Wenn der Staat entscheidet, was lebenswert ist
Daß wir heute noch ein paar Informationen über das kurze Leben der Gerda Wild haben, ist den systematischen Recherchen der Stolperstein-Initiative Zuffenhausen zu verdanken. Durch Interviews im Stattteil konnten weitere Erinnerungen zusammengetragen werden:
Gerda Wild wurde am 21. Mai 1940 in Stuttgart Zuffenhausen geboren. Ihr Vater war Bauarbeiter. Ihre Schwester berichtet: “Sie war a ganz liebs Mädele”. Gerda konnte mit 3 Jahren noch nicht sprechen, aber sich verständlich machen und ihre Bedürfnisse ausdrücken, zum Beispiel, wenn sie Zucker auf ihren Schnulli haben wollte.
Als ihre 6jährige Schwester am 21.9.1943 aus der Schule kam, war Gerda verschwunden. Die Mutter berichtete, dass eine Krankenschwester gekommen sei und die Kleine mitgenommen habe. Der Vater meinte am Abend: “hättst sie ihr net mitgebbe”.
Doch die Nazi-Ärzte ließen den Eltern keine Entscheidungsfreiheit, ihr Kind bei sich zu behalten. Der damals üblichen Praxis folgend wurde Gerda in die sog. "Kinderfachabteilung" der Heilanstalt Eichberg eingewiesen. Nach wenigen Tagen kam die Nachricht, Gerda sei an einer Lungenentzündung gestorben.
Gerda war ein kleines Mädchen mit einer Entwicklungsverzögerung, die sie hätte aufholen können, wenn sie nicht in Eichberg ermordet worden wäre. Seit April 2013 erinnert ein Stolperstein im Reinhold-Brändle-Weg 8 (früher: In den Pliensäckern 19 c) in Zuffenhausen an diese Geschichte.
Was geschah in den „Kinderfachabteilungen“?
Unter dem Namen „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ wurde 1939 eine Organisation geschaffen, die geisteskranke und missgebildete Kinder, zunächst bis zum Alter von drei Jahren erfasste, später auch ältere.... Das alles sollte unter strengster Geheimhaltung geschehen.“ (Elisabeth Zöller, Anton oder die Zeit des unwerten Lebens, Fischer Taschenbuchverlag, 2012)
Hebammen und Ärzte wurden verpflichtet, Kinder mit Missbildungen und Behinderungen zu melden. Auf die Eltern wurde dann Druck ausgeübt, sie zur „Behandlung“ in „Kinderfachabteilungen“ zu geben, wo angeblich eine Therapie der Missbildung oder Behinderung möglich wäre.
Diese „Kinderfachabteilungen“ waren aber „getarnte Einrichtungen zur Tötung von missgebildeten Neugeborenen und behinderten älteren Kindern, das heißt von Kindern mit einem ‚schweren angeborenen Leiden‘. ‚Behandlung‘ bedeutete Tötung durch Verabreichung einer Überdosis von Tabletten oder Spritzen eines starken Schlafmittels, hauptsächlich des Medikamentes Luminal.“ (Karl-Horst Marquart: Stuttgarter NS-Täter, 2009, S.105.) Auf den Totenscheinen wurden die Todesursachen gefälscht und erlogene natürliche Todesursachen wie z.B. Lungenentzündung angegeben.
STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
Künstler*innen bleiben gerade auch in diesen Zeiten präsent und begegnen einem konkreten Stuttgarter Stolperstein oder einem anderen Ort, der in Stuttgart an die Verfolgungen in der NS-Zeit erinnert
http://www.stolperkunst.de/stolperblick-stolperkunst-in-coronazeiten/
Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
...ein Projekt der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen gegen Geschichtsvergessenheit!
Warum Stolpersteine?
Für Hannelore Levi und ihre Eltern Berta und Ernst, letztere 1942 in Riga ermordet, wurden im Herbst 2017 Stolpersteine in Stuttgart verlegt. Pip McCosh (*1965, Neuseeland), Tochter von Hannelore Levi (*1928, Stuttgart, gest. 2012, Neuseeland) schrieb am 22. Januar 2018 eine e-mail, die anschaulich zeigt, dass Stolpersteine ihre Schleifen bis ins Hier und Jetzt ziehen...
Übersichtskarte der Stolpersteine
in der Reihe TÜBINGER JUDAISTISCHE STUDIEN erschienen:
Briefe zur JÜDISCHEN EHEVERMITTLUNG 1911-1921
Publikationen aus dem Stuttgarter Norden
Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
Herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter
Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
Postkarten aus Theresienstadt von Gertrud Nast-Kolb an ihre Tochter Ilse in Stuttgart (1944-1945)
heraus-gegeben von Margot Weiß
Verlegt
Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
heraugegeben von Elke Martin
Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
weiter
Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
Letzter frei gewählter Wohnort:
Hohentwielstrasse 146 B, Stuttgart Süd
Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
Hermine Wertheimer
zwangsevakuiert, deportiert und enteignet weiter