Artikel aus der Stuttgarter Zeitung
Theresa Schäfer – 19.11.2025 – 09:45 Uhr 
Für Esther und Max Hommel und ihren Sohn Justus (links) werden in der Schloßstraße Stolpersteine verlegt. Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg/StAL F 201 Bü 527; StAL F 215 Bü 220; StAL F 215 Bü 425
Am Freitag, 21. November, verlegt der Künstler Gunter Demnig neue Stolpersteine. Mit ihnen wird Stuttgarterinnen und Stuttgartern gedacht, die dem Nazi-Regime zum Opfer fielen.
1066 Stolpersteine. So viele werden am Freitagnachmittag in Stuttgart liegen, wenn Gunter Demnig seine Arbeit gemacht hat. Sie stehen für Väter, Mütter, Kinder, für Freunde, für Liebende, für Künstlerinnen, Handwerker, Ärzte, Hausfrauen. Für Menschen, die dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer fielen, die vertrieben oder ermordet wurden.
Um 9 Uhr setzt Demnig, Künstler und Vater der Stolperstein-Idee, in Weilimdorf einen Gedenkstein für Alfons Lindenfeld, um 13.30 Uhr die letzten drei Steine für die Familie Straus. Insgesamt wird der 78-Jährige am Freitag 15 Stolpersteine in der Landeshauptstadt verlegen. Wer dabei sein möchte, sollte etwa 30 Minuten vor der eigentlichen Verlege-Zeit da sein, um die gesamte Gedenkzeremonie mitzuerleben.
Für viele Angehörige der Opfer der Nationalsozialisten sei das ein hochemotionaler Moment, sagt Ute Hechtfischer, die Koordinatorin der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen: „Das ist der Ort, an dem die Angehörigen ihrer Familie gedenken können“, denn oft gibt es kein Grab. So werden bei der Verlegung der fünf Stolpersteine für die Stuttgarter Familie Sontheimer neun Nachkommen aus Kanada und Großbritannien dabei sein.
Widdumhofstraße 34, Stuttgart-Weilimdorf: Stolperstein für Alfons Lindenfeld
Für seine Eltern Paula und Sigmund und seine Tante Adele liegen bereits drei Steine in der Widdumhofstraße, nun kommt auch einer für Alfons Lindenfeld dazu. Der junge Mann war Dentist wie sein Vater, so nannte man früher Zahn„ärzte“ ohne Studium. Noch 1937 praktizieren die beiden im ersten Stock des Hauses. Aber weil sie Juden sind, droht ihnen in Nazideutschland Gefahr. Alfons flieht über Ungarn nach Jugoslawien. 1940 sendet er noch ein letztes Lebenszeichen, dann verliert sich seine Spur. Sein Schicksal liegt weitgehend im Dunkeln, vermutlich wird er in einem Lager ermordet. Am. 8. Mai 1945, Kriegsende in Europa, wird Alfons Lindenfeld für tot erklärt.
Verlegung: 21. November, 9 Uhr
Eduard-Pfeiffer-Straße 43, Stuttgart-Nord: Stolpersteine für Pauline und Felix Sali Sontheimer
Felix Sontheimer und seine Mutter Pauline Foto: Deutsche Bank AG, Historisches Institut/Staatsarchiv Ludwigsburg; StAL F 215 Bü 45-117
Felix Sontheimer ist jemand in der Stuttgarter Gesellschaft der Weimarer Republik: Der stellvertretender Direktor der Württembergischen Vereinsbank, die Mitte der 1920er Jahre in der Deutschen Bank aufgeht, engagiert sich in der jüdischen Gemeinde. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, zwingen sie die Sontheimers, ihr Haus in Stuttgarter Halbhöhe zu verkaufen. Die Familie zieht in die Azenbergstraße. Später müssen Felix Sontheimer und seine Mutter Pauline in das Zwangswohnheim Dellmensingen (heute ein Stadtteil von Erbach im Alb-Donau-Kreis) umsiedeln. Von dort aus werden die beiden 1942 nach Theresienstadt deportiert. Auf seine letzte Postkarte, datiert „Nordbahnhof, 22. August 1942“, schreibt Felix die Worte „Leben Sie wohl“. Pauline stirbt im November 1942, ihr Sohn im März 1943.
