
Walter Guttmann wird am 8. Mai 1887 im Ostseebad Sopot (Zoppot) nahe Danzig geboren. Die Familie lebt in Danzig, wo der Vater eine Putz- und Weißwaren-Handlung betreibt. Hermann Guttmann, gebürtig aus Nasiedle (Nassiedel) in Schlesien, ist seit 1883 mit der Danzigerin Hulda Alter verheiratet. Die bei der Eheschließung vereinbarte Gütertrennung deutet auf ein gewisses Maß an Wohlstand hin.
Walter hat einen drei Jahre älteren Bruder, der 1917 während des Ersten Weltkriegs in Flandern fällt. Über Kindheit und Jugend liegen keine Informationen vor. Wo hat er seine Buchhändlerlehre gemacht? Wann und wo lernt er seine spätere Frau Else Jahr kennen? Auf diese Fragen gibt es bisher keine Antworten.
Ab 1912 ist der Buchhändler Walter Guttmann im Stuttgarter Adressbuch nachweisbar. In jenem Jahr übernimmt er in Stuttgart die renommierte, 1829 gegründete Buchhandlung Paul Neff in der Marienstraße 32. Der angeschlossene Verlag war bereits 1905 ausgegliedert worden, ebenso wie das Kommissionsgeschäft, das 1907 in ein Vorläuferunternehmen des heute als Koch, Neff und Volckmar bekannten Buchgroßhändlers überging.
Die Buchhandlung Neff ist in den 1920er Jahren eine feste Größe im Stuttgarter Kulturleben. Bei den von Guttmann organisierten Kulturabenden liest im November 1924 Gerhard Hauptmann, wenige Wochen später Thomas Mann. Das 100-jährige Jubiläum der Buchhandlung Paul Neff wird 1929 in der Stuttgarter Presse ausgiebig gewürdigt, der Inhaber mit Ehrungen überschüttet: “Aus Württemberg, aus dem Reich, selbst aus dem Auslande trafen zahlreiche Glückwunschschreiben ein. Es wurde hierbei deutlich, welche wachsende Bedeutung diese Buchhandlung durch ihre großzügige Entwicklung und ihre volksbildenden Bestrebungen für das geistige Leben unserer Heimat genießt“.
Bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten zerbricht die Ehe des Buchhändlers. Else Guttmann, 1884 als Elisabeth Wilhelmine Amalie Jahr in Berlin geboren, lebt laut Adressbuch ab 1930 getrennt von ihrem Mann als Buchhändlers Frau in der Oberen Birkenwaldstraße 217. Vermutlich leben auch die vier Kinder des Paares – Elfriede (geb. 1913), Armin (geb. 1915), Hildegard (geb. 1916) und Hanna (geb. 1919) – bei der Mutter. Walter Guttmann hingegen zieht 1931 in das Mehrfamilienhaus Neue Weinsteige 3. 1933 wird die Ehe geschieden.
Um das Unternehmen vor dem Zugriff der Nazis zu retten, fungiert die nicht jüdische Klavierlehrerin Else Guttmann, die Anfang der 1930er Jahre auch als musikalische Begleiterin der Ausdruckstänzerin Ida Herion auftritt, ab 1935 als Inhaberin der Firma Paul Neff, ab 1937 unter ihrem Mädchennamen Else Jahr. “Da er wegen seiner jüdischen Abstammung das Geschäft nicht mehr weiterführen durfte, übertrug er es auf seine geschiedene Ehefrau und fungierte in dem Betrieb bis 1938/39 als Geschäftsleiter. Infolge des Boykotts gegen jüdische Geschäfte gingen die Umsätze und die Gewinne aus der Buchhandlung nach 1933 wesentlich zurück”, so die Feststellung des Landesamts für Wiedergutmachung 1965.
Neben ihrem Ex-Mann arbeiten bis 1940 auch die Töchter Elfriede und Hanna mit in der Buchhandlung. Nach seinem Ausscheiden arbeitet Walter Guttmann zunächst bei Freunden, später in der Bibliothek der jüdischen Gemeinde. Sohn Armin ist bereits 1937 über England nach Brasilien ausgewandert.
Bis 1938 lebt Walter Guttmann in der Neuen Weinsteige 3. Nach Inkrafttreten des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ muss auch er seine Wohnung verlassen und zieht 1939 zunächst in die Hohenstaufenstraße 17 a und dann in die Hohenheimer Straße 63. Im Jahr 1940 ist er laut Adressbuch in der Blumenstraße 2 untergekommen und von 1940 bis 1942 in der Seestraße 114. Dabei handelte es sich um sogenannte „Judenhäuser“ oder Ghettohäuser, wo mehrere Parteien auf engstem Raum zusammenleben mussten.
Am 26. April 1942 wird Walter Guttmann mit knapp 300 weiteren jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aus Württemberg und Hohenzollern nach Izbica deportiert. Vermutlich wird er von dort im Herbst 1942 nach Belzec oder Sobibor verlegt und ermordet. Auf den 8. Mail 1945 wird er für tot erklärt.
Seine Exfrau wandert mit den Töchtern Elfriede und Hanna sowie Hannas einjährigem Sohn 1948 nach Brasilien aus, wo ihr Sohn Armin bereits lebt. Nur Hilde, verh. Schüler, das vierte Kind, bleibt in Stuttgart.
Am 10. November 2006 wurde in der Neuen Weinsteige 3 ein Stolperstein für Walter Guttmann verlegt.
HIER WOHNTE
WALTER GUTTMANN
JG. 1887
DEPORTIERT 26.4.1942
IZBICA
ERMORDET
Recherche und Text: Marion Weber, Stolperstein-Initiative Stuttgart-Süd
Quellen:
Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
Yad Vashem Internationale Holcaust Gedenkstätte
Mapping the Lives
Zelzer, Maria: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden. Stuttgart 1964, S. 115, 316, 487
Stuttgarter Adressbücher 1912 – 1943
Arolsen Archives Ausreiseunterlagen 1948
Firmenjubiläum 1929 Stuttgarter Neues Tagblatt, 11.10.1929, S.9
Auswanderung des Sohnes Armin 1937: Bremer Passagierlisten
Auswanderung von Elisabeth Jahr 1948: Rio de Janeiro, Brazil, Immigrations Cards
Wiedergutmachungsakten im Staatsarchiv Ludwigsburg (STAL EL 350 I 24912, StAL FL 300/31 III Bü 4437, StAL FL 300/33 I 4022)
Stuttgarter Passakten im Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL F201 Bü 455, StAL F 201 Bü 567)