Selma Dinkelmann
Selma Dinkelmann, geb. Löwenberg, 1884 in Buttenhausen auf der Schwäbischen Alb geboren, lebte bereits seit 1923 als geschiedene Ehefrau eines Bankbeamten im 2. Stock des Hauses Am Kochenhof 1.
Am 1. Dezember 1941, im Alter von 57 Jahren, wurde Frau Dinkelmann wegen ihrer jüdischen Herkunft nach Riga deportiert und dort am 27.03.1942 ermordet. Ihr Sohn hatte noch rechtzeitig nach Brasilien auswandern können.
Dies ist alles was wir wissen vom Leben dieser Nachbarin. Sicher hat sich ihr Leben lange kaum von dem ihrer Mitbewohner in Haus Am Kochenhof 1 unterschieden.
Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 sollte sich dies ändern:
Wurden die Bürger jüdischer Herkunft zuerst nur beleidigt, verleumdet und benachteiligt, kamen nach den so genannten "Nürnberger Rassegesetzen" immer massivere Repressalien auf sie zu. Sie verloren die Arbeitsstelle, durften ihren Beruf nicht mehr ausüben und die Bürgerrechte wurden ihnen aberkannt. Aus den Vereinen wurden sie ausgeschlossen, öffentliche Veranstaltungen durften sie nicht mehr besuchen, ab September 1941 wurden sie mit dem Judenstern gebrandmarkt. Lebensmittel durften sie nur noch im einzigen "Judenladen" der Stadt in der Seestraße einkaufen, eine besondere Härte für weitab wohnende jüdische Bürger, weil sie auch keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen durften. Alle diese brutalen Maßnahmen, die unter den Augen der Öffentlichkeit durchgeführt wurden, sollten nur die so genannte "Endlösung" vorbereiten.
Im November 1941 erhielt Frau Dinkelmann die Aufforderung sich in den Ausstellungshallen des unmittelbar gegenüberliegenden Killesbergs einzufinden. Von allen Opfern aus Württemberg hatte sie wahrscheinlich am nächsten zu dieser Sammelstelle gewohnt. Unter der Vorspiegelung, sie würden zu einem Arbeitseinsatz in den Osten geschickt, wurden ab dem 27. November 1941 am Killesberg jüdische Bürger jeglichen Alters aus ganz Württemberg zusammengezogen. Mehrere Tage und Nächte wurden etwa 1000 Menschen, ob Greise oder Kinder, unter entwürdigenden Bedingungen in drangvoller Enge eingepfercht, bis sie dann am 1. Dezember auf dem Stuttgarter Nordbahnhof zur Fahrt in den Osten verladen wurden. Die Opfer hatten das Reisegeld von 57,65 Reichsmark selbst zu bezahlen, ihr Vermögen und ihre Wertsachen wurden eingezogen. Der Zug brachte sie zum Lager Jungfernhof bei Riga, dessen vorherige Insassen kurz zuvor ermordet worden waren. Wegen der extremen Bedingungen dort starben die Menschen täglich; die nicht Arbeitsfähigen, darunter viele Frauen und alle Kinder, wurden einige Monate später in einem nahe gelegenen Wald erschossen. Unter ihnen war auch Selma Dinkelmann, ihr Todestag wird mit dem 27.03.1942 angegeben.
Mit einem Stolperstein soll sie und ihr Schicksal vor dem Vergessen bewahrt werden.
11.11.2006, Jörg Kurz, Initiativkreis "Stolpersteine für Stuttgart-Nord"
Quellen: Staatsarchiv Ludwigswurg und Stadtarchiv Stuttgart
STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
Künstler*innen bleiben gerade auch in diesen Zeiten präsent und begegnen einem konkreten Stuttgarter Stolperstein oder einem anderen Ort, der in Stuttgart an die Verfolgungen in der NS-Zeit erinnert
http://www.stolperkunst.de/stolperblick-stolperkunst-in-coronazeiten/
Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
...ein Projekt der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen gegen Geschichtsvergessenheit!
Warum Stolpersteine?
Für Hannelore Levi und ihre Eltern Berta und Ernst, letztere 1942 in Riga ermordet, wurden im Herbst 2017 Stolpersteine in Stuttgart verlegt. Pip McCosh (*1965, Neuseeland), Tochter von Hannelore Levi (*1928, Stuttgart, gest. 2012, Neuseeland) schrieb am 22. Januar 2018 eine e-mail, die anschaulich zeigt, dass Stolpersteine ihre Schleifen bis ins Hier und Jetzt ziehen...
Übersichtskarte der Stolpersteine
in der Reihe TÜBINGER JUDAISTISCHE STUDIEN erschienen:
Briefe zur JÜDISCHEN EHEVERMITTLUNG 1911-1921
Publikationen aus dem Stuttgarter Norden
Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
Herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter
Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
Postkarten aus Theresienstadt von Gertrud Nast-Kolb an ihre Tochter Ilse in Stuttgart (1944-1945)
heraus-gegeben von Margot Weiß
Verlegt
Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
heraugegeben von Elke Martin
Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
weiter
Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
Letzter frei gewählter Wohnort:
Hohentwielstrasse 146 B, Stuttgart Süd
Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
Hermine Wertheimer
zwangsevakuiert, deportiert und enteignet weiter