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Laura Marcus, Alexanderstr. 180

Die Sprachlehrerin und Dolmetscherin Laura Marcus hatte ein durch eigene Berufstätigkeit ausgefülltes Leben geführt, was damals für eine Frau nicht selbstverständlich war.
Geboren am 30.9.1879 in Stuttgart, die Familie wohnte zu der Zeit in der Weißenburgstraße 8, erlebte sie zusammen mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Betty eine behütete Kindheit.

Sie wuchsen in der Innenstadt auf, wo ihr Vater Emil Marcus als Kaufmann eine “Kurz-, Galanterie- und Schreibmaterialien-Handlung” betrieb; zuerst in der Eberhardstraße 65, diesem heute noch erhaltenen stattlichen Gründerzeitbau neben dem Tagblattturm mit seinen immer noch zahlreichen Läden im Parterre.  Die Jugendjahre vom 4. bis 15. Lebensjahr (1883-1894) erlebte Laura im Haus Königstraße Nr. 50.  Der Vater hatte hier sein Geschäft neben dem des Hausbesitzers Franz (früher Anton) Entreß.  Es waren sicher die sorglosesten Jahre der Familie Marcus.

1895 wurde das bisher schlichte Gebäude aufwendig mit viel Fassadenschmuck renoviert, die Familie musste ausziehen. Sie wohnte nacheinander kurz in der Calwer- und Marienstraße, der Vater handelte jetzt mit Manufakturwaren und Damenkonfektion.  1898 betrieb nur noch seine Frau, Emma Marcus, eine Damenschneiderei.  1900 begann Emil Marcus neu mit einer “Maschinenstickerei und Dampf-Plisseebrennerei” in der Calwerstraße.

Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Eltern ließen Laura schon früh Verantwortung tragen, auch für die jüngere Schwester Betty, die körperbehindert war.  Vorbild für eine baldige eigene Berufstätigkeit wird auch ihre Mutter gewesen sein.  Laura  wurde Sprachlehrerin an Höheren Schulen und betätigte sich außerdem als Dolmetscherin und Übersetzerin.

Im Jahr 1907, Laura war 28 Jahre alt, trennten sich die Eltern.  Die Mutter, Emma Marcus, führte das Geschäft alleine weiter in der Marienstraße, Emil Marcus zog in die Schlosserstraße 33.  Lebte Laura mit ihrem Vater schon hier oder zog sie erst 1911, als der Vater starb, in diese Wohnung?

Von 1917 bis 1937, 20 Jahre lang, wohnte Laura Marcus dann in dem mit Erkern und Türmchen verzierten Haus Alexanderstraße 180, Ecke Immenhoferstraße, damals ein Neubau, in einer geräumigen Wohnung im 2. Stock.  Hier arbeitete sie als Übersetzerin und Sprachlehrerin, führte zeitweise eine eigene Privatschule.  Sie unterstützte finanziell laufend ihre Schwester Betty, die seit 1905 in München mit ihrem Mann, dem Kunstmaler A. Holzer und der Tochter Alexandrine in sehr bescheidenen Verhältnissen lebte.  Betty sagte nach 1945 im Wiedergutmachungs-Verfahren:  “…Da sie (Laura) unverheiratet war, betrachtete sie meine Unterstützung als eine Selbstverständlichkeit.  Nach Erlass der Nürnberger Gesetze (1935) konnte sie ihren Beruf nicht mehr ausführen.  Von da an war sie nicht mehr in der Lage, mir eine Hilfe zu gewähren…”

Berufsverbot und Vermögensabgaben für Juden zwangen Laura, die schöne Wohnung in der Alexanderstraße aufzugeben. 1938 zog sie in die Lange Straße 6 in der Innenstadt und eröffnete hier ein Schreib- und Vervielfältigungsbüro, ein verzweifelter Versuch, den Lebensunterhalt zu verdienen.
1940 wurde ihr auch dies unmöglich, sie wurde zwangseingewiesen in das sogenannte Judenhaus Reinsburgstraße 107, dessen Besitzer ein Jude war, Zwangsadresse für 14 jüdische Namen, erkennbar an den Zusätzen Israel und Sara; eng zusammengedrängt lebten die Menschen dort, bereits gesammelt bis zum Abtransport  “nach dem Osten”,  wie es hieß.

Laura Marcus, im Alter von 61 Jahren, wurde gleich dem ersten Transport von Stuttgart aus zugewiesen, der am 1.12.1941 nach Riga abging.  Die israelitische Kultusgemeinde als die von der Gestapo beaufsichtigte Mittelstelle in der Hospitalstraße 36 musste den Ausgewählten selbst mitteilen, dass sie sich ein oder zwei Tage vor dem Abtransport im Sammellager auf dem Killesberg einzufinden hatten.  Im Morgengrauen des 1. Dezember 1941 mussten die 1013 Menschen in langem Zug teils selbst hinunter gehen zum Inneren Nordbahnhof, dem Güterbahnhof, teils wurden sie mit Lastwagen dorthin gefahren.
Die Unterkünfte im Eingangslager Jungfernhof bei Riga waren menschenunwürdig, die Häuser, Scheunen und Stallungen des ursprünglich landwirtschaftlichen Gutes beschädigt und die Menschen dem Schnee und der Kälte des strengen Winters ausgesetzt, jede Nacht erfroren Menschen.
Die genauen Umstände von Laura Marcus Tod sind unbekannt.  Wurde sie in eines der vielen Lager um Riga weiterverbracht, weil sie sich durch Arbeit noch nützlich machen konnte?  Erfror sie oder wurde sie erschossen?

In zwei Aufzeichnungen – dem Buch der Erinnerung und dem Gedenkbuch – aufgeschrieben in Yad Vashem in J “Sie starb in Riga.”

Recherche & Text:  2009 / Irma Glaub, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Süd.

Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart.