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Weitere Stolpersteinverlegungen am 29. und 30. April 2010

Der Kölner Künstler Gunter Demnig wird am Donnerstag und Freitag, 29. und 30. April 2010, in Stuttgart 40 weitere Stolpersteine verlegen. Das europaweite Projekt “Stolpersteine”  wurde von Demnig ins Leben gerufen, um die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der ?Euthanasie?-Opfer im Nati-onalsozialismus lebendig zu halten. Stolpersteine gibt es in weit über 500 Orten in Deutschland sowie im benachbarten Ausland, seit wenigen Wochen auch in Rom. Die 10×10 cm großen Stolpersteine mit ihrer Messingplatte, auf der die Lebens- und Schicksalsdaten der Opfer stehen, werden vom Künstler selbst in öffentliche Gehwege verlegt.

Erstmals wird Demnig in Stuttgart zwei Stolpersteine für Homosexuelle verlegen. Lesben und Schwule wurden vom NS-Regime nicht zuletzt deshalb verfolgt, weil sie nicht zur Vermehrung der ?arischen Herrenrasse? beitrugen. Nachdem schon 1933 die langsam keimende Toleranz gegen Homosexuelle ein jähes Ende fand, wurde im Jahr 1935, vor 75 Jahren also, der § 175 drastisch verschärft: für eine Verurteilung bedurfte es nicht einmal mehr einer gegenseitigen Berührung. Und die Gestapo konnte jederzeit Schutzhaft anzuordnen. Willi Karl App (Stuttgart-Mitte) wurde Ende Oktober 1942 in das KZ Dachau eingeliefert und starb 23 Jahre alt im März 1943 im KZ Sachsenhausen. Friedrich Hermann Enchelmayer (Bad Cannstatt) war 1937 zu zwei Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt worden. Nach seiner Entlassung führte eine Beurteilung durch den Vorstand des Zuchthauses Ludwigsburg im Juni 1940 als ?vorbeugende Maßnahme? zur polizeilichen Sicherungsverwahrung im KZ Dachau. Von dort kam er in das KZ Sachsenhausen und in das KZ Neuengamme, wo er 32-jährig im November 1940 starb.

Einen Schwerpunkt bildet diesmal die Verlegung von Stolpersteinen für 17 ?Euthanasie?-Opfer, für Psychiatrie-Patienten und behinderte Menschen also, die vom NS-Regime als ?unwertes Leben? zwischen Januar und Dezember 1940, vor 70 Jahren, im Schloss Grafeneck bei Münsingen mit Kohlen-monoxid ermordet wurden. Mehr als 500 Stuttgarterinnen und Stuttgarter gehören zu den insgesamt 10.564 Toten von Grafeneck. Als das Morden in Grafeneck im Dezember 1940 eingestellt wurde, waren 50 Prozent aller württembergischen Anstaltspatienten tot. Danach ging es im hessischen Hadamar sowie in vier weiteren Tötungsanstalten des Reiches weiter. Im Rahmen der Aktion ?T4? – benannt nach der zentralen Euthanasie-Leitungsstelle in der Berliner Tiergartenstraße 4 – wurden bis zum August 1941 insgesamt über 70.000 Menschen planmäßig getötet. Stolpersteine für Opfer der ?Euthanasie? werden in Bad Cannstatt (Lydia Nagel, Alfred Neu, Hedwig Weegmann), Feuerbach (Emma Scherrieble, Hildegard Schönlen), Hedelfingen (Maria Bluthard), Mitte (Klara Feit), Ost (Georg Henssler, Helene Kapp, Friedrich Klotz, Karl Schedel), Süd (Lilly Abele, Gertrud Heilborn), Vaihingen (Gertrud Schönberger) und Zuffenhausen (Berta Göpfert, Rosine Nieden, Ernst Rau) verlegt.

Klara Feit (Mitte) beispielsweise war die Tochter des jüdischen Juweliers Albert Feit, ihre Mutter Luise war evangelisch gewesen. Obwohl sie ?nervenkrank an den Folgen des Ersten Weltkriegs? war, versuchte sie zeitweise als Haushaltshilfe zu arbeiten, musste dann jedoch zur psychiatrischen Behandlung in eine Heilanstalt. Ende Mai 1940 wurde sie in Grafeneck ermordet.  

