Siegfried und Irma Dreyfuss geb. Neumann
Siegfried Dreyfuß wurde am 06.03.1890 in Öhringen geboren. Dort macht er den Mittelschulabschluss sowie eine kaufmännische Lehre. Er ist Kriegsteilnehmer und wird danach Teilhaber der alteingesessenen Heilbronner Firma M. DREYFUSS & SÖHNE, ein Geschäft, welches vermutlich 1908 sein Vater gegründet hatte. Seine Brüder beteiligen sich zunächst, steigen bereits 1933 aus. Die Mutterfirma mit Niederlassungen in Mannheim und Reutlingen wird 1936 vom Schrott- und Metallwerk Schwarz & Lindauer übernommen (arisiert).
Im Jahre 1920 heiraten Siegfried Dreyfuß und Irma Dreyfuß geb. Neumann. Sie wurde am 26.02.1897 in Georgensgemünd geboren. Aus der Ehe gehen zwei Töchter hervor: Ruth geb. 19.03.1921 in Heilbronn (verheiratete Wolf) und Hannelore (verheiratete Wertheimer) geb. 16.02.1926 in Heilbronn.
Familie Dreyfuß wohnt bis zu ihrem Umzug 1937 in Heilbronn in der Schillerstraße 12 im eigenen Haus. Die Arisierung der Firma entzieht ihnen die Lebensgrundlage. Als erfolgreiche, wohlhabende und stadtbekannte Heilbronner Familie suchen sie in Stuttgart die Anonymität der Großstadt. Ihr Familienunternehmen aufgegeben zu haben, empfinden sie als Schmach.
Sie ziehen am 01.April 1937 nach Stuttgart und wohnen nun in der Seestraße 112 im 2. Stock. Wie sich herausstellen sollte, in ein sog. „Judenhaus“. Das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden, vom 30.04.1939 engt nun ihren Wohnraum und Lebensgewohnheiten dramatisch ein. Schon nach zwei Jahren in Stuttgart fassen sie den Entschluß, am 19.Mai 1939 mit ihrem gesamten stattlichen Hausstand nach Straßburg zu ziehen. Von dort gelingt ihnen unmittelbar nach Kriegsausbruch noch die Flucht nach Lyon, d.h. in nicht von deutschen Truppen besetztes Gebiet. Ihr Mobiliar verbleibt, deklariert als „volks- und reichsfeindliches Vermögen“, in Straßburg. In Lyon kommen sie in der Rue Waldeck-Rousseau 54 unter.
Über die Zeit des persönlichen Schicksals der Familie Dreyfuß ab September 1939 wissen wir so gut wie nichts. Bekannt ist natürlich, dass sich auch im besetzten Frankreich zunehmend antisemitische Tendenzen in der praktischen Politik zeigen.
So ordnen deutsche Behörden im Juni 1942 an, dass auch alle französischen Juden ab dem sechsten Lebensjahr den gelben Judenstern zu tragen haben. Freilich gibt es auch Unterschiede: französische Untergrundorganisationen setzen sich erfolgreich für die Rettung von jüdischen Kindern ein, deren Eltern deportiert wurden. Beide Töchter der Familie verdanken vermutlich diesem Umstand ihr Leben, auch sie waren ja von Verhaftung und Deportation bedroht.
Der „Suchdienst Arolsen“ schreibt am 09.11.1955: „ Herr Dreyfuss Siegfried wurde im Sammellager Drancy am 3. September 1943, von Lyon kommend, interniert. – Er ist am 12.10. 1943 im Konzentrationslager Auschwitz verstorben.“ - Wir müssen annehmen, dass seiner Ehefrau Irma Dreyfuß das gleiche Schicksal wiederfuhr.
Aus weiteren Deportationsunterlagen lassen sich folgende, wenn auch nicht eindeutig verlässliche Folgerungen ziehen: -- Am 7. Oktober 1943 könnten Siegfried und Irma Dreyfuß gemeinsam mit weiteren 105 Personen aus Lyon im Transport Nr. 60 nach Drancy, dem Sammellager nördlich von Paris deportiert worden sein. Dazu heißt es weiter, dass sich am 3. Oktober 1857 Häftlinge in Drancy befunden haben, darunter 1044 „abschubfähige“ Personen. Bei der Ankunft in Auschwitz am 10. Oktober wurden 340 Männer und 169 Frauen zur Arbeit selektiert. Der Rest des Transports wurde sofort vergast. Der Todesort ist mit großer Wahrscheinlichkeit Auschwitz, das Datum ihres Todes ist weniger sicher, auch die Frage, ob sie durch „Gas“ oder durch „Arbeit“ ermordet wurden, lässt sich nicht eindeutig klären. –
Siegfried und Irma Dreyfuß hatten hier in der Seestraße ihren letzten selbstgewählten Wohnsitz, zwei Stolpersteine wollen seit 22.11.2011 daran erinnern.
Recherche und Text: Initiative S-Nord, Josef Klegraf.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg und Stadtarchiv Stuttgart.
STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
Künstler*innen bleiben gerade auch in diesen Zeiten präsent und begegnen einem konkreten Stuttgarter Stolperstein oder einem anderen Ort, der in Stuttgart an die Verfolgungen in der NS-Zeit erinnert
http://www.stolperkunst.de/stolperblick-stolperkunst-in-coronazeiten/
Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
...ein Projekt der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen gegen Geschichtsvergessenheit!
Warum Stolpersteine?
Für Hannelore Levi und ihre Eltern Berta und Ernst, letztere 1942 in Riga ermordet, wurden im Herbst 2017 Stolpersteine in Stuttgart verlegt. Pip McCosh (*1965, Neuseeland), Tochter von Hannelore Levi (*1928, Stuttgart, gest. 2012, Neuseeland) schrieb am 22. Januar 2018 eine e-mail, die anschaulich zeigt, dass Stolpersteine ihre Schleifen bis ins Hier und Jetzt ziehen...
Übersichtskarte der Stolpersteine
in der Reihe TÜBINGER JUDAISTISCHE STUDIEN erschienen:
Briefe zur JÜDISCHEN EHEVERMITTLUNG 1911-1921
Publikationen aus dem Stuttgarter Norden
Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
Herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter
Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
Postkarten aus Theresienstadt von Gertrud Nast-Kolb an ihre Tochter Ilse in Stuttgart (1944-1945)
heraus-gegeben von Margot Weiß
Verlegt
Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
heraugegeben von Elke Martin
Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
weiter
Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
Letzter frei gewählter Wohnort:
Hohentwielstrasse 146 B, Stuttgart Süd
Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
Hermine Wertheimer
zwangsevakuiert, deportiert und enteignet weiter