Artikel aus der Nord-Rundschau vom 10.05.2007:
Im festen Glauben freiwillig in den Tod
Die Stammheimer Stolperstein-Initiative erinnert mit ihrer ersten Gedenkplakette an das Nazi-Opfer Gustav Stange
Stammheim. Der Initiator und Künstler Gunter Demnig hat am Dienstag die erste von bislang vier geplanten Messingplaketten vor der Münchinger Straße 5 verlegt. Sie erinnert an Gustav Stange, der von den Nazis erschossen wurde, weil er den Kriegsdienst verweigerte.
Von Ulrike Koch
Viele Jahre hatte die Witwe Emma Stange nach der Ermordung ihre Mannes um Rehabilitation gekämpft. Erst im Jahr 1965 soll ihr Mann als Verfolgter anerkannt worden sein. “Es ist eigentlich traurig, dass es mehr als 60 Jahre dauern musste, bis einem Menschen gedacht wird, der sein Leben im Kampf gegen den Widerstand verloren hat”, sagte Helmut Schnabel bei der Verlegung des Stolpersteins vor der Münchinger Straße 5, in dem das Ehepaar Stange gelebt hat. Schnabel kannte den Glaubensbruder der Zeugen Jehovas noch persönlich: “Stange war kein Held, aber er hat sich gegen die Tyrannei gewehrt.” Auch Dietrich Beerweiler kannte das Ehepaar Stange, das in seinem Elternhaus in der Münchinger Straße zur Miete wohnte: “Mein Vater hat noch versucht, ihn zu retten”, erzählt er. Der habe Stange von seinem Entschluss abbringen wollen, den Kriegsdienst zu verweigern. “Sie müssen doch nicht schießen, hat er gesagt. Aber Stange war innerlich so überzeugt von seinem Glauben, dass er die Folgen in Kauf nehmen wollte.” Stange wäre wohl auf Grund seines Alters wohl nicht mehr an die Front gekommen, sondern hätte eine Tätigkeit am Schreibtisch ausüben können, wenn er einen Eid auf Hitler geleistet hätte, berichtete Ellen Breitling von der Stammheimer Stolperstein-Initiative bei der Steinlegung. Zur Verlegung mit dem Kölner Initiator und Künstler Gunter Demnig waren am frühen Morgen trotz Regens auch mehr als 80 Menschen gekommen. Die Achtklässler der Stammheimer Grund- und Hauptschule gedachten dem Opfer der Nazis mit einem Gedicht und weißen Rosen.
Gustav Stange wurde am 20. Februar 1942 auf der Schießbahn Dornhalde erschossen, weil er sich standhaft weigerte, seinem Stellungsbefehl nachzukommen. Er wollte keinen Eid auf Hitler leisten und wurde wegen “Zersetzung der Wehrkraft” zum Tode verurteilt. Bei der Gerichtsverhandlung einen Monat zuvor soll ihn der Hauptmann gefragt haben, was denn wäre, wenn sich alle so verhielten. “Dann wäre der Krieg gleich zu Ende”, habe Gustav Stange zur Antwort gegeben, trug Breitling vor. Recherchiert haben die Mitglieder der Initiative im Ludwigsburger Staatsarchiv sowie in den Archiven der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und des Bunds der Antifaschisten. Der Stolperstein war nicht nur eine Besonderheit für den Stadtbezirk, sondern für ganz Stuttgart, denn es ist der erste Stein, der für ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas – früher auch als “Ernste Bibelforscher” bezeichnet – angebracht wurde. Diese geriet nach 1933 mit den Nazionalsozialisten in Konflikt und wurde in Baden-Württemberg bereits im Februar 1934 verboten, weil sie sich dem Führerkult und dem Hitlergruß verweigerten.
Weitere Stolpersteine in Stammheim will die Initiative voraussichtlich am 24. September verlegen.
Aktualisiert: 10.05.2007, 06:03 Uhr