl“. Pauline stirbt im November 1942, ihr Sohn im März 1943.
Fritz, Paul und Heinz Sontheimer haben überlebt. Sie erreichen mit den Kindertransporten die Niederlande. Von dort reist Fritz weiter in die USA, die Zwillinge Paul und Heinz haben sich in Großbritannien ein neues Leben aufgebaut. In der Azenbergstraße 57 werden am 21. November um 10 Uhr drei Steine für Fritz, Paul und Heinz verlegt.
In der Arminstraße 39 in Stuttgart-Süd wird um 10.40 Uhr ein Erinnerungsstein für Richard Schwarz verlegt. Schwarz, Jahrgang 1912, hat das Bäckerhandwerk erlernt, ist jedoch immer wieder arbeitslos. 1934 wechselt er als angelernter Maschinenschlosser zu Bosch, verdient dort gut und hat eine Freundin. Als die Belastung durch die Akkordarbeit zu einer psychischen Krise führen, kommt er im August 1934 ins Stuttgarter Bürgerhospital. Der Arzt diagnostiziert eine „sichergestellte Erbkrankheit“. Er wird in die private Heilanstalt Christophsbad nach Göppingen verlegt. Von dort wird er im Juni 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Ravensburg-Weissenau verlegt. Einige Monate später wird er nach Schloss Grafeneck gebracht – und noch am gleichen Tag mit gerade einmal 28 Jahren umgebracht.
Ein Stein für Ella Ast
In der Dobelstraße 3 in Stuttgart-Mitte wird um 11.10 Uhr der Stein für Ella Ast verlegt. Ella Ast, Jahrgang 1872, wird als heitere, zugewandte, sehr intelligente und phantasievolle Frau beschrieben, die sich intensiv mit Malerei beschäftigt. Aber sie soll manchmal Wahnvorstellungen gehabt haben. Ast wird 1932 ins Bürgerhospital eingewiesen und im Jahr darauf in die Heilanstalt Weissenau verlegt. Am 24. Mai 1940 wird sie in die Tötungsanstalt Grafeneck verlegt und noch am gleichen Tag ermordet.
In der Frauenstraße 17 in Stuttgart-Süd wird um 11.40 Uhr an Martha Leiss erinnert. Martha Leiss geb. Klumpp, Jahrgang 1901, hat die Nähschule besucht, heiratet 1922 den Maschinenmeister Hugo Leiss und wird Hausfrau. 1934 hat sie eine Totgeburt und leidet in der Folgezeit immer häufiger an Wahn- und Verfolgungsvorstellungen. 1935 wird sie zunächst ins Bürgerhospital eingewiesen, kurze Zeit später nach Weissenau überführt. „Wegen Benötigung des Platzes“ wird Leiss im Mai 1940 mit einem der berüchtigten Busse nach Grafeneck in die Gaskammer geschickt – sie wird 39 Jahre alt.
Drei Steine für Esther, Max und Justus Hommel
In der Schloßstraße 47 in Stuttgart-Mitte werden um 13 Uhr drei Steine für Esther geb. Marx und Max Hommel sowie deren Sohn Justus verlegt. Familie Hommel zieht 1907 nach Stuttgart, wo der Arzt Max Hommel eine Praxis eröffnet. Er engagiert sich in der israelitischen Gemeinde und leitet während des Ersten Weltkriegs ein Hilfslazarett. Die Familie Hommel lebt bis 1938 in der Schloßstraße 47, hier befindet sich auch die Praxis. Sohn Justus Hommel, der sein Abitur am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium abgelegt hat, studiert in Tübingen und München Jura und arbeitet anschließend als Wirtschaftsberater in Stuttgart. Nach der Machtübergabe an die Nazis flieht er 1935 nach Italien und in die Schweiz, wo er zur Zwangsarbeit verpflichtet wird. Auch seinem Vater verbieten die Nazis die Berufsausübung. Esther Hommel stirbt 1940 im Marienhospital. Max Hommel wird im September 1941 in das Zwangswohnheim Schloss Weißenstein/Landkreis Göppingen abgeschoben, später ins KZ Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er am 19. Januar 1943 verhungert. Justus Hommel, der 1984 stirbt, kehrt 1946 nach Stuttgart zurück und arbeitet als Jurist für die Spruchkammern und später im Staatsdienst.
Drei Steine für Familie Straus
In der Gablenberger Hauptstraße 173 in Stuttgart-Ost werden um 13.30 Uhr drei Gedenksteine für Clara Straus geb. Levi, ihre Töchter Paula und Lilli Straus verlegt. Lilli Straus, Jahrgang 1892, ist kaufmännische Angestellte und Prokuristin der Stuttgarter Kakao- und Schokoladenfabrik Buck. Doch unter dem Druck der Nazis muss sie ihren guten Arbeitsplatz aufgeben. Die drei Frauen entscheiden sich für die Flucht, treffen Vorbereitungen, wozu auch der Verkauf des Hauses an Schoko-Buck gehört. Lilli Straus hat Glück. Am 15.10.1939 gelingt ihr die Flucht in die USA. Clara und Paula Straus, deren Steine neu verlegt werden, gelingt die Flucht nicht.
Paula Straus ist eine anerkannte Künstlerin. Sie ist eine der ersten Gold- und Silberschmiedemeisterinnen in Deutschland, Meisterschülerin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. Sie entwirft und stellt Gebrauchsgegenstände wie Schalen, Kannen, Dosen und Besteck aus Silber sowie Haushaltsgeräte und Möbel her. Ihr Ansatz: Schöne Gegenstände für Durchschnittsverdiener erschwinglich machen. Doch die Nazis verfolgen jüdische Künstler:innen. Ihre Werke werden überwiegend vernichtet. Im September 1938 werden Clara und Paula Straus von den Nazis gezwungen, ins sogenannte „Judenhaus“ Werfmershalde 12 umzuziehen. Im August 1942 werden die beiden Frauen nach Theresienstadt deportiert. Clara Straus stirbt dort im November 1943. Ihre Tochter Paula wird Anfang 1943 nach Auschwitz deportiert und wenige Tage später ermordet. Die Gedenkveranstaltung für die drei Frauen wird umrahmt von der Sopranistin Maryam und der Pianistin Julia Koch. Die Gemeinderatsfaktion SPD/VOLT hat im September 2025 den Antrag eingebracht, den neu entstehenden Platz am Stöckach nach Paula Straus zu benennen.
Weitere Infos zu den Opfern/Verlegungen und Kontakt über die jeweiligen Stadtteilinitiativen:
Initiative Stolperstein Stuttgart-Ost, Gudrun D. Greth, Tel. 0711/2 62 59 49, gudrun.greth@web.de
Initiative Stolperstein Stuttgart-Süd, Werner Schmidt, Tel. 0170 9 06 99 53, werner.schmidt@t-online.de
Initiative Stolperstein Stuttgart-Mitte, Andreas Langen, Tel. 0711/6 40 07 50, langen@dieargelola.de
Initiative Stolperstein Stuttgart-West, Susanne Stephan, su-stephan@t-online.de
Initiative Stolperstein Stuttgart-Nord, Jupp Klegraf, Tel. 0711/2 26 46 94, jupp@klegraf.net
Infos zur Verlegung für Familie Sontheimer: Susanne Bouché, Tel. 0711/47 48 19, susebouche@t-online.de
Initiative Stolperstein Botnang, Jörg & Ingeborg Gaiß, Tel. 0711/69 46 57, joerg.gaiss@t-online.de
Initiative Stolperstein Feuerb./Weilimd., Heinz & Hildegard Wienand, Tel. 0711/81 21 63, huh.wienand@t-online.de
Initiative Stolperstein Stammheim, Rolf Gühring, Tel. 0172/7 34 70 61, rolf@elektro-guehring.de
Initiative Stolperstein Zuffenhausen, Inge Möller, Tel. 07159/4 20 57 61, ingeannettemoeller@googlemail.com
Initiative Stolperstein Bad Cannstatt, Pro Alt-Cannstatt e.V., Olaf Schulze, schulze@proaltcannstatt.de
Initiative Stolperstein Mühlhausen, Herbert Gräßer, herbert.graesser@gmx.net
Initiative Stolperstein Neckarvororte, Regina Erben, Tel. 0711/42 17 34, regina.erben@stuttgart.de
Initiative Stolperstein Rohracker, Werner Ott, Tel. 0711/42 96 65, WernerOtt@posteo.de
Initiative Stolperstein Degerloch/Fildern, Bertram Maurer, Tel. 0711/6 40 20 99, bertram.maurer@t-online.de
Initiative Stolperstein Sillenbuch, Johanna Heilweck-Backes, Tel. 0162/4 14 70 29, johanna.heilweck-backes@gmx.de
Initiative Stolperstein Vaihingen, Elisabeth & Karl-Horst Marquart, Tel. 0711/7 35 25 74, kh_marquart@yahoo.de
Arbeitskreis NS-Medizinverbrechen, Martin Rexer, ak-euthanasie@arcor.de
Sinti und Roma, Michael Leser, Tel. 0711/97 91 32 61, MiLeser@bo.drs.de
AK Zwangsarbeit, Harald Stingele, Geißlerstr. 4, 70435 Stuttgart, Tel. 0160/97 75 61 86, haraldstingele@aol.com
Pressebeauftragte, Inge Nowak, inge-nowak@gmx.de, SocialMedia, Kurt Wesselsky, kurt.wesselsky@t-online.de
Koordination der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen:
Ute Hechtfischer, Tel. 0151/10 43 53 00, u.hechtfischer@gmx.de
Johanna Heilweck-Backes, Tel. 0162/4 14 70 29, johanna.heilweck-backes@gmx.de
Bertram Maurer, Mühlrain 1, 70180 Stuttgart, Tel. 0711/6 40 20 99, bertram.maurer@t-online.de
Werner Schmidt, Altenbergstr. 49, 70180 Stuttgart, Tel. 0170 9069953, werner.schmidt@t-online.de
Thomas Straile, Mozartstr. 46, 70180 Stuttgart, Tel. 0711/6 40 23 73, thomas.straile@t-online.de
Gerlinde Unrath, Tel. 07152/9 26 74 99, g.unrath@t-online.de
STOLPERSTEIN-Verlegung mit Gunter Demnig am 21. November 2025
Am Freitag, 21. November 2025 wird der Künstler Gunter Demnig, Initiator des europäischen Kunst– und Erinnerungsprojektes, wieder persönlich nach Stuttgart kommen, um 15 weitere Gedenksteine selbst zu setzen. Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein. Verschiebungen lassen sich nicht ausschließen, Änderungen sind möglich. Die Begleitveranstaltungen beginnen in der Regel früher.