Ganz anders lag der Fall von Gertrud Heilborn (Süd). Sie hatte das Königin-Katharina-Stift besucht, war dann aber als Folge einer Kinderkrankheit an Hirnhautentzündung erkrankt. Schweren Herzens gaben die Eltern, Leonhard und Lydia Heilborn, die 23-Jährige 1921 in die Heilanstalt Winnental zur psychiatrischen Behandlung. Am 30. Mai 1940 wird sie von dort nach Grafeneck transportiert und noch am selben Tag ermordet. Mutter Lydia war allein auf dem israelitischen Teil des Pragfriedhofs, als die Urne mit der angeblichen Asche der Tochter bestattet wurde. Vater Leonhard, Direktor der Deutschen Verlagsanstalt, hatte 1935 seine Stelle verloren und war 1939 gestorben. Ihre großzügige Fünf-Zimmer-Wohnung in der Neuen Weinsteige hatte Lydia Heilborn im gleichen Jahr aufgeben müssen und war
in einem Zimmer in der Hegelstraße einquartiert worden. Doch auch hier durfte sie nicht bleiben, wurde 1942 zwangsweise nach Buchau am Federsee umgesiedelt. Im August 1942 erfolgte die Deportation nach Theresienstadt, wo sie im November 1942 starb. Ihr restliches Vermögen hatte das Deutsche Reich bereits im Oktober 1942 eingezogen. Als einziges Mitglied der Familie überlebte Sohn Fritz, der 1936 nach England gegangen war, dort aber bereits 1948 verstarb.

Auch anderen jüdischen Opfern wird mit Stolpersteinen gedacht, beispielsweise den Geschwistern Suse und Marianne Weil (Nord), die ebenso nach Riga deportiert und ermordet wurden wie Hermine Wertheimer (Süd), der Witwe des Teilhabers der Firma Löb & Wertheimer, Großdestillation und Dampfbrennerei, Likörfabrik (vormals Hoflieferant) in der Weißenburgstraße. Auch die Eheleute Simon und Jette Maas (Süd) – er war Handelsvertreter in Textilwaren, sie betrieb ein Schneideratelier – verloren in Riga ihr Leben. Zur Verlegung ihrer beiden Stolpersteine kommt eigens die Enkelin Dorit Daniel mit Ehemann und Söhnen aus Israel.

Die ehrenamtlich arbeitenden Stuttgarter Stolperstein-Initiativen sowie die Arbeitskreise ?Euthanasie? und Homosexualität haben nicht nur das Leben der Opfer erforscht, was sich oftmals als sehr mühsam erwies, sondern sind auch darum bemüht, für die Verlegung dieser Stolpersteine einen würdigen Rahmen, u.a. mit Beteiligung von Schulen, zu schaffen. Keine Verlegung wird der anderen gleichen. Die betreffenden Initiativen und Arbeitskreise werden Ihnen gerne nähere Auskünfte dazu geben.

Parallel zur Verlegung findet vom 21. April bis 14. Mai 2010 im Stuttgarter Rathaus eine Ausstellung zur Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit mit begleitenden Veranstaltungen statt. Hierbei handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der Rosa-Winkel-Initiative der Weissenburg e.V., Stuttgarts schwul-lesbischem Zentrum (www.zentrum-weissenburg.de), und des Stadtarchivs Stuttgart (www.stuttgart.de/stadtarchiv). Außerdem wird der Autor Ernst Klee am Donnerstag, 29. April 2010, 19:00 Uhr, im Gewerkschaftshaus mit einem Vortrag an die “Euthanasie” in der NS-Zeit erinnern. Bei der Veranstaltung des Arbeitskreises “Euthanasie” der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen (in Zusammenarbeit mit ver.di, Bezirk Stuttgart, und Personalvertretern des Klinikums Stuttgart) wird auch nach den Ursachen dieser Verbrechen und der Bedeutung der Geschichte für die aktuelle Debatte gefragt.  

