Geschwister Selma und Ludwig Weil
Die Geschwister Ludwig und Selma Weil stammten aus einer alten Laupheimer Familie.
Ludwig, geb. am 29.4.1866 in Laupheim und Selma, geb. am 13.4.1877 in Ulm, kamen erst später nach Stuttgart. Ihre Mutter, Lina Weil geb. Schönthal (1836-1912) war 1892 nach dem Tod ihres Mannes Julius Weil (1824-1891) mit ihrer einzigen Tochter Selma, damals erst 15 Jahre alt, nach Stuttgart gezogen. Die drei Söhne waren wesentlich älter. Die vier Kinder setzten der Mutter nach deren Tod 1912 einen heute noch prächtigen Grabstein aus schwarzem Marmor auf dem israelitischen Teil des Pragfriedhofs mit der liebevollen Inschrift „Der unvergesslichen Mutter!”
Zwei ihrer Kinder ruhen auch auf diesem Friedhof: Theodor Weil (1865-1930) und Dr. Max Weil (1867-1932), Nervenarzt in Stuttgart. Ihren Geschwistern Ludwig und Selma waren solche Ruhestätten nicht vergönnt! Auch die Töchter von Dr. Max Weil, Susanne und Marianne, wurden im Holocaust ermordet.
Ludwig, unverheiratet wie Selma, von Beruf Kaufmann mit Vertretungen, lebte 1912 in Straßburg, wie es auf der Traueranzeige für die Mutter im Stuttgarter Neuen Tagblatt heißt. 1918 ließ er sich in Stuttgart einen Pass ausstellen, er wohnte nun bei seiner Schwester Selma in der Sängerstraße 3, 1.Stock, wie vorher auch die Mutter.
Bis 1934 blieben sie dort, für Selma sind dies 25 Jahre, anfangs hatte sie mit der Mutter in der Neckar- und Urbanstraße gewohnt.
1935, Ludwig war jetzt 69 Jahre alt, zogen die Geschwister von der fast unten im Talkessel gelegenen Wohnung Sängerstraße Nr. 3 hinauf fast bis auf die Höhe der Gänsheide; am Hang zu Gablenberg wohnten sie nun für zwei Jahre in der Traubergstraße 16.
Vielleicht war ihnen diese schöne Wohngegend doch zu ruhig und abgelegen, denn 1937 bezogen sie die Erdgeschosswohnung in der Alexanderstraße 20. Sie hatten dort eine sehr gut eingerichtete große Wohnung. Bis 1940 durften sie in ihrer vertrauten Umgebung bleiben.
1941 mussten sie umziehen in zwei kleine Zimmer ins Haus Breitlingstraße 33 auf der Gänsheide. Sie wohnten mit vielen anderen hierher gezwungenen Juden zusammen, eine erste Sammlung für eine Evakuierung oder Deportation an andere Orte. Einen Teil ihrer wertvollen Einrichtung und ihres Hausrats hatten sie da schon verschleudern müssen, das Vermögen war davor schon eingezogen worden.
Im April 1942 werden die Geschwister getrennt, sie werden sich nie wiedersehen. Der 76jährige Ludwig kommt am 1. April 1942 nach Tigerfeld auf der Alb in ein „Jüdisches Wohnheim”, das die Nazis in einem ehemaligen Amtshaus des Klosters Zwiefalten zur Sammlung vor allem alter Menschen eingerichtet hatten.
Dort muss er auf seine Deportation nach Theresienstadt am 22. August 1942 warten. Die 65jährige Selma wird am 26. April 1942 gleich - ohne Zwischenstop - nach Izbica, Distrikt Lublin, deportiert. Beide Transportzüge verlassen Stuttgart vom Inneren Nordbahnhof aus, das haben Ludwig und Selma noch gemeinsam.
In Izbica, bahntechnisch günstig gelegen, war anfangs ein Ghetto für die ansässige polnische jüdische Bevölkerung, in das immer mehr Transporte auch aus dem Reichsgebiet kamen und das so allmählich zum Durchgangslager wurde. In Izbica verliert sich die Spur von Selma Weil.
