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Richard Rothschild, Hauptstätter Str. 89

In Erinnerung an Richard Rothschild – Verlegung eines Stolpersteins vor dem Haus Hauptstätter Straße 89 am Freitag, den 28. April 2017

Richard RothschildRichard Rothschild wurde am 5. September 1892 in Stuttgart geboren. Die stolzen Eltern, der Kaufmann und Fabrikant Bernhard Rothschild (1852-1923) mit seiner Frau Theresia (auch: Therese), geborene Stern (1866-1937), gaben dies zwei Tage später in einer Anzeige im Stuttgarter Neuen Tagblatt bekannt. Richard hatte einen zwei Jahre älteren Bruder Oskar. Die Familie wohnte damals in der Tübinger Straße 81. 1897 zog sie in die Friedrichstraße 56 und 1904 in die Heusteigstraße 71. Seit 1913 wohnte die Familie in der Hauptstätter Straße 89, wo sie 1922 die achtjährige Waise Gusti Rindner aus Wien wie eine Tochter aufnahmen. Über Kindheit, Jugend und Ausbildung von Richard Rothschild ist nichts bekannt. Als sein Beruf wird später Kaufmann bzw. Betriebsbuchhalter angegeben. Er war in der Firma der Familie, der Strickerei und Trikotwarenfabrik Gebrüder Rothschild tätig.

Im Jahr 1884 hatte der Kaufmann Julius Rothschild eine Trikotwarenfabrik in der Hospitalstraße 35 gegründet. Wenige Monate später war im April 1885 Richards Vater Bernhard in die Fabrik des Bruders als Teilhaber eingetreten, die nun “Gebrüder Rothschild, Trikotwarenfabrik” hieß. Sie hatte ihren Sitz in der Kronenstraße 25. Die Geschäfte scheinen nicht schlecht gelaufen zu sein, denn bereits 1892 war sie in der Tübinger Straße 95, Hinterhaus, zu finden, zog an Georgii 1892 (23. April) in die Lindenstraße 39 und 1899 in die Militärstraße 35, die heutige Breitscheidstraße. Hier liegen heute vier Stolpersteine für die Familie Rosenfeld / Behr, damals die Hausbesitzer.

Am 1. August 1903 erwarben die Firmen Gebrüder Rothschild und Gebrüder Engländer ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück an der Ecke Adler-/Mörikestraße, den Quadratmeter zu 42 Mark. Während die Gebrüder Engländer an der Adlerstraße bauten, errichteten die Gebrüder Rothschild ihr vierstöckiges Fabrikgebäude in der Mörikestraße 67, Zugang über die Adlerstraße. Ende Juni 1904 konnte die “Mechanische Trikotwarenfabrik und Strickerei” in ihr eigenes Gebäude umziehen. Sie stellte Damen- und Herrenunterwäsche sowie Jerseykleider her.

Im September 1920 übernahm mit Oskar, Bernhards ältestem Sohn, und Fritz, dem ältesten Sohn von Julius, die nächste Generation die Fabrik. Wenige Jahre später starb Bernhard Rothschild nach schwerer Krankheit im 71. Lebensjahr. Zwei Tage später, am 22. Mai 1923, erschienen im Stuttgarter Neuen Tagblatt eine Traueranzeige seiner Witwe Theresia und eine Anzeige der Mitarbeiter der Firma Gebrüder Rothschild: “Nachruf. Am 20. Mai verschied nach längerer Krankheit unser hochverehrter Chef Herr Bernhard Rothschild. Wir verlieren in ihm einen stets hilfsbereiten und für das Wohlergehen seiner Angestellten und Arbeiter treubesorgten Prinzipal. Seine unermüdliche Arbeitsfreudigkeit und Schaffenskraft wird uns auch ferner ein leuchtendes Vorbild bleiben. Ehre seinem Andenken.”

Richard Rothschild blieb mit seiner Mutter Theresia in der Hauptstätter Straße 89 wohnen. Die Familie hatte dort eine große 5-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock. Im Jahr 1936 allerdings mussten sie umziehen, denn das Haus hatte mit der Einkaufs- und Liefergenossenschaft für das Hafnergewerbe eGmbH einen neuen Besitzer bekommen, der Veränderungen vornahm. Richard und seine Mutter fanden in der Kornbergstraße 53 eine neue Wohnung. Nachdem Theresia Rothschild am 2. Mai 1937 gestorben war, musste Richard Rothschild erneut umziehen. Zwei Jahre lang lebte er nun in der Schwabstraße 17. Im Zuge der antijüdischen Wohnungspolitik musste er schließlich 1939 zwangsweise in die Lenzhalde 84, in ein Haus mit jüdischer Eigentümerin, umziehen.

