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10 mal 10 Zentimeter gegen Verdrängen und Vergessen: Gunter Demnig hat am Montag, den 9. Oktober 2017, weitere Stolpersteine in Stuttgart verlegt

Jeder Stolperstein erinnert an einen Menschen, der in deutschem Namen ermordet wurde, weil er Jude, Sinto, Behinderter, Homosexueller, Zeuge Jehova war oder einfach nur politisch anders dachte. Heute, da im Bundestag Politiker vertreten sind, die den Holocaust als “Mythos” leugnen, sind Stolpersteine, von denen der Künstler Gunter Demnig mittlerweile weit über 62.000 verlegt hat, umso wichtiger, machen sie doch deutlich, dass die Opfer nicht irgendwelche anonyme Zahlen sind, sondern Menschen, die in unserer Nachbarschaft gewohnt haben. An über 11.000 Orten in Deutschland und Europa liegen Stolpersteine. Unabhängige Initiativen vor Ort haben ehrenamtlich die Schicksale der Opfer erforscht, um ein Zeichen gegen die staatliche Ausgrenzung in der NS-Zeit zu setzen.

Gunter Demnig hat am Montag, den 9. Oktober 2017, zwischen 9 und 14 Uhr 18 weitere Stolpersteine in sieben Stuttgarter Stadtbezirken verlegen.

Zuffenhausen erinnert mit einem Stolperstein an Friedrich Wohlfarth, der 1943 aus der in Straßburg stationierte Wehrmacht-Division 405 desertierte und wegen “Fahnenflucht” im Juni 1944 im Lichthof des Stuttgarter Justizgebäudes in der Urbanstraße 19 a enthauptet wurde.

In Feuerbach erhielt Gustav Schütz einen Stolperstein. Er wurde ein Opfer der “Euthanasie” und in Grafeneck ermordet.

Auch in der Cannstatter Neckarvorstadt betreffen die drei Stolpersteine Opfer der NS-“Euthanasie”. Neu dabei war, dass die Initiative StolperKunst einen Akzent gesetzt hat. Gemäß ihrem Motto “Kunst belebt Erinnerung” sollte die Frage “Was geht es uns heute noch an” neu gestellt und mit künstlerischen Mitteln beantwortet werden. Aus ihrer Heimat geflohene Schülerinnen und Schüler der Rosensteinschule, die Angehörige verloren haben, wirkten deshalb bei dieser Verlegung mit. Ihre von der Cannstatter Künstlerin Claudia Strohm einstudierte Performance “Der andere uns” stellte einen aktuellen Bezug vom Damals zum Heute her und trägt mit StolperKunst der Tatsache Rechnung, dass Erinnern seinen Sinn darin findet, Gegenwart und Zukunft zu gestalten.

In Stuttgart-Ost hat Gunter Demnig den 133. und 134. Stolperstein dort verlegt: Mathilde Kleinmaier wurde 1940 in Grafeneck ermordet. Außerdem erinnert ein Stein an Elisabeth Schikora, die Mitglied der Widerstandsgruppe um Hans Gasparitsch war, die 1935 aufgedeckt wurde. Die Mitglieder erlitten Demütigungen, Folterungen, langjährige Zuchthausstrafen oder KZ-Aufenthalte. Die Frau zerbrach daran und kam in die Heilanstalt Zwiefalten, wo sie am 12. Februar 1944 starb. Bei einer Lesung mit Musik wurden am Dienstag, dem 10. Oktober, um 19:30 Uhr in der Stadtteilbibliothek Ost, Schönbühlstraße 88 der Widerstand der „Gruppe G“ und das Schicksal von Elisabeth Schikora anhand von Zitaten aus den Lebenserinnerungen von Hans Gasparitsch und Berichten anderer Gruppenmitglieder nachgezeichnet.

Zwei weitere Stolpersteine erinnern in Stuttgart-Mitte an den jüdischen Kaufmann Ernst Levi und seine Frau Berta, geborene Baumann, die am 1. Dezember 1941 zur Ermordung nach Riga deportiert wurden.

In Stuttgart-Nord wohnte der 82-jährige Rechtsanwalt Dr. Robert Hirsch, ein Verwandter des Nachkriegs-Generalstaatsanwalts Fritz Bauer. Angesichts der staatlichen Verfolgungen nahm sich Dr. Robert Hirsch am 14. Januar 1939 das Leben. Seine lesenswerten Lebenserinnerungen können heute im Internet beim New Yorker Leo Baeck Institute eingesehen werden.

Schließlich wurden vor der Jugendfarm in Möhringen sieben Stolpersteine für sowjetische Zwangsarbeiterkinder verlegt, die gerade mal 7 Monate bis 2¾ Jahre alt wurden. Sie starben 1944/45 im Zwangsarbeiterlager “Haldenwies” an mangelnder Versorgung, denn offiziell galten Zwangsarbeiterkinder als “unerwünscht”.

Wer mehr zu den Opfern, den Stolpersteinverlegungen und weiteren Aktivitäten wissen möchte, oder selbst aktiv werden will, kann sich an eine der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen oder an unsere Kontaktadresse info@stolpersteine-stuttgart.de wenden.

