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Adolf Rosenfeld, Alexanderstr. 177

Adolf Rosenfeld war bereits 46 Jahre alt, als er 1920 die damals 27-jährige Betty Edinger aus Kehl heiratete. Das eingebrachte Vermögen seiner Frau machte es ihm möglich, zusammen mit dem Teilhaber Max Kahn ein Geschäft in Stuttgart am Marktplatz 21 zu betreiben. Die Geschäfte schienen anfangs gut zu laufen, immerhin waren 3 Verkäuferinnen, 2 Lehrmädchen und 1 Laufbursche beschäftigt. Ob Adolf Rosenfeld aktiv oder nur als stiller Teilhaber am Geschäft beteiligt war, ist nicht ersichtlich.
1930 wird die Tochter Elly in der Alexanderstr. 177 geboren, wo die Familie laut Adressbuch seit 1930 geführt wird. Nach Aussagen der Mitbewohnerin Emma Renz, damals noch ein Kind, waren die Rosenfelds angenehme und ruhige Mieter.
Die Wohnung im 3. OG war herrschaftlich eingerichtet und ausgestattet mit Küche und Badezimmer.
Das Wohnen in der großzügigen 4-Zimmer-Wohnung wurde ermöglicht durch das Vermögen von Betty, die viel Geld in die Ehe einbrachte und das sowohl in das Geschäft als auch in die Wohnungseinrichtung investiert wurde. Die Familie war so wohlhabend, dass sie sich bis1933 ein ständiges Dienstmädchen leisten konnte. Ab 1933 wurde Käthe Weinmann, damals 25 Jahre alt, Zugehfrau bei der Familie und half in der Woche 2-3 mal für ein paar Stunden aus. Sie entwickelte mit der Zeit ein enges Verhältnis zur Familie und blieb auch nach 1935 noch in Kontakt. Sie beschrieb die Situation folgendermaßen: ?Die Eheleute bewohnten damals eine gut eingerichtete 4-Zimmer-Wohnung. Sämtliche Räume waren mit Teppichen belegt. Sie hatten keine Untermieter.? Auch Tochter Elly hat die elterliche Wohnung als sehr elegant und mit einem Telefon in Erinnerung.
Ende der 20 er Jahre begannen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Geschäft ?Haus und Küche? am Markplatz. Im Juni 1929 wurde das Vergleichsverfahren eröffnet, um den Konkurs abzuwenden. Möglich war dies durch die Bereitstellung von 2 Bürgschaften. Hintergrund für die Schwierigkeiten waren die Weltwirtschaftskrise und vermutlich die Verschlechterung der Geschäftslage durch die Verlegung des Gemüsemarktes vom Marktplatz weg und den dadurch hervorgerufenen Wegfall von Kundschaft an den 3 Markttagen sowie die Niederlassung des Warenhauses Schocken, etwa 200 Meter entfernt.

Im Oktober 1929, Adolf Rosenfeld war jetzt bereits 55 Jahre alt, meldete er ein Geschäft an als ?Kleinhandel mit Textil- und Stahlwaren?. Sitz war die Wohnung in der Alexanderstr. 177. Ob dieses Geschäft gut ging, ob Herr Rosenfeld tatsächlich Vertreter von Textilfirmen gewesen ist und sogar Fürstenhäuser beliefert hat, wie er sich einmal äußerte, oder ob er Decken und Bettwäsche an Krankenhäuser verkaufte, wie er zu einer anderen Zeit sagte, oder ob er sich nur knapp über Wasser halten konnte und von anderen Vermögensquellen lebte, wie später vermutet wurde, ist nicht geklärt. Immerhin konnte man noch auf Einnahmen aus dem Grundbesitz in Kehl zurückgreifen. Die Fakten weisen jedenfalls darauf hin, dass er bis Oktober 1938 tätig war, denn sein Telefonanschluss in der Wohnung und ein Konto auf dem Postscheckamt wurden dafür genutzt.
Die Schwierigkeiten der Familie begannen 1935. Käthe Weinmann durfte wegen der ?Nürnberger Gesetze? ihre Tätigkeit als Zugehfrau nicht mehr ausüben und die Familie musste ohne Haushaltshilfe auskommen.
1939 wurde Tochter Elly, die 3 Jahre die Volksschule und die jüdische Schule besuchte, mit gerade mal 9 Jahren mit einem Kindertransport nach Frankreich geschickt, und so der Verfolgung entzogen.
1940 musste die Familie in eine 4-Zimmer-Wohnung im EG in der Zellerstr. 8 umsiedeln, die sie mit einer anderen jüdischen Familie teilen musste. Die neue Bleibe bedeutete eine wesentliches Absinken des Lebensstandards. Laut Käthe Weinmann musste Herr Rosenfeld einen großen Teil seiner Einrichtung verschleudern.
Ehefrau Betty litt derart an psychischen Beschwerden, dass sie sich ins Bürgerhospital zur Behandlung in die Nervenabteilung begeben musste. Nach ihrer Heimkehr wurde sie in der Wohnung Zellerstr. 8 von einer privaten Krankenschwester betreut und gepflegt. Den Grund für den psychischen Zusammenbruch schilderte Käthe Weinmann so: “Die Eltern waren sehr schmerzlich betroffen, dass sie Elly als kleines Kind weggeben mussten, weil diese hier nicht zur Schule gehen konnte. Es hieß, Frau Rosenfeld sei Opfer ihrer Zeit geworden.” Betty starb am 9. September 1941 und wurde auf dem jüdischen Teil des Pragfriedhofs begraben.

Offensichtlich hat sich Adolf Rosenfeld Gedanken über das Auswandern gemacht. Käthe Weinmann erinnert sich:
“Er hat gesagt, er besitze viel Geld. Er wolle aber nicht auswandern, weil er sonst im Ausland ein Bettler wäre. Er dachte auch, es geschehe ihm nichts, weil er im 1. Weltkrieg Offizier gewesen sei.” Seine Meinung änderte er auch nicht, als er ab September 1941 den Judenstern tragen musste. Diese Zuversicht wurde ihm zum Verhängnis.
Am 25.3.1942 wurde Adolf Rosenfeld von der Zellerstrasse in das jüdische ?Altersheim? Tigerfeld im Kreis Münsingen evakuiert. Kurz bevor er nach Tigerfeld kam, äußerte er sich gegenüber Käthe Weinmann, dass ihm seine verbliebene Wohnungseinrichtung beschlagnahmt worden sei. Um ihn zu unterstützen, hat sie ihm einige Lebensmittelpakete nach Tigerfeld geschickt. Ostern 1942 hat Käthe Weinmann von dort noch eine Postkarte von ihm erhalten. Das war das letzte Lebenszeichen von Adolf Rosenberg.

Am 19.8.1942 werden 40 Personen, darunter der fast siebzigjährige Adolf Rosenfeld, von Tigerfeld mit einem fahrplanmäßigen Zug über Reutlingen nach Stuttgart zurückgebracht ? auf den Killesberg.
Am 22. August 1942 wird Herr Rosenfeld in einem Zug,  mit über 1.000, meist alten Menschen, vom Nordbahnhof ab, in das angebliche ?Altersghetto? Theresienstadt deportiert.
5 Wochen später ist sein Leben zu Ende: am 29.9.1942 wird er mit einem wahrhaften Todeszug nach Treblinka geschickt, wo die Menschen in aller Regel vom Zug aus in einer der zuletzt 10 Gaskammern den Gastod erleiden. Sein Tod wird von Amts wegen auf den 10.10.1942 festgestellt.

2009 / Elisabeth Tielsch, Stuttgart-Süd