Heinrich Pincus
Furtwängler Str. 18
Ausflug auf den Heuberg - strafbare Betätigung in einer verbotenen Organisation
Heinrich Pincus wurde am 8. August 1875 in Bromberg geboren.
Bromberg war damals eine preußische Grenzstadt in der Provinz Posen, angrenzend ans zaristisch besetzte Polen. Im Adressbuch von Bromberg von 1891 sind 6 Familien mit dem Namen Pincus verzeichnet. Im Jahre 1889 waren es noch 4 und im Jahre 1905 schließlich nur noch eine Familie Pincus. Ob diese Familien in irgendeinem Zusammenhang mit unserem Heinrich Pincus stehen oder warum sie von dort wegezogen sind, war nicht zu ermitteln.
Aus einem Adressbuch der damals noch selbstständigen Gemeinde Botnang von 1913 geht jedoch hervor, dass er in der Feuerbacher Str. 61 p. als „Platzmeister“ gemeldet war. Ebenso lässt sich nachweisen, dass er am 13.7.1912 die Ehe mit der Helene Katharine Pincus, geb. Hofele geschlossen hat. Am Tage seiner Hochzeit ist er zum evangeischen Glauben konvertiert. - Seine Frau stammt aus einer Botnanger Familie.
Heinrich Pincus war laut den Adressbüchern der Stadt Stuttgart von 1923 bis 1931 in der Gartenstr. 53 (heutige Franz-Schubert-Str.) und von 1931 bis 1942 in der Himmerreichstr. 2 gemeldet. Die Familie wohnte in einer kleinen Dachwohnung. Als Beruf ist jeweils „Packer“ angegeben. Aus alten Mitgliedskarten geht hervor, dass er wahrscheinlich Zeit seines Lebens als Arbeiter sein Dasein fristete. Aus den Karteikarten geht hervor, dass er von 1937- Dezember 1939 immer in kürzeren Zeiten als Hilfsarbeiter beschäftigt war, darunter auch von 3.1.38 bis 15.1.38 und 14.2.38 – 26.2.38 beim Städtischen Fuhramt. Danach mit immer mehreren Unterbrechungen bis zum Dezember 1939 bei einer Baufirma.
Begütert dürfte die Familie wohl nicht gewesen sein. Sein „Fehler“ im Sinne der Nazi-Ideologie war, dass er „Jude“ war.
Am 24.5.1941 ist seine Frau an „Herzlähmung“ gestorben. Der Tod wurde dem Standesamt durch ihre Schwester angezeigt.
Danach ist zu vermuten, dass er nach Stuttgart umziehen musste. Die Nazis wollten ihre „Juden“ unter Kontrolle haben. Die jüdische Bevölkerung in Stuttgart durfte damals mit ihren, mit einem „J“ gestempelten Lebensmittelkarten, nur in einem Geschäft dem sogenannten Judenladen in der Seestr.39, in Stuttgart einkaufen. Sie durften keine Straßenbahnen und keine Bänke benutzen, mussten alles zu Fuß erledigen.
Auch in der sogenannten „Judenliste“ der Stadt Stuttgart findet sich der Name Heinrich Pincus, mit Zusatz „Israel“ hinter dem Vornamen. In dieser „Judenliste“ wird er ab 1941 als wohnhaft in der Eberhardtstr. 23 in Stuttgart geführt. Dieses Haus war in „nichtarischem Besitz“, ob es ein sogenanntes Judenhaus war lässt sich jedoch mit Sicherheit nicht sagen.
Am 22. August 1942 wurde der 67-jährige mit anderen jüdischen Mitbürgern über den Stuttgarter Nordbahnhof nach Theresienstadt verschleppt. In der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ am Stuttgart Nordbahnhof ist auch sein Name aufgeführt.
Schließlich, am 5. März 1944, ist er, wie auch 38.000 andere Leidensgenossen, im KZ Theresienstadt ermordet worden.
Bezeichnend für die deutsche, bürokratische Gründlichkeit ist, dass selbst im KZ Theresienstadt fein säuberlich der Geburtstag, sein Familienstand und die Religionszugehörigkeit (evangelisch) notiert wurden.
Bis auf zwei ältere Mitbürger aus Botnang konnte sich bis jetzt niemand mehr an Heinrich Pincus und seine Frau erinnern.
Das damalige junge Mädchen erinnert sich zwar, dass es Heinrich Pincus gegeben hat und dieser plötzlich weg war. Mehr ist ihr nicht mehr in Erinnerung.
Etwas besser erinnern kann sich ein im Jahre 1941 7-jähriger Nachbarsjunge. Der jetzt 75-jährige berichtete bei der Stolpersteinverlegung wie er zu Ostern 1941 von Heinrich Pincus ein Osternest mit Süßigkeiten und einen großen Schokoladenhasen bekommen hat. Ein paar Monate danach war Heinrich Pincus plötzlich weg. Warum und weshalb war ihm damals nicht bekannt und wurde ihm auch nicht gesagt. Er hat sich jedoch in den folgenden Jahren immer mal wieder gefragt was aus Heinrich Pincus wurde. Erst ihm Zusammenhang mit der Stolpersteinverlegung hat er über das weitere Schicksal von Heinrich Pincus erfahren.
Am 6. Oktober 2009 wurde in der Himmereichstr. 2 in Stuttgart-Botnang ein Stolperstein für Heinrich Pincus verlegt.
Recherche und Text: Initiative Stolpersteine Stuttgart-Botnang, Jörg Gaiss.
Quellen: Stadtarchiv Stuttgart: Judenliste, Adressbücher. Maria Zelzer: "Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden". Landeskirchliche Archiv, Stuttgart.
STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
Künstler*innen bleiben gerade auch in diesen Zeiten präsent und begegnen einem konkreten Stuttgarter Stolperstein oder einem anderen Ort, der in Stuttgart an die Verfolgungen in der NS-Zeit erinnert
http://www.stolperkunst.de/stolperblick-stolperkunst-in-coronazeiten/
Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
...ein Projekt der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen gegen Geschichtsvergessenheit!
Warum Stolpersteine?
Für Hannelore Levi und ihre Eltern Berta und Ernst, letztere 1942 in Riga ermordet, wurden im Herbst 2017 Stolpersteine in Stuttgart verlegt. Pip McCosh (*1965, Neuseeland), Tochter von Hannelore Levi (*1928, Stuttgart, gest. 2012, Neuseeland) schrieb am 22. Januar 2018 eine e-mail, die anschaulich zeigt, dass Stolpersteine ihre Schleifen bis ins Hier und Jetzt ziehen...
Übersichtskarte der Stolpersteine
in der Reihe TÜBINGER JUDAISTISCHE STUDIEN erschienen:
Briefe zur JÜDISCHEN EHEVERMITTLUNG 1911-1921
Publikationen aus dem Stuttgarter Norden
Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
Herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter
Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
Postkarten aus Theresienstadt von Gertrud Nast-Kolb an ihre Tochter Ilse in Stuttgart (1944-1945)
heraus-gegeben von Margot Weiß
Verlegt
Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
heraugegeben von Elke Martin
Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
weiter
Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
Letzter frei gewählter Wohnort:
Hohentwielstrasse 146 B, Stuttgart Süd
Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
Hermine Wertheimer
zwangsevakuiert, deportiert und enteignet weiter