Familie Schneck
Wo sich heute ein großes Betriebsgelände erstreckt, standen bis Kriegsende einfache hölzerne Reihenhäuser mit improvisierten Gärten dazwischen. Hier wohnte die Familie Schneck, und sie lebte gerne hier. Mit den Nachbarn verstand sie sich gut. Die Kinder spielten mit den Nachbarskindern in den Gärten. Vater Josef handelte mit Geigen und antiquarischen Noten. Seine Heilkräuter-Kenntnisse waren bei Krankheiten gefragt. Ihm und seiner Frau Sofie war eine gute Bildung ihrer Kinder wichtig, wozu auch Klavier- und Gesangsunterricht gehörten. Freunde fanden die Kinder im St.-Nikolaus-Kindergarten und in der Ostheimer Schule. Elisabeth besuchte mit ihrem Bruder Donatus, einem ungewöhnlich begabten und sportlichen Jungen, die gleiche Klasse der Ostheimer Schule. Sie gingen gerne dort hin, bis einzelne Lehrer begannen, die Sinti-Kinder zu drangsalieren.
Im Spätwinter 1943 erhielt Josef Schneck die Warnung vor einer drohenden Verhaftung. Die Familie flüchtete sich zu den Großeltern nach München. Doch am 13. März 1943 wurde die ganze Familie samt Großeltern nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Das dortige "Zigeunerlager" hatte den Zweck, die im Reichsgebiet von der Polizei aufgegriffenen Sinti und Roma zu vernichten. Das Lager bestand aus 32 Pferdestall-Baracken, die mit 3-stöckigen Pritschen vollgestellt waren. In eine Baracke wurden bis zu tausend Menschen gepfercht. Die Lagerleitung ließ die meisten Menschen durch Krankheit und Hunger sterben, die Übrigen durch Gas.
Bald nach ihrer Ankunft musste Familie Schneck das Sterben der dreijährigen Renate hilflos mit ansehen. "Opapa, ich will Broti, Butti, Zucki" war ihr letzter Satz vor dem Hungertod.
Der 19-jährigen Elisabeth Schneck gelang es, zu fliehen und unterzutauchen. Nach Kriegsende musste sie feststellen, dass ihre gesamte Familie tot und sie die einzige Überlebende war:
- Vater Josef, geboren am 21. März 1881, wurde am 13.Juni 1943 in Auschwitz ermordet.
- die Mutter, geboren am 1. Juli 1894 als Sofie Köhler, wurde am 29. April 1944 in Auschwitz ermordet.
- Schwester Paula, geboren am 29. Juni 1917, wurde am 9. Oktober 1943 in Auschwitz ermordet.
- Paulas kleine Tochter Renate, geboren am 13. Mai 1940 in München, verhungerte noch im März 1943 in Auschwitz.
- Bruder Donatus, geboren am 3. März 1925, wurde bei der Bombardierung der Gustloff-Werke am 24. August 1944 in Buchenwald getötet.
- Schwester Gisela, geboren am 20. Februar 1927, wurde am 27. September 1943 in Auschwitz erschlagen.
- Bruder Josef Maria, geboren am 8. August 1930, wurde am 29. April 1943 in Auschwitz ermordet.
Rechnet man ermordete Verwandte aus anderen Städten hinzu, fielen 30 Mitglieder der Familie dem Rassenwahn der Behörden zum Opfer.
In Anwesenheit der einzigen Überlebenden, Elisabeth Guttenberger, geb. Schneck, wurden die Stolpersteine am 14. März 2008 verlegt.
Die Inschriften lauten:
HIER WOHNTE | HIER WOHNTE | HIER WOHNTE | HIER WOHNTE | HIER WOHNTE | HIER WOHNTE |
JOSEF SCHNECK |
SOFIE SCHNECK GEB. KÖHLER | PAULINE 'PAULA' SCHNECK | DONATUS SCHNECK | GISELA SCHNECK | JOSEF MARIA SCHNECK |
JG. 1882 |
JG. 1894 |
JG. 1917 | G. 1925 | JG. 1927 | JG. 1930 |
DEPORTIERT 13.3.1943 | DEPORTIERT 13.3.1943 | DEPORTIERT 13.3.1943 | DEPORTIERT 13.3.1943 AUSCHWITZ-BIRKENAU | DEPORTIERT 13.3.1943 | DEPORTIERT 13.3.1943 |
ERMORDET 1943 IN | ERMORDET 29.4.1944 IN | ERMORDET 9.10.1943 IN | BUCHENWALD TOT 24.8.1944 | ERMORDET 27.9.1943 IN | ERMORDET 29.4.1943 IN |
AUSCHWITZ-BIRKENAU | AUSCHWITZ-BIRKENAU | AUSCHWITZ-BIRKENAU | LUFTANGRIFF AUF GUSTLOFF-WERK II |
AUSCHWITZ-BIRKENAU | AUSCHWITZ-BIRKENAU |
Heute setzt Elisabeth Guttenberger sich dafür ein, dass Sinti-Kinder eine optimale Bildung erhalten. Dazu hat sie den Verein "Bildung für Sinti und Roma in Ravensburg e.V." gegründet.
Recherche und Text: Stolperstein-Initiative Stuttgart-Ost
ZEITGENOSSE DEMNIG
Für die SWR-2-Reihe "Zeitgenossen" hat Andreas Langen mit Gunter Demnig, Erfinder der Stolpersteine, gesprochen...
Podcast "gedenkworte" Akademie für gesprochenes Wort - Uta-Kutter- Stiftung und Initiative Stolpersteine Stuttgart-Ost
Das Sprecherensemble der Akademie für gesprochenes Wort spricht die Geschichte der Personen hinter den Stoplersteinen. Ein gemeinsames Projekt der Akademie für gesprochenes Wort und der Initiative Stolpersteine Stuttgart-Ost
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Künstler*innen bleiben gerade auch in diesen Zeiten präsent und begegnen einem konkreten Stuttgarter Stolperstein oder einem anderen Ort, der in Stuttgart an die Verfolgungen in der NS-Zeit erinnert
http://www.stolperkunst.de/stolperblick-stolperkunst-in-coronazeiten/
Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
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Warum Stolpersteine?
Für Hannelore Levi und ihre Eltern Berta und Ernst, letztere 1942 in Riga ermordet, wurden im Herbst 2017 Stolpersteine in Stuttgart verlegt. Pip McCosh (*1965, Neuseeland), Tochter von Hannelore Levi (*1928, Stuttgart, gest. 2012, Neuseeland) schrieb am 22. Januar 2018 eine e-mail, die anschaulich zeigt, dass Stolpersteine ihre Schleifen bis ins Hier und Jetzt ziehen...
Übersichtskarte der Stolpersteine
in der Reihe TÜBINGER JUDAISTISCHE STUDIEN erschienen:
Briefe zur JÜDISCHEN EHEVERMITTLUNG 1911-1921
Publikationen aus dem Stuttgarter Norden
Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
Herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter
Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
Postkarten aus Theresienstadt von Gertrud Nast-Kolb an ihre Tochter Ilse in Stuttgart (1944-1945)
heraus-gegeben von Margot Weiß
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Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
heraugegeben von Elke Martin
Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
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Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
Letzter frei gewählter Wohnort:
Hohentwielstrasse 146 B, Stuttgart Süd
Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
Hermine Wertheimer
zwangsevakuiert, deportiert und enteignet weiter