Generell gilt: Wer eine Steinverlegung miterleben möchte, sollte auf jeden Fall frühzeitig vor Ort sein (bis zu 30 Minuten vorher) und die Mitteilungen der Stadtteil-Initiativen beachten!
Stolpersteine für Stuttgart am Freitag, den 21. November 2025:
09:00 – 09:15 | Weilimdorf | Widdumhofstr. 34 | 1 Stein für Alfons Lindenfeld |
09:35 – 09:55 | Nord | Eduard-Pfeiffer-Str. 43 | 2 Steine für Pauline und Felix Sali Sontheimer |
10:00 – 10:20 | Nord | Azenbergstr. 57 | 3 Steine für Fritz Albert, |
10:40 – 10:55 | Süd | Arminstr. 39 | 1 Stein für Richard Schwarz |
11:10 – 11:25 | Mitte | Dobelstr. 3 | 1 Stein für Ella Ast |
11:40 – 11:55 | Süd | Frauenstr. 17 | 1 Stein für Martha Leiss |
13:00—13:20 | Mitte | Schloßstr. 47 | 3 Steine für Max, Esther und Justus Hommel |
13:30 – 13:55 | Ost | Gablenberger Hauptstr. 173 | 3 Steine für Clara, Paula und Lilli Straus |
Stolpersteine für Stuttgart: www.stolpersteine-stuttgart.de
StolperKunst – ein Projekt belebt Erinnerung: www.stolperkunst.de
Die Menschen hinter den Namen – Artikelserie: stuttgarter-zeitung.de – stuttgarter-nachrichten.de
Gedenken braucht Orte – ein Erinnerungsort für die Zukunft: www.hotel-silber.de
Stolpersteine in Europa – KunstDenkmal von Gunter Demnig: www.stolpersteine.eu
Ausgewählte Veranstaltungen der Erinnerungskultur im November 2025
3. bis 16. Nov. 2025, Jüdische Kulturwochen: Mitten dabei – 80 Jahre jüdisches Leben in Stuttgart
Do 20. Nov. 2025, 19:00 Uhr, Theaterhaus: Ein Benefizabend für Betty Rosenfeld. Lesung, Musik und Bildende Kunst
Do 26. Nov. 2025, 19:00 Uhr, Hotel Silber: Daimler-Benz in der NS-Zeit. Rüstungskonjunktur und Zwangsarbeit. Vortrag und Gespräch mit Karl Reif (IG Metall, ehemaliger stv. Betriebsratsvorsitzender von Mercedes Benz Untertürkheim) und Harald Stingele (Arbeitskreis Zwangsarbeit in Stuttgart)
Mo 1. Dez. 2025, Killesberg. Gedenken an die Deportation von mehr als 1000 jüdischen Menschen nach Riga am 1. Dezember 1941
Mo 1. Dez. 2025, 19:00 Uhr, IRGW: Neubeginn im Schatten der Shoah – Jüdisches Leben in Stuttgart in den ersten Nachkriegsjahren. Vortrag von Prof. Dr. Roland Müller, Stadtarchivar a.D. und Historiker
Mo 8. Dez. 2025, 14:30 Uhr, AWO Begegnungszentrum, Griegstr. 8, 70195 Stuttgart: „Stolpersteine in Botnang“. Rundgang mit Jörg Gaiß (Stolperstein-Initiative Botnang)
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