Zwei Stolpersteine für Nathan und Albert Fröhlich
Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 26.09.2007:
Zwei Stolpersteine für Nathan und Albert Fröhlich
Der 85-jährige Henry Fröhlich kommt zum Gedenken an seinen Vater und seinen Bruder zum Haus Rosenbergstraße 119
Bei seiner achten Aktion in Stuttgart hat der Künstler Gunter Demnig mehr als 30 neue Stolpersteine verlegt. Auf der Rosenbergstraße im Westen begegnete er dem eigens aus New York angereisten Henry Fröhlich. Dessen Vater und Bruder sind von den Nazis ermordet worden.
Von Thomas Borgmann
Als Gunter Demnig auf dem Pflaster kniet, um die beiden Gedenksteine mit den goldenen Messingschildern einzupassen, als plötzlich eine Frau vortritt, um wortlos Blumen niederzulegen, und als zwei junge Mädchen mit Gitarre und Querflöte musizieren - da verliert Henry Fröhlich immer wieder die Fassung. Die Bewohner des Hauses Rosenbergstraße 119, in dem die jüdische Familie Fröhlich einst gelebt hat, haben Stühle auf den Gehweg gestellt, damit der 85-Jährige und seine Frau Marian während der schlichten Zeremonie darauf Platz nehmen können. Passanten bleiben erst neugierig und dann betroffen stehen. Vierzig Menschen sind gekommen, um dabei zu sein, wenn an Nathan und Albert Fröhlich erinnert wird und an ihr grausames Schicksal in der Nazizeit.
Die Familie Fröhlich stammte aus Rottweil, wo auch ihre Söhne Albert, Hans und Max geboren wurden. Vater Nathan, Soldat im Ersten Weltkrieg, betrieb dort ein Schuhgeschäft. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, wurde das Leben für die jüdische Familie in Rottweil unerträglich. 1937 zog sie nach Stuttgart, Rosenbergstraße 119. Vater Fröhlich wurde Hausmeister in der Synagoge an der Hospitalstraße. Hans Fröhlich, der sich später Henry nannte, fand eine Lehrstelle in Bad Cannstatt; Albert, sein ältester Bruder, wurde, schwer körperbehindert, zu Hause von Privatlehrern unterrichtet.
In der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 brannte auch die alte Stuttgarter Synagoge. Am 12. November wurde Nathan Fröhlich verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Am 12. Dezember 1938 ist er dort ermordet worden. Sein behinderter Sohn Albert kam in ein katholisches Kinderheim, wo man ihn sicher wähnte. Jahrelange Nachforschungen haben ergeben, dass er höchstwahrscheinlich in der "Landesheilanstalt" Grafeneck bei Münsingen umgekommen ist. 10 600 behinderte Menschen haben die Nazis dort umgebracht.
"Ich bin schon viele Male in Stuttgart gewesen und auch in Grafeneck", sagt Henry Fröhlich. "Ich bin übrig geblieben, um die Geschichte meiner Familie aufzuschreiben." Er sei "dankbar für die großartige Aktion mit den Stolpersteinen, die Gunter Demnig ins Leben gerufen hat, und überwältigt, dass so viele Menschen heute hierhergekommen sind". Mit einer solchen Anteilnahme habe er nicht gerechnet.
Im Jahr 1940 war es Henry Fröhlich, seiner Mutter und seinem Bruder Max gelungen, in die USA zu flüchten. Zuvor hatte Henry Fröhlich als Mitarbeiter des jüdischen Oberrats in Stuttgart mit dazu beigetragen, dass viele schwäbische Juden die äußerst schwierig zu beschaffenden Ausreisepapiere bekamen. Nach harten Anfängen in Amerika glückte Henry Fröhlich eine Karriere als Kaufmann und Unternehmer in der Fotobranche, wo er es zu Wohlstand und Ansehen brachte. Freunde seiner Familie sagen, Henry Fröhlich sei trotz seines hohen Alters und der bitteren Erfahrungen in der Nazizeit stets hilfsbereit und sozial engagiert, noch immer beruflich aktiv und ein im Grunde heiterer Mensch. Sein Schwäbisch ist nicht zu überhören - gerade so, als wäre er nie aus Stuttgart weggewesen.
Der Kölner Gunter Demnig, der seit 2003 in 276 Städten und Gemeinden 12 500 Stolpersteine zum Gedenken an die NS-Opfer verlegt hat, kennt viele solche Schicksale. "Es ist für mich immer wieder anrührend, den Nachfahren der Opfer zu begegnen", sagt der 59-Jährige. Dann spendet er den Stuttgartern besonders Lob: "14 Initiativen in den Stadtbezirken, die meine Aktionen vorbereiten, und ein Tiefbauamt, das bei der Verlegung mithilft - das gibt es nirgendwo sonst." Dass jüngst in Vaihingen Stolpersteine beschädigt wurden, ärgert ihn, doch er sagt trotzig: "Wer gegen Stolpersteine vorgeht, macht sie nur noch bekannter."
Aktualisiert: 26.09.2007 06:13 Uhr
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im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
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die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
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Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
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