Verlegung: 21. November, 9.35 Uhr
Azenbergstraße 57, Stuttgart-Nord: Stolpersteine für Fritz, Paul und Heinz Sontheimer

Heinz, Paul und Fritz Sontheimer, ca. 1926 Foto: privat
Zusammen mit seiner 1935 verstorbenen Frau Roosje hat Felix Sontheimer drei Söhne: Fritz und die Zwillinge Paul und Heinz gehen aufs Dillmann-Realgymnasium, bevor sie gezwungen werden, die Schule zu verlassen. Die drei Buben finden einen Platz in einem der Kindertransporte, mit denen 10.000 jüdische Kinder 1938 und 1939 noch in allerletzter Minute aus Nazi-Deutschland fliehen können. Die drei Jungen landen in den Niederlanden, Fritz wandert in die USA aus, die Zwillingsbrüder Paul und Heinz bauen sich in Großbritannien ein neues Leben auf. Nun soll mit drei Stolpersteinen an ihr Schicksal erinnert werden.
Verlegung: 21. November, 10 Uhr
Arminstraße 39, Stuttgart-Süd: Stolperstein für Richard Schwarz
Lange ist der gelernte Bäcker Richard Schwarz arbeitslos. 1934 wendet sich das Schicksal des jungen Mannes: Bei Bosch bekommt er eine Stelle als Maschinenschlosser, verliebt sich. Doch nach ein paar Monaten fordert die Akkordarbeit dort ihr Tribut. Schwarz erleidet eine psychische Krise, kommt ins Bürgerhospital. Dort diagnostiziert ein Arzt eine „sichergestellte Erbkrankheit“. Richard Schwarz wird in die private Heilanstalt Christophsbad nach Göppingen eingewiesen. 1940 verlegt man den inzwischen 28-jährigen Stuttgarter erst in die Heil- und Pflegeanstalt Ravensburg-Weißenau, dann nach Grafeneck – in der Tötungsanstalt wird er noch am Tag seiner Ankunft ermordet.
Verlegung: 21. November, 10.40 Uhr
Dobelstraße 3, Stuttgart-Mitte: Stolperstein für Ella Ast
Ella Ast ist klug, heiter, voller Fantasie und sie liebt die Malerei. Aber manchmal wird die Frau von Wahnvorstellungen heimgesucht. 1933 kommt sie – wie Richard Schwarz – in die Heilanstalt Weißenau bei Ravensburg. Am 24. Mai 1940 wird Ella Ast nach Grafeneck verlegt und noch am selben Tag getötet. In der Tötungsanstalt auf der Schwäbischen Alb werden in der NS-Zeit über 10.000 Menschen mit geistiger Behinderung oder einer psychischen Erkrankung ermordet.
Verlegung: 21. November, 11.10 Uhr
Frauenstraße 17, Stuttgart-Süd: Stolperstein für Martha Leiss
1922 heiratet die Näherin Martha Klumpp den Maschinenmeister Hugo Leiss. 1934 ereilt Martha ein Schicksalsschlag: Ihr Kind kommt tot zur Welt. Danach leidet die Hausfrau immer häufiger an Wahnvorstellungen. 1935 kommt sie ins Bürgerhospital und wird von dort in die Heilanstalt Weißenau gebracht. Im Mai 1940 besteigt Martha Leiss einen der berüchtigten Busse nach Grafeneck – und wird dort mit 39 Jahren ermordet.