Wenn Sie unsere Anstrengungen zum Ausbau der digitalen Angebote rund um die Stolpersteine (z.B. Internetauftritt, Übersichtskarte, virtuelle Rundgänge) unterstützen möchte, kann dies mit einem Beitrag unter dem Stichwort Stolpersteine 4.0 auf das Konto der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen bei der BW-Bank (IBAN: DE21 6005 0101 0004 3002 70) tun!


Die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen waren bzw. sind beteiligt an der

  • Stuttgart Nacht am 14. Oktober 2017„Rundgänge zu Stolpersteinen“ um das Hegel-Haus, Eberhardstr. 53, stündlich von 19 bis 23 Uhr

 und den

  • Veranstaltungen in der „Zwischenzeit 3“ von September 2017—März 2018 der Initiative Lern– und Gedenkort Hotel Silber e.V. (www.hotel-silber.de).

 Wir unterstützen u.a. die

  • Veranstaltung der NaturFreunde am 9. November 2017 zum Jahrestag der Reichspogromnacht19 Uhr, Film „Professor Mamlock“ von Konrad Wolf, NaturFreundeHaus Steinbergle, Stresemannstraße 6-8,
    18 Uhr, Gedenken am Mahnmal für die aus Württemberg verschleppten Juden im Killesberg-Park

sowie die

  • Veranstaltung der NaturFreunde in Heslach am 26. Oktober 201720 Uhr, Musik-Kabarett mit Fred Ape & Guntmar Feuerstein, Altes Feuerwehrhaus, Möhringer Str. 56, deren Lieder wie das auch untenstehende „Ich will meine Stadt nicht braun“ aktueller und notwendiger denn je sind!

Stolpersteine für Stuttgart am Montag, den 9. Oktober 2017 (Uhrzeit~Steinverlegung):

9:00ZuffenhausenLudwigsburger Str. 1711 Stein für Friedrich Wohlfarth
9:30FeuerbachMohrenhof 11 Stein für Gustav Schütz
10:00CannstattHallstr. 401 Stein für Emil Wilhelm
10:20CannstattBrückenstr. 111 Stein für Lina Speiser
10:40CannstattÜberkinger Str. 141 Stein für Willy Guilliard
11:00S-OstVillastr. 31 Stein für Elisabeth Schikora
11:30S-OstVilastr. 81 Stein für Mathilde Kleinmaier
12:30S-MitteEberhardstr. 35
(früher Nesenbachstr. 29)
3 Steine für Ernst, Berta und Hannelore Levi
13:30S-NordGähkopf 311 Stein für Dr. Robert Hirsch
14:00Vaihingen/
Möhringen
Balinger Str. 111

7 Steine für Ludmila Wasekina, Nikolai Kubrizin, Lidija Maturnewitsch, Viktor Sawtschenko, Wasili Derschiruka, Lena Gontschar und Anatoli Pinschonin

Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein — Verschiebungen lassen sich trotz sorgfältiger Planung leider nicht ganz ausschließen — Änderungen sind möglich — Wer bei einer Steinverlegung dabei sein will, sollte sich deshalb möglichst frühzeitig am Verlegungsort einfinden! Aufgrund des eng bemessenen Zeitplans kann Gunter Demnig an den vor Ort stattfindenden Rahmenveranstaltungen jeweils nur kurz teilnehmen! Mehr Infos über die einzelnen Stadtteilinitiativen in der Tagespresse!

Die öffentlichen Stolperstein-Verlegungen werden von ausschließlich ehrenamtlich tätigen Stadtteilinitiativen organisiert, über die Sie auch Informationen zu den einzelnen Opferschicksalen sowie weitere Aktivitäten erhalten. Alle Stuttgarter Stolperstein-Initiativen freuen sich über Ihre Unterstützung, beispielsweise bei der Erforschung der Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus oder der Pflege bereits verlegter Stolpersteine.

Den aktuellen Plan für die Verlegung am 9. Oktober 2017 gibt es hier zum Ausdrucken

Ich will meine Stadt nicht braun
© Fred Ape
Ich will meine Stadt nicht braun
Ich will meine Stadt nicht braun
Ich will sie bunt und verrückt
Oder anders ausgedrückt
Die sich traut , und sich zeigt
Die einfach nicht mehr schweigt
Und die hilft,  Brücken zu bau‘ n
Ich will meine Stadt nicht braun
Kommt her und seid willkommen
Die Angst wird Euch genommen
Iraker, Syrer, Kurden
Die verjagt, entwurzelt wurden
Auf langer Flucht tief aus dem Süden
alle sehnt Ihr Euch nach Frieden
Wenn wir Sprachen nicht versteh‘ n
Will ich Euch trotzdem lächeln sehn
Die Zäuneüberwinder
Und die heimatlosen Kinder
Die in morschen Booten treiben
Ohne Eltern übrig bleiben
Kommt zu uns mit neuen Zielen
Ihr sollt träumen, lernen, spielen
Wenn wir Euch mal nicht versteh‘ n
Will ich uns doch lächeln sehn
Ich will meine Stadt nicht braun….
Wenn Unterkünfte brennen – Menschen um ihr Leben rennen
Und es gibt darüber Streit  – wer den größten Schwachsinn schreit
Selbsternannte Patrioten – die Parolen von Idioten
ich will die nicht mehr hör` n –  sondern „Bunt“ Asyl gