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Dr. Berthold und Thekla Blum, Haußmannstr. 22

Zu den Stolpersteinen vor der Haussmannstraße 22 erreichte uns im Juli 2021 folgende Nachricht:

Sehr geehrte  Damen und Herren,

als Mieter der Hausmannstraße 22 führt uns unser täglicher Weg ins 2. OG immer an den Stolpersteinen von Berthold und Thekla Blum vorbei. Bereits 2019 haben wir die Geschichte der Blums vertont und diese Aufnahme bei einer Veranstaltung verwendet. Anlässlich des anstehenden Todestags von Berthold Blum haben wir die Geschichte der Blums neu aufgenommen und via QR Code für alle vorbeilaufenden zugänglich gemacht…

Mit freundlichen Grüßen
Hannes Keller
i.A. Prof. Uta Kutter

Hier geht es zu den STOLPERworten, gesprochen von Jule Hölzgen und Ramon Schmid, Mitglieder des Sprecherensembles der Akademie für gesprochenes Wort.

Blum Berthold Dr.Berthold Blum Dr. jur., Rechtsanwalt, Kaufmann, Direktor

11.01.1877 geboren: in Worms/Rhein.
Heirat: Thekla Jakobi, geb. 23.08.1884, Stuttgart (?).
Vater: Moritz Blum, gebürtig aus Weiler/Amt Sinsheim.
Mutter: Cäcilie geb. Klopfer, gebürtig aus Mannheim (gest. 20.11.1901).
Großvater: Judas Blum, Großmutter: Hanchen, geb. Oedinger.
Bruder: Julius Blum, *06.03.1875 (weitere Geschwister nicht belegt).
Tochter: Hildegard Blum,
24.07.1912 geb. in Mannheim, 1939 nach USA geflüchtet, Helen Collins.
Sohn: Fritz Hermann Blum,
14.01.1914 geb. in Stuttgart, 1938 nach England geflüchtet, mit Namen Fred Blum.
1923 Blum wird Vorstandsmitglied d. Firma „Gebr. Bing AG“, Hechingen/Stuttgart.
05.07.1934: Übernahme der Firma. „Gebr. Bing AG“ durch Dr. Berthold Blum.
12. bis 26.11.1938: KZ Dachau „zwecks Erzwingung der Auswanderung“ (Effidavit).
1939 Zwangsumzug in „Judenhaus“ Johannesstr. 67.
30.09.1939 Löschung der Firma „Gebr. Bing AG“ aus Handelsregister.
05.12.1941 Zwangsumzug in jüd. Altersheim: Stuttgart Wagenburgstr. 26/28
06.03.1942 „Landumsiedlung“ nach Dellmensingen/Ulm.
06.07.1942 Dr. Berthold Blum stirbt in Dellmensingen – sein Grab ist unbekannt.

Blum TheklaThekla Blum geb. Jakobi:
06.07.1942, am Todestag ihres Mannes wird Thekla in das Ulmer Krankenhaus gebracht und danach in die Heilanstalt Zwiefalten.
15.08.1942 Deportation: von Zwiefalten über Stuttgart in das Ghetto Theresienstadt und in das Vernichtungslager Auschwitz.
28.02.1943 wird Thekla Blum in Auschwitz ermordet.

 

Das Fragment des Reisepasses aus dem Jahr 1927 zeigt den promovierten Juristen im Alter von 50 Jahren: selbstbewusst und klug.
Das Foto von Thekla vermittelt Abwesenheit und Skepsis.

Über die ersten vier Dekaden von Berthold Blums Leben wissen wir wenig.
Als sich Vater Moritz Blum 1870 in Worms niederließ und Mitinhaber der Firma „Blum und Jeckel“ („Ellenwarenhändler“, dann Manufakturwarenhändler) wurde, lagen für Berthold mehrere beruflicher Stationen in Karlruhe und Göppingen hinter ihm, die ihn in begüterten Stand versetzt haben. Berthold Blum, wurde nach seinem Bruder Julius in Worms geboren.
Berthold verbrachte hier seine Jugendzeit, besuchte die Schule und das Gymnasium.  Bereits damals hatte er den Wunsch Rechtswissenschaften zu studieren.  Er verlies bald nach dem Abitur 1895 Worms in Richtung Mannheim.  Der zwei Jahre ältere Bruder Julius heiratete und übernahm Vaters Rolle bei „Blum und Jeckel.“