Verlegung: 21. November, 11.40 Uhr
Schloßstraße 47, Stuttgart-Mitte: Stolpersteine für Esther, Max und Justus Hommel
Esther, Max und Justus Hommel Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg//StAL F 201 Bü 527
Der jüdische Arzt Max Hommel hat seine Praxis in seinem Wohnhaus. Der Mediziner, der im Ersten Weltkrieg ein Hilfslazarett leitete, ist ein engagiertes Mitglied der israelitischen Gemeinde in Stuttgart. Max Hommel und seine Frau Esther haben einen Sohn: Justus, der am Ebelu, dem Eberhard-Ludwigs-Gymnasium, sein Abitur macht, studiert Jura und arbeitet anschließend als Wirtschaftsberater in Stuttgart. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kommen, flieht Justus 1935 nach Italien und in die Schweiz, wo er zur Zwangsarbeit verpflichtet wird. Max Hommel darf unter den Nazis nicht mehr als Arzt arbeiten. Esther stirbt 1940 im Stuttgarter Marienhospital, ein Jahr später wird Max in das Zwangswohnheim Schloss Weißenstein im Landkreis Göppingen abgeschoben. Von dort wird er in das Lager Theresienstadt deportiert, wo er am 19. Januar 1943 verhungert. Sein Sohn Justus kehrt 1946 nach Stuttgart zurück und arbeitet dort wieder als Jurist. Er stirbt 1984.
Verlegung: 21. November, 13 Uhr
Gablenberger Hauptstraße 173, Stuttgart-Ost: Stolpersteine für Clara, Paula und Lilli Straus

Clara Straus Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg; StAL F 215 Bü 503
Clara Straus ist eine erfolgreiche Frau der neuen Zeit, die mit der Weimarer Republik in Deutschland beginnt: Sie arbeitet als Prokuristin bei der Kakao- und Schokoladenfabrik Buck im Stuttgarter Osten. Doch als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, verliert sie ihren guten Arbeitsplatz. Die drei jüdischen Frauen entscheiden sich, Deutschland zu verlassen, Clara verkauft ihr Haus an Schoko-Buck. Lilli gelingt 1939 die Flucht in die USA. Ihre Mutter Clara und ihre Schwester Paula haben nicht so viel Glück.
Paula ist eine anerkannte Künstlerin: Die junge Frau ist eine von Deutschlands ersten Gold- und Silberschmiedemeisterinnen, entwirft Schalen, Kannen, Besteck, aber auch Haushaltsgeräte und Möbel. In der Nazizeit werden die meisten ihrer Werke vernichtet. 1938 müssen Clara und Paula Straus in das sogenannte „Judenhaus“ in der Werfmershalde 12 umzuziehen. 1942 werden Mutter und Tochter nach Theresienstadt deportiert, Paula kommt von dort ins Konzentrationslager Auschwitz, wo sie 1943 ermordet wird. Clara Straus stirbt im selben Jahr in Theresienstadt. Die Stolpersteine für Clara und Paula werden zusammen mit dem Stein für Lilli am Freitag neu verlegt. Der Stöckach-Platz im Stuttgarter Osten soll nach dem Willen von SPD und Volt einen neuen Namen bekommen: Paula-Straus-Platz.
Verlegung: 21. November, 13.30 Uhr
Geschichtsmagazin
Im Magazin „Stuttgarter Stolpersteine“ erzählen Redakteurinnen und Redakteure unserer Zeitung Lebensgeschichten von Menschen, die während des Nationalsozialismus verfolgt wurden, weil sie jüdisch oder politisch unbequem waren, körperliche Einschränkungen hatten oder aus anderen Gründen nicht in das Menschenbild der Nazis passten. In Zusammenarbeit mit den Stolperstein-Initiativen hat unsere Redaktion ein Jahr lang Porträts von NS-Opfern aus Stuttgart veröffentlicht. Das Magazin „Stuttgarter Stolpersteine“ enthält eine Auswahl von 24 dieser bewegenden Lebensgeschichten. Es ist in Buchhandlungen sowie an Kiosken für den Preis von 14,90 Euro erhältlich. Erworben werden kann es auch in unserem Online-Shop erworben werden unter: www.shop711.de