Näheres erfahren Sie bei den ehrenamtlich arbeitenden Stadtteil-Initiativen.sowie den Arbeitskreisen “Euthanasie” und Homosexualität. Hier folgt der geplante Ablauf für beide Verlegungstage. Beachten Sie bitte, dass es trotz sorgfältiger Planung zu Verschiebungen kommen kann. Wer bei einer Steinverlegung dabei sein will, sollte sich deshalb möglichst frühzeitig am Verlegungsort einfinden!
 
Die Verlegestellen im Rahmen des Schwerpunkts 70 Jahre Grafeneck sind farbig hinterlegt, ebenso die Opfer der Homosexuellenverfolgung.

Die Heraushebungen dienen lediglich der Zuordnung besonderer Aktivitäten bei den jeweiligen Verlegungen – sie sollen keinesfalls den Eindruck einer Katergorisierung hinterlassen.

Donnerstag, 29. April:
08:00 h Zuffenhausen, Brackenheimer Str. 25, für Berta Göpfert
08:30 h Zuffenhausen, Besigheimer Str. 33, für Rosine Nieden
09:00 h Zuffenhausen, Friesenstr. 15, für Ernst Rau
09:45 h Nord, Herdweg 116, für Anna Hochberger
10:00 h Nord, Hölderlinstr. 53, für Alfred, Trude und Annemarie Kahn
10:15 h Nord, Sattlerstr. 25, für Suse und Marianne Weil
10:30 h Mitte, Leonhardsplatz 15, für Willi Karl App
11:00 h Süd, Weißenburgstr. 2 B, für Simon und Jette Maas
11:20 h Süd, Weißenburgstr. 2D, für Heinrich Wortsmann
11:40 h Mitte, Danneckerstr. 12, für Josef und Mine Ottenheimer
MITTAGSPAUSE im Weißenburg-Zentrum, Weißenburgstr. 28 A*
13:30 h Mitte, Sophienstraße 23 A, für Klara Feit
13:45 h Mitte, Sophienstraße 5, für Abraham und Rosa Rimpel
14:00 h Mitte, Gaisburgstraße 18, für Thekla und Otto Rothschild
14:30 h Ost, Gablenberger Hauptstr. 34 für Helene Kapp
14:45 h Ost, Gablenberger Hauptstr.129 für Friedrich Klotz
15.15 h Ost, Talstraße 107, für Karl Schedel
15.30 h Ost, Rotenbergstrße 60, für Georg Henssler

Freitag, den 30. April 2010
08:00 h Weilimdorf, Widdumhofstr. 34, für Sigmund, Paula, Adele Lindenfeld
08:45 h Feuerbach, Kärntner Str. 35, für Hildegard Schönlen
09:15 h Feuerbach, Bludenzer Str. 41, für Emma Scherrieble
10:00 h Vaihingen, Ernst-Kachel-Str.9, für Gertrud Schönberger
10:45 h Süd, Karl-Kloß-Str.42, für Lilly Abele
11:15 h Süd, Neue Weinsteige 12 A, für Lydia und Gertrud Heilborn
11:45 h Süd, Olgastraße 124, für Hermine Wertheimer
12:00 h Süd, Olgastraße 139, für Berta Waldt
MITTAGSPAUSE im Bohnencafe´, Hauptstätterstr. 31*
13:30 h Bad Cannstatt Mergentheimer Straße 7 für Hedwig Weegmann
14:00 h Bad Cannstatt Martin-Luther-Str.10, für Lydia Nagel
14:30 h Bad Cannstatt Aberlin-Jörg-Str. 13, für Friedrich H. Enchelmayer
15:00 h Bad Cannstatt Wörishofener Str. 33, für Alfred Neu
15:30 h Hedelfingen, Ruiter Str. 37, für Maria Bluthard

*Am Donnerstag, 29.4. sind alle Interessierten im Weißenburg-Zentrum herzlich willkommen/Eigenbewirtung im Hinterhof.
Für Freitag, 30.4. wird um Anmeldung bei Inge Möller, Tel. 8 70 16 89, 
ingeannettemoeller@googlemail.com gebeten, wenn das Tagesessen im Bohnencafé gewünscht wird.