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Stolpersteine in Stuttgart: Ein Mahnmal, das wächst und wächst

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung 
Jan Sellner – 27.01.2025 – 08:00 Uhr – Jan Sellner 


Der Künstler Gunter Demnig hatte die Idee zu den Stolpersteinen. Mit seinem Kleinbus fährt er von Stadt zu Stadt, um die Gedenksteine zu verlegen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Europaweit wurden bereits mehr als 100.000 Stolpersteine verlegt. In Stuttgart sind es 1048 – und es kommen immer weitere hinzu. Die Stolperstein-Initiativen wollen die Erinnerung an das NS-Unrecht als „stetige Mahnung“ verankern.

Stolpersteine heißen so, weil man in übertragenem Sinne über die ins Pflaster eingelassenen, kleinen Gedenksteine stolpern soll. Auch unsere Redaktion ist an den Steinen mit den Namen von Nazi-Opfern hängen geblieben und hat eine Langzeitserie daraus gemacht, die nun offiziell endet. Die Beschäftigung mit den Stolpersteinen bleibt jedoch aktuell. Fragen und Antworten rund um das Thema.

Was sind Stolpersteine?
Stolpersteine sind 10 x 10 Zentimeter große Kleindenkmale, die in den Bürgersteig eingelassen werden und mit einer Messingplatte versehen sind, in die jeweils die Daten von NS-Opfern eingraviert sind. sind. Der Guss eines Steins, das Gravieren und die Verlegung kosten 120 Euro. Finanziert werden die Steine durch Spenden. Verlegt werden die Gedenksteine in der Regel vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Verfolgten.

Seit wann gibt es Stolpersteine?
1992 verlegte der 1947 in Berlin geborene Künstler Gunter Demnig vor dem historischen Rathaus in Köln den ersten Stolperstein in Erinnerung an verfolgte Sinti und Roma – eine nicht genehmigte Aktion, die später legalisiert wurde. Seit dem Jahr 2000 finden Verlegungen auch außerhalb Deutschlands statt. Demnig wurde für das Projekt mehrfach ausgezeichnet – unter anderem 2011 mit der Otto-Hirsch-Medaille in Stuttgart.

Wie viele dieser Gedenksteine wurden bis jetzt verlegt?
Stolpersteine liegen in 21 Staaten Europas – inzwischen sind es mehr als 100 000, davon rund 90.000 in Deutschland. In der Landeshauptstadt Stuttgart sind es aktuell 1048 Stolpersteine. Der nördlichste Stein, den Demnig verlegt hat, liegt übrigens in der Nähe des norwegischen Hammerfest auf einer kleinen Insel. Dort hatte sich ein einzelner Jude versteckt. Er wurde verraten und von der Gestapo abgeholt – ein Schicksal, das Demnig besonders bewegt.

Was motiviert Gunter Demnig?
Im Interview mit unserer Zeitung sagte Demnig: „Es ist wichtig, dass die jungen Leute davon erfahren. Für die machen wir das ja. Das ist eine persönliche Art von Geschichtsunterricht. Sie lernen so auch etwas über die unterschiedlichen Opfergruppen. Neben den sechs Millionen ermordeten Juden gab es ja weitere acht Millionen Menschen, die aus anderen Gründen ermordet wurden.“

Wie fing es in Stuttgart mit den Stolpersteinen an?
„Was war in der Nazi-Zeit mit den Schwaben jüdischen Glaubens geschehen? Mit den Regimegegnern? Den Behinderten? Was war vor Ort passiert?“, fragte sich eine Gruppe engagierter Bürger um Harald Stingele und den Pfarrer Martin Elsässer bereits Ende der 1980er Jahre. Später entstand die Idee, Gedenktafeln an den Häusern der Ermordeten anzubringen oder Gedenksteine in den öffentlichen Raum zu stellen – Stolpersteine. Die Weichen stellte dann der damalige OB Wolfgang Schuster, der im Gespräch mit der Bürgerinitiative und Demnig entschied: Wir machen das! Am 10. Oktober 2003 wurden die ersten Stolpersteine in Stuttgart verlegt.

Wie ist die Situation in Stuttgart heute?
Die Stolperstein-Idee zog Kreise. 2023 feierten die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen ihr 20-jähriges Bestehen. Inzwischen sind es 16 Initiativen, die in ihren Stadtteilen ehrenamtlich am Gedächtnis der Stadt Stuttgart arbeiten. Jedes Jahr werden mehrere neue Stolpersteine verlegt – die nächsten am 21. Februar im Beisein von Gunter Demnig. In einem Fall wird dabei auch ein bei Bauarbeiten abhandengekommener Stein ersetzt. Auch so etwas kommt vor. Ebenso wie Beschädigungen, die sich in Stuttgart allerdings in Grenzen halten.

Was ist das Selbstverständnis der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen?
Die Initiativen formulieren es so: „Die Beschäftigung mit der Vergangenheit soll deutlich machen, dass Widerstand und Zivilcourage frühzeitig notwendig sind, wenn Hass und Gewalt um sich greifen und die demokratischen Grundwerte bedroht werden.“ Es gehe nicht nur darum, möglichst viele Stolpersteine im öffentlichen Raum zu platzieren, „sondern die Erinnerung als eine stetige Mahnung in den Köpfen zu verankern und ein geistiges Stolpern auszulösen“.

Wie ausgeprägt ist das Interesse an dieser Gedenkarbeit?
Das langjährige Engagement, die 20-Jahr-Feier und zuletzt die redaktionelle Serie machen sich positiv bemerkbar: Der ehrenamtliche Koordinator Werner Schmidt berichtet von einem „erfreulich großen Interesse an unserer Arbeit. „Es gibt auch eine verstärkte Nachfrage von Schulklassen nach Führungen.“ Wer bei den Stolperstein-Initiativen mitmachen wolle, sei herzlich willkommen. Weitere Infos gibt es unter www.stolpersteine-stuttgart.de. Dort finden sich auch ein Überblick über alle in Stuttgart verlegten Steine und Kurzbiografien der Opfer. Eine Kontaktaufnahme ist per Mail möglich unter: info@stolpersteine-stuttgart.de.

Was gibt es für Ehrenamtliche zu tun?
Sie erforschen das Schicksal von Opfern, treten in Kontakt mit Nachfahren, schreiben Biografien und organisieren die Verlegung der Steine. Sie kümmern sich auch um die Pflege der Steine und machen Führungen.

Gibt es auch außerhalb von Stuttgart Stolperstein-Initiativen?
Ja, bei dem Stolperstein-Projekt handelt es sich um ein dezentrales Mahnmal – „das größte Europas“, wie die Initiativen betonen.

Wird diese Form der Gedenkarbeit auch kritisch gesehen?
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, lehnt Stolpersteine ab, weil die Opfer erneut mit Füßen getreten würden. In München liegen im öffentlichen Raum deshalb bis heute keine Steine. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat nach den Worten von Zentralratspräsident Josef Schuster zu den Stolpersteinen „eine sehr positive Meinung“.