Fabrik Rothschild Mörikestr. 67Ein Bruder von Teilhaber Fritz Rothschild, Carl-Bernhard Rothschild, wird im Adressbuch von 1923 als Eigentümer der Firma Caro Wäsche Carl B. Rothschild genannt, die zumindest vorübergehend in der Mörikestraße 67 Herrenwäsche herstellte. Die Mechanische Trikotwarenfabrik Gebrüder Rothschild selbst entwickelte sich in den 1920er Jahren äußerst erfolgreich. 1926 waren deshalb Zweiggeschäfte in der Botnanger Solitudestraße 38 und 14 eingerichtet worden. Ein Jahr später bezog die Firma mit ihren an die 150 Mitarbeiter neue Räume in der Heusteigstraße 105, im ehemaligen “Residenztheater”, das im Eigentum der Stuttgarter Ausstellungsgesellschaft war. Das Gebäude in der Mörikestraße wurde vermietet, zuerst an die Robert Friedel GmbH, Schokolade- und Zuckerwarenfabrik, dann an die Concordia Maschinen- und Elektrizitätsgesellschaft. Heute gehört das Gebäude zum Medienhaus der Fantastischen Vier.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor die Firma schnell an Umsatz, zumal sie schon im September 1935 in einer Schrift “Deutsche kauft nicht bei den Juden” aufgelistet wurde. Und im Mai 1937 etwa machte der Stuttgarter Oberbürgermeister Karl Strölin seinen Arbeitern, Angestellten und Beamten klar, dass es sich mit ihrer Eigenschaft als städtischer Mitarbeiter nicht vertragen würde, in jüdischen Geschäften zu kaufen. Dies galt natürlich auch für die Produkte jüdischer Firmen. Im November 1938 wurde die Firma “arisiert”, also an einen nichtjüdischen Eigentümer weit unter Wert verkauft. Käufer war die Firma Immendörfer & Linck aus der Furtbachstraße, die selbst schon „arisiert“ worden war. Der Kaufpreis war 148.000 Reichsmark. Laut Gutachter war allein der Maschinenpark 127.000 RM wert, wurde aber nur mit 37.000 RM berechnet. Kurze Zeit später wurde ein kleiner Bruchteil davon für 33.000 RM weiterverkauft. Im Jahr 1940 musste auch das Gebäude in der Mörikestraße verkauft werden. Judensteuern und andere Zwangsmaßnahmen sorgten dafür, dass am Ende der NS-Staat über das Vermögen, wie auch über das Hab und Gut der Familie Rothschild verfügte.

Bernhard Rothschild und seine Frau Theresia sind auf dem Pragfriedhof, Israelitischer Teil begraben, ebenso wie sein Bruder Julius Rothschild (+1937) und dessen Frau Mathilde (+1937). Bernhards Sohn Oskar Rothschild, bis zu seinem Ausschluss langjähriges Mitglied der Sektion Schwaben des Deutschen Alpenvereins, floh 1935 mit seiner Familie nach Palästina, wo er 1940 starb. Gusti Rindner konnte 1938 nach Israel auswandern. Fritz, der Sohn von Julius, hatte sich als Soldat im Ersten Weltkrieg sicher gefühlt. Er war im Herbst 1938 von der Gestapo verhaftet worden, da die Firma Gebrüder Rothschild aber noch von Deutschland dringend benötigte Devisen einbrachte, wurde er schnell wieder freigelassen. Er floh nach dem Verkauf der Firma 1939 nach Paris, wo er sich zusammen mit seiner Frau Helene verstecken konnte, bis sie von der Gestapo entdeckt und im Mai 1944 nach Auschwitz deportiert wurden. Während Fritz ermordet wurde, überlebte seine Frau Helene. Sohn Hans überlebte durch den Eintritt in die Fremdenlegion. Für Carl-Bernhard Rothschild, den Bruder von Fritz, der im Dezember 1942 ebenfalls in den Tod nach Auschwitz deportiert wurde, liegt bereits in der Hohenstaufenstraße 19 ein Stolperstein.

Richard Rothschild, Bernhards zweiter Sohn, wurde am 1. Dezember 1941 vom Stuttgarter Killesberg aus über den Nordbahnhof nach Riga deportiert, wo er im Januar 1942 den Tod fand, vermutlich verhungerte. In der Hauptstätter Straße 89, dort, wo er mit seinen Eltern rund 23 Jahre wohnte, wird nun ein Stolperstein an ihn erinnern.

Quellen: Stadtarchiv Stuttgart, Staatsarchiv Ludwigsburg

Text und Recherche: Irma Glaub, Wolfgang Kress