In ihrem Buch "Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden" (1964) schreibt Maria Zelzer: "Der Transport mit dem Ziel Izbica (am 26. April 1942) nahm mit den arbeitsfähigen Erwachsenen auch die letzen jüdischen Kinder Stuttgarts mit. Keiner von den 278 Deportierten kam zurück. Einige Monate noch brachte die Post kurze Nachrichten, Lebenszeichen gequälter Menschen. Wer nicht schon durch schwerste Fronarbeit und an Hunger in den ersten Monaten umkam, wurde als „arbeitsuntauglich” den Vernichtungslagern Belzec oder Majdanek (oder Sobibor) übergeben. Auch Erschießungen gab es in Izbica".
Ludwig lebt wahrscheinlich noch in Tigerfeld, als Selma unter unvorstellbaren Umständen stirbt. Er wird am 22. August 1942 dem großen Transport mit etwa 1100 alten Menschen nach Theresienstadt zugeteilt, das die Gestapo ironisch als das jüdische Alterheim des Reichs bezeichnete und gleichzeitig als Vorzugslager galt. Viele der alten Menschen sterben gleich, an Raumnot, Hunger und Schmutz. Der über 76-jährige muss noch die Deportation am 26. September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka mit seinen zuletzt zehn Gaskammern nordöstlich von Warschau erleben.
So wie sich Selmas Spur in Izbica nach dem 26. April 1942 verliert, verschwindet ihr Bruder Ludwig in Treblinka nach dem 26. September 1942.
Recherche/Text: Irma Glaub, Finanzierung: Initiative S-Süd
Quelle: Landesarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart
ZEITGENOSSE DEMNIG
Für die SWR-2-Reihe "Zeitgenossen" hat Andreas Langen mit Gunter Demnig, Erfinder der Stolpersteine, gesprochen...
Podcast "gedenkworte" Akademie für gesprochenes Wort - Uta-Kutter- Stiftung und Initiative Stolpersteine Stuttgart-Ost
Das Sprecherensemble der Akademie für gesprochenes Wort spricht die Geschichte der Personen hinter den Stoplersteinen. Ein gemeinsames Projekt der Akademie für gesprochenes Wort und der Initiative Stolpersteine Stuttgart-Ost
STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
Künstler*innen bleiben gerade auch in diesen Zeiten präsent und begegnen einem konkreten Stuttgarter Stolperstein oder einem anderen Ort, der in Stuttgart an die Verfolgungen in der NS-Zeit erinnert
http://www.stolperkunst.de/stolperblick-stolperkunst-in-coronazeiten/
Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
...ein Projekt der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen gegen Geschichtsvergessenheit!
Warum Stolpersteine?
Für Hannelore Levi und ihre Eltern Berta und Ernst, letztere 1942 in Riga ermordet, wurden im Herbst 2017 Stolpersteine in Stuttgart verlegt. Pip McCosh (*1965, Neuseeland), Tochter von Hannelore Levi (*1928, Stuttgart, gest. 2012, Neuseeland) schrieb am 22. Januar 2018 eine e-mail, die anschaulich zeigt, dass Stolpersteine ihre Schleifen bis ins Hier und Jetzt ziehen...
Übersichtskarte der Stolpersteine
in der Reihe TÜBINGER JUDAISTISCHE STUDIEN erschienen:
Briefe zur JÜDISCHEN EHEVERMITTLUNG 1911-1921
Publikationen aus dem Stuttgarter Norden
Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
Herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter
Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
Postkarten aus Theresienstadt von Gertrud Nast-Kolb an ihre Tochter Ilse in Stuttgart (1944-1945)
heraus-gegeben von Margot Weiß
Verlegt
Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
heraugegeben von Elke Martin
Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
weiter
Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
Letzter frei gewählter Wohnort:
Hohentwielstrasse 146 B, Stuttgart Süd
Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
Hermine Wertheimer
zwangsevakuiert, deportiert und enteignet weiter