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Erna Bickart, Gretchen Bohle und Marie Zinn, Koppentalstr. 3

Besitzerin des Hauses Koppentalstraße 3, war Erna Bickart. Unter dem Mädchennamen Rieser wurde sie am 17.09.1893 in Sulzburg geboren. Ihre Wohnung hatte sie seit 1920 im 1. Stock. Frau Bickart war Jüdin, sie war seit 1923 verwitwet. Anfang November 1941 erhielt sie die Nachricht von ihrer Deportation und wurde Ende November 1941 zunächst ins “Sammellager” auf dem Killesberg verbracht, um am 01.12.1941 vom Nordbahnhof aus nach Riga deportiert zu werden. Heute wissen wir: Riga war ein Todeslager; dort muss sie viel Grauenvolles durchgemacht haben. Nach unserer Ansicht wurde sie ermordet; in der Amtssprache gilt sie als “verschollen”.


Hier in der Koppentalstraße lebte die Künstlerfamilie Bohle. Philipp Karl Bohle, ein Kunstmaler, starb 1938. Gretchen Bohle, geb. Zinn, gab hier im Haus seit 1922 Klavierunterricht. Sie wurde am 19.01.1890 in Lichtenfels geboren; und wie ihre Hausnachbarin wurde auch sie am 01.12.1941 nach Riga deportiert, nachdem sie sich drei Tage vorher im Sammellager auf der Killesberg einzufinden hatte. Die nach Riga Deportierten ließen die Nazis bewusst im Unklaren über das Ziel ihrer Reise; das Wenige, was man ihnen gestattete, auf die  Reise mit zu nehmen, machte viele glauben, sie würden zu einer Besiedlungsaktion im Osten eingesetzt. Auch sie wurde dort ermordet.
Ihre Schwägerin, Marie Zinn, geb. Kupfer, geboren am 04.07.1861 in Burkunstadt, und Witwe eines Kommerzienrats, lebte seit 1933 im Hause; zwei Mal musste sie unter Androhung  von Strafe im Alter von 80 Jahren ihren Wohnsitz wechseln: zunächst wurde sie in  das sog. Jüdische Altenheim in der Heidehofstraße 9 und darauf dann noch am 10. März 1942 in das jüdische Wohnheim in Dellmensingen zwangseingewiesen. Auch sie erlebte mehrere Nächte im Lager auf dem Killesberg, bevor sie am 22. 08.1942 schließlich vom Nordbahnhof aus nach Theresienstadt deportiert wurde. Dort starb sie ca. zwei Wochen nach der Ankunft am 07.09.1942 unter nie geklärten Umständen.

Das Haus Koppentalstraße 3 war schon 1939 von der Stadt Stuttgart zu einem sog. “Judenhaus” erklärt worden: Judenhäuser befanden sich in jüdischem Besitz, sollten im Zuge der Endlösung “arisiert” werden. Diese Häuser, viele davon in Stuttgart Nord, waren von 1939-1942 heillos überbelegt, nicht selten teilte sich eine Familie mit einem Untermieter einen einzigen Raum. In einem Judenhaus lebten die Zwangseingewiesenen nur für kurze Zeit. Im Haus Koppentalstraße 3 waren es im Zeitraum 1939-1943 nicht weniger als 16 Mietparteien. Etliche warteten noch auf die Erlaubnis auszuwandern, manche ahnten aber schon, welches Schicksal sie erwartete.

Recherche & Text: Josef Klegraf, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Nord.

Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg und Stadtarchiv Stuttgart.