In späteren Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren war Blum an der Immobilie Wilhelm-Leuschner-Str. 24 in Worms beteiligt:  Berthold Blum Erben:  zunächst seine Frau Thekla, sein Sohn Harry Blum (Hans Leo Blum, New York), Eduard Seitz (Ehefrau Elisabeth, geb. Blum, Tanganyka), Helene (Hildegard) Blum, Berkeley, Kalifornien, USA).

Die nüchterne Sequenz der Stuttgarter Jahre liest sich wie eine Statistik.
Im wirklichen Leben waren es turbulente, unruhige Jahre:  Die Zwischenkriegszeit mit Inflation, Wirtschaftkrise und mit den Folgen von Hitlers Machtbesessenheit verlangte viel von den Menschen.   Insbesondere Juden und anderen gesellschaftlich und wirtschaftlich Gemiedene wurden nach der Machtübernahme zu Verfolgten.  Die antisemitischen Tendenzen aus der wilhelminischen Zeit brachen ab 1916 in der Gesellschaft verstärkt auf.

Blum kam mit 41 Jahren nach Stuttgart und hier lebte, arbeitete und wirkte er 24 Jahre.
Die Familie wechselte mehrmals die Wohnung:  von der Weißenburgstr. 29/3 über die Mörikestr.2 zum Oberen Herdweg 111, wo die Familie im Eigentum wohnte. 1933 bezogen sie die Wohnung im 2. Obergeschoß des Hauses Kanonenweg 22, heute Haußmannstrasse (Ungarisches Kultur-Institut). Hier wohnte auch Dr. med. Robert Schmidt, Fachartz für innere Krankheiten; er entschloss sich rechtzeitig nach New York auszuwandern, wo er auch verstorben ist (Maria Zelzer, S. 461).
Die Stellung als Vorstand im Unternehmen „Gebr. Bing AG, Großhandlung in Textilwaren und Betrieb einer Weberei“, führte zur Übernahme des Unternehmens durch Blum; er wurde Direktor mit gutem Salär.
Es ist hier weniger von den unternehmerischen Seiten der „Gebr. Bing AG“ zu berichten.  Auch ist nicht bekannt, was Blum bewog die Firma in dieser schweren Zeit zu übernehmen und kurzfristig im Oberen Herdweg 111 eine Immobilie zu erwerben, die er bald wieder veräußern musste – die Verhältnisse verschlechterten sich ständig.
Blums kultivierten ihre häusliche Umgebung, investierten in die Ausbildung der Kinder und in Vorsoge in Form von Lebensversicherungen.
Sohn Fritz studierte in Tübingen und Genf Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft und in einem zweiten Studium besuchte er in Reutlingen das Textiltechnikum.  Währent mehrerer Jahre unterstütze Fritz seinen Vater in der Buchhaltung und im Verkauf – oft auch in den Semesterferien.  Jetzt spezialisierte sich die Firma auf den Kauf von wertvollen Textilien anderer Hersteller, z. B. aus Augsburg und Uhingen.  Es wurden Futterstoffe gebleicht, ausgerüstet und gefärbt.  Fritz reiste über Land und beobachtete wie sich auch hier die politische Lage veränderte.   An Ortsein- und Ausfahrten waren Plakate zu lesen:  “Juden betreten den Ort auf eigene Gefahr“.  Die Depressionen gegen die jüdische Bevölkerung nahmen zu.   Die angespannte Situation wirkte sich immer negativer auf die Gesundheit der Eltern aus.  Die Haft in Dachau belastete Berthold sehr und wirkte sich auch auf die kränkelnde Mutter Thekla aus.
Der junge Hausarzt Dr. med. Hansjörg S. betreute Frau Blum seit 1930 und war im Haus am Herdweg, wie auch in der Wohnung Kanonenweg zu Gast und 1939 auch in der Drei-Zimmerwohnung in der Johannesstraße, die sie mit anderen bedrängten Menschen teilen mussten.  Er berichtet: „Der Stil der beiden Wohnungen war sehr kultiviert (…).“   Und anschließend in der Johannesstr.67  „(…) Erinnere ich mich bei ärztlichen Besuchen, die vor allem Frau Thekla Blum galten (…) lebhaft und mit nachträglichem Grausen an den chaotischen Zustand (…) des Zimmers, das vollgestopft war bis oben hin mit Möbeln, zum Teil auch mit anderen verpackten Gegenständen (…)“.
Bis in die 70er Jahre wurde nach dem erlesenen Mobiliar, der umfangreichen Privatbibliothek von Dr. Berthold Blum, dem Schiedmayer-Flügel, dem Bogenschützen (Rodin, Bronze, 60 cm groß) u.a. gesucht.
Der neue Hausbesitzer Willy v. d. H. des „arisierten“ Wohnhauses, erwarb in dieser Zeit von Blums einige Fachbücher. Tochter Hildegard, die noch in dieser Zeit in Stuttgart war, rettete eine mehrseitige Aufstellung dieser Büchersammlung als sie Stuttgart mit 27 Jahren nach USA verließ.  Der Sohn Fritz Hermann konnte sich schon 1938 nach England absetze.  Er war später zeitweise an der Washingtoner Universität Dozent.
Die Vorbereitungen der Eltern, ebenfalls ins Ausland zu flüchten, mussten abgebrochen werden.  Die nervenleidende Thekla wird wohl den Ausschlag gegeben haben.  Die Spedition lagerte die Möbel, den Konzertflügel und den Hausrat in der Hospitalstraße und in ihrem Lager in Zuffenhausen ein.
Ab Anfang 1941 durften Juden nicht mehr über Wertgegenstände und Möbel verfügen.
Die Eltern Blum wurden in das jüdische Alterheim in der Wagenburgstraße und nach Dellmensingen zwangsumgesiedelt.
Dort starb Dr. Berthold Blum im Alter von 65 Jahren.
Die dramatischen Umstände dieser Jahre können nicht beschrieben werden, sie wurden von den Menschen in ihrem entwürdigtem Zustand durchlitten.
Thekla Blum, musste noch fünf Wochen in einer weiteren Zwischenstation in Zwiefalten verbringen, die Deportation  nach Theresienstadt ((“…in das Protektorat evakuiert”, so der Wortlaut des amtl. Protokolls nach dem Krieg!) mitmachen und starb mit 59 Jahren in Auschwitz.

Recherche und Text: Gerhard Götze, Gebhard Klehr.
Finanzierung und Verlegung der Kleindenkmale erfolgte durch Initiative S-Ost breits 2003.

Quellen: Stadtarchiv Stuttgart
Hauptstaatsarchiv Ludwigsburg
Stadtarchiv Worms, Frau Margit Rinker-Olbrisch (4.11-Ri o/224/2011)

Anmerkung zur Bing AG: 1864 von den Gebrüdern Ignaz (1840-1918) und Adolf Bing gegründetes Unternehmen, das sich von der anfänglichen Metallwarenfabrikation bis Anfang des 20. Jahrhunderts zum größten Spielzeughersteller der Welt entwickelte. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise ging das Unternehmen 1929 bankrott. Den aus der Konkursmasse erworbenen Namen führt seit 1932 ein auf die Herstellung von Vergasern spezialisierter Automobilzulieferer (…).
Das Bing – Tochterunternehmen Concentra wurde zahlungsunfähig. 1932 wurde ein Zwangsvergleichsverfahren eingeleitet, das zum völligen Zusammenbruch der Bing Werke in Jahre 1934 führte. Die Produktion von Spielwaren wurde eingestellt, die Restbestände an die Firmen Falk und Kraus, Fleischmann (Schiffe) und Bub (Eisenbahnen) verkauft. Für die Produktion von Puppen und Bären fand sich leider kein Käufer.
In diesem Kontext ist die Übernahme der Firma. „Gebr. Bing AG“ Hechingen-Stuttgart durch Dr. Berthold Blum zu sehen.

Quellen: Teddymuseum Wilhelmstr. 7, 63911 Klingenberg a.M, Deutschland / Germany