
Klara Leucht (17.9.1924 Stuttgart – 15.9.1941 Eichberg/Hessen) fehlt auf diesem Foto der Familie. Die mehrfach behinderte Jugendliche wurde beim Mittagessen aus der Familie abgeholt und – wie 32 weitere Stuttgarter Kinder – zur Ermordung in das hessische Eichberg verbracht.
Klara lebte bei ihrer Familie in der Sickstraße 8 am Stöckach (der Stolperstein liegt gegenüber Heinrich-Baumann-Str. 25B). Vater, Mutter, Klaras beide Brüder, Klara und die Schwester des Vaters sitzen beim Essen als zwei fremde Männer das 17-jährige Mädchen abholen – an einen Ort wo sie behandelt werden soll – wie sie sagen.
Nach ein paar Tagen erhält die Familie ein Schreiben, in dem erklärt wird, Klara sei an einer Lungenentzündung gestorben. Die Beerdigung fand am 1.10.1941 auf dem dortigen Friedhof statt. Für die Kosten musste die Familie aufkommen.
Bereits am 18.7.1941 hat der “Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden” in Berlin an den Leiter des Städtischen Gesundheitsamtes in Stuttgart geschrieben, dass er im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern die Kinderfachabteilung der Landes-Heilanstalt Eichberg zur Aufnahme (Tötung) der Kinder bestimmt habe. Allerdings hätte Klara mit 17 Jahren nicht mehr gemeldet werden müssen, denn bis 1941 mussten „nur“ behinderte Kinder bis zum Alter von drei Jahren gemeldet werden. Ab 1942 wurde die Meldegrenze zwar heraufgesetzt – aber auf 16 Jahre. Das Stuttgarter Gesundheitsamt handelte auch in diesem Fall in behördlichem Übereifer.
Am 14.9.1941 schreibt Vater Gottlieb Leucht: “Als unbekannt erlaube ich mir, an Herrn Doktor einige Zeilen zu richten betreffs meiner Tochter Klara. Ich habe sie 17 Jahre selbst gepflegt, leider lässt es meine Gesundheit nicht zu, sie weiter zu pflegen. Somit übergebe ich sie in Ihre Hand. Die Pflege, die dieses Kind beansprucht, ist sehr schwer, indem man sie behandeln muss wie ein kleines Kind. Das kann ich niemand Fremden zumuten, somit wünsche ich, dass es der liebe Gott bald erlöst, was ich für das Beste halte für das Kind. Das Kind hat Zeiten, wo sie beisst und kratzt, packt auch einen an den Haaren und so fest, dass man zu tun hat, bis man wieder loskommt. Sie ist blind, lahm und stumm von Geburt an, macht alles ins Bett, weil sie halt nicht sprechen kann. Dann beschmutzt sie sich damit, weil sie nicht weiß, was das ist.”
Am 17.9.1941, Klaras 17. Geburtstag, schreibt ihre Mutter Ernestine: “Möchte Sie höflichst bitten, mir mitzuteilen, wie es meinem Klärchen geht. Ist sie brav? Hat sie nicht sehr Heimweh? Wenn sie jammert, tut ihr was weh. Wenn die Augenhöhle entzündet ist, ist sie sehr unruhig. Ende September bekommt sie die Periode. Acht Tage vorher ist sie bös. Dann, wenn es da ist, wird sie wieder ruhiger. Ich habe sehr Heimweh nach meiner Klara. Hoffentlich kann sie nachts schlafen.”
Auf dem Friedhof der Anstalt Eichberg erinnert seit 1993 einen Gedenkstein. an die 476 dort ermordeten Kinder. Am Stuttgarter Stadtpalais steht seit 2018 ein akustischer Stolperstein für Klara Leucht, den Jürgen Czwienk geschaffen hat.
Am 1.11.2019 wurde im Beisein der Nichten von Klara Leucht nahe des ehemaligen Wohnhauses der Familie ein Stolperstein verlegt. Zwei Klassen der Walddorfschule Uhlandshöhe umrahmten die Zeremonie mit eigenen Beiträgen.
Da die Adresse aktuell nicht mehr existiert und sich unzugänglich im ehemaligen EnBW-Gelände befindet, wurde der Stolperstein gegenüber Heinrich-Baumann-Str. 25 B am Eingang zum dortigen Spielplatz verlegt. Sobald das Gelände umgestaltet und die Sickstraße wieder reaktiviert ist, wird der Stolperstein umverlegt.
Recherche: Jürgen Czwienk, Waltraud Leucht, Gudrun Greth
Text: Gudrun Greth
Quellen: Hessisches Staatsarchiv, Akten der Psychiatrie Eichberg/Hessen: Aufnahmeschein und Sterbebescheinigung.
Foto: Privatbesitz Waldtraud Leucht