Berta Kahn, geb. Bauernfreund, und ihre geflohenen Kinder Senta, Heinz und Hans Max
Am Dienstag, 22.März 2016, wurden um 15:00 Uhr in der Sängerstrasse 8 in Stuttgart-Mitte Stolpersteine verlegt für Berta Kahn, geb. Bauernfreund, die am 1.12.1941 nach Riga deportiert und dort ermordet wurde. Verlegt werden auch Stolpersteine für ihre nach den USA, nach Bolivien und Südafrika geflohenen Kinder Senta, Heinz und Hans Max.
Berta Kahn wurde am 1.6.1889 in Schluchtern bei Heilbronn geboren. Sie stammte aus der alteingesessenen Händlerfamilie Bauernfreund. In jungen Jahren heiratete sie den Viehhändler Sigmund Kahn aus Baisingen bei Rottenburg, wo die beiden ihre Familie gründeten. 1910 kam Tochter Senta zur Welt, 1912 und 1916 die Söhne Heinz und Hans Max. 1928 verstarb Sigmund Kahn. Als Witwe zog Berta Kahn in den 30er Jahren nach Stuttgart zu ihrem Bruder Ludwig Bauernfreund, der dort eine Lampenfabrik betrieb. Von 1935 bis 1938 wohnte sie in der Sängerstrasse 8, zunächst zusammen mit ihrem Bruder und ihren Kindern. In Ludwigs Firma hatten auch Bertas Kinder Senta und Heinz Arbeit gefunden. Als sich die Verfolgung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger verschärfte, verkaufte Ludwig seine Firma und floh nach Palästina. Auch Bertas Kinder konnten sich retten. Senta – frisch verheiratet mit Walter Schwarz – floh mit ihm 1936 in die USA, Hans Max 1937 nach Südafrika und Heinz 1938 nach Bolivien: Eine Familie verteilt über vier Kontinente. Berta gelang die Flucht nicht mehr. Vergeblich wartete sie auf ein Visum für die USA, um das sich ihre Tochter bemühte.
Nach der Pogromnacht des 9.11.1938 musste Berta Kahn ihre Wohnung in der Sängerstrasse verlassen und zog in ein „Judenhaus“ in der Urbanstrasse 116, wo sie in sehr beengten Verhältnissen lebte; den größten Teil ihrer Wohnungseinrichtung konnte sie nicht mitnehmen. Wenig ist darüber bekannt, wie sie in den folgenden beiden Jahren in Stuttgart lebte. Es folgte der erzwungene Namenszusatz Sarah, es folgten die zahllosen Einschränkungen, Schikanen und Entrechtungen, es folgte die Pflicht, den gelben Stern zu tragen.
Dokumentiert ist die Erinnerung ihrer früheren Vermieterin in der Sängerstrasse:
„Die Frau Kahn habe ich später einmal gesehen. Sie ließ in meinem Geschäft die Brille reparieren. Wir haben sicher nicht mehr als einige nichtssagende Worte gesprochen.
Sie war scheu und verschüchtert und sehr bescheiden.“
Ende November 1941 musste sich Berta Kahn – eine unter tausend württembergischen Jüdinnen und Juden – im Sammellager auf dem Killesberg einfinden, angeblich um in den Osten „umgesiedelt“ zu werden. Am 1. Dezember 1941 startete der Deportationszug nach Riga in Lettland, wo Juden aus vielen deutschen Städten im Ghetto zusammengepfercht wurden. Im März 1942 wurden dort etwa 1.900 Arbeitsunfähige selektiert, unter dem Vorwand, sie in Dunamünde bei leichter Arbeit in der Fischverarbeitung einzusetzen. Sie wurden sie in den Wald von Bikerniki geschafft, dort erschossen und verscharrt.
Berta Kahn war 52 Jahre alt, als sie ermordet wurde. Ihr Enkel René Kahn kehrte Anfang der 70er-Jahre aus Bolivien nach Stuttgart zurück und engagiert sich hier für den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Deutschland.
Recherche: Harald Stingele & René Kahn
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Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
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Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
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Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
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Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
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Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
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Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
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Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
Hermine Wertheimer
zwangsevakuiert, deportiert und enteignet weiter