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Reinhold Bürkle, Reginenstr. 18

Reinhold Bürkle wurde am 22. März 1915 als erstes Kind der Eheleute Emilia und Reinhold Bürkle geboren. Der Vater war Angestellter der Stuttgarter Girokasse. Im April 1920 kamen die Zwillinge Lotte und Ilse zur Welt. Die Familie Bürkle wohnte in der Langen Straße in Stuttgart-Mitte. Die Geschwister verstanden sich gut und seien stets „füreinander da gewesen“, erzählt die Schwester Lotte Döll, die sich noch daran erinnert, dass ihr Bruder ihr einmal „einfach so“ ein Fahrrad, damals ein wertvoller Besitz, geschenkt habe.
Im Alter von 12 Jahren starb Lottes Zwillingsschwester Ilse an einer Viruserkrankung. Der Vater, der am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, war schwer krank und starb 1954, nur ein halbes Jahr nach dem Umzug in das Haus, das er für die Familie gebaut hatte. Die Mutter kümmerte sich fortan allein um die Kinder, mit denen sie dann in der Reginenstraße 18 in Stuttgart-Degerloch lebte.
Nach seiner Schulzeit an einer Stuttgarter Volksschule absolvierte Reinhold Bürkle eine Ausbildung als Gärtner in der Nähe von Heidenheim. Die Arbeit habe ihm nach Aussage der Schwester viel Freude bereitet. In dieser Zeit lernte Reinhold ein Mädchen kennen, in das er sich verliebte und das „sehr an ihm gehangen“ habe.
1940 wurde Reinhold zur Ulmer Beobachtungs-Ersatz-Abteilung 5 einberufen und später zur Beobachtungs-Abteilung 35 versetzt. Am 22. August 1941 entzog er sich seiner Einheit. Nach Aussage seiner Schwester Lotte habe er Sehnsucht nach seiner Freundin gehabt und versucht, zu ihr zu kommen. Fünf Tage später wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen und steckbrieflich nach ihm gesucht. Noch am selben Tag übergab die Einheit die Fahndung an das zuständige Gericht. Wann und unter welchen Umständen er gefasst wurde, ist auf Grund fehlender Unterlagen nicht mehr zu ermitteln. Fest steht jedoch, dass Bürkle im Ulmer Militär-Arresthaus inhaftiert war.
Am 18. Februar 1942 meldete die Genesenden-Batterie seiner Stammeinheit in Ulm: „Todesurteil durch Erschießen vollstreckt.“ An den Schießständen im Lehrer Tal bei Ulm wurde Reinhold Bürkle hingerichtet. Die Familie durfte ihn vor seiner Hinrichtung nicht mehr in Ulm besuchen. Lotte Döll, seine Schwester, erinnert sich, dass sie und ihre Mutter nach der Vollstreckung des Todesurteils nach Ulm beordert wurden, wo sie vom Tod des Bruders und Sohnes erfuhren.
Am 21. September 1946 stellte das Standesamt Stuttgart eine Sterbeurkunde für Reinhold Bürkle aus. Darin ist unerklärlicherweise (man müsste sagen: fälschlicherweise) als Todesursache angegeben „Selbstmord durch Erschießen“. Der Leichnam wurde auf Wunsch der Familie am 24. Februar 1942 nach Stuttgart überführt und dort am 18. März 1942 in einer Urne im Familiengrab auf dem Pragfriedhof bestattet. Später wurde die Urne versetzt auf den Alten Friedhof in Degerloch. Das Grab ist mittlerweile verfallen.
Die Schwester Reinhold Bürkles, Lotte Döll, lebt heute 91-jährig in einem Senioren-Stift in Oberbayern. „Nur ungern“ sei ihr Bruder Reinhold zum Militär gegangen, erzählte sie dem Autor Oliver Thron, aber er habe sich vorerst damit abgefunden. Lotte Doll sollte ihren Bruder nicht wieder sehen. Er wurde nur 26 Jahre alt.
In einer E-Mail hat die Nichte Uschi Schaaf mitgeteilt, dass über die Desertion ihres Onkels Reinhold in der Familie nicht gesprochen worden sei. Es habe nur geheißen, er sei im Krieg gefallen. Degerlocher Bürger hätten sie und ihren Mann später besucht und ihnen die wahren Begebenheiten über ihren Onkel Reinhold erzählt. Dann schreibt Uschi Schaaf noch: „Ich bewundere meinen Onkel für seinen Mut, diese Entscheidung getroffen zu haben. Ich hätte ihn gerne kennen gelernt.“ – Das aber war ihr nicht vergönnt.

Am 17. September 2012 wurde für Reinhold Bürkle vor seinem früheren Wohnort ein Stolperstein gesetzt als Zeichen für seinen Mut.

Recherche und Text: Heinz Wienand, Stolperstein-Initiative Feuerbach/Weilimdorf, in Absprache mit Oliver Thron.

Die Informationen sind diesem Buch entnommen: Oliver Thron: Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“ – Ein Gedenkbuch für die Opfer der NS-Militärjustiz in Ulm. Ulm 2011 (im Buchhandel erhältlich)
Portrait-Foto aus Familienbesitz
Sterbeurkunde aus dem Stadtarchiv Stuttgart
Weitere Informationen:  Stolperstein-Initiative Ulm
Kontakt: info@olivertrohn.de info@dzok-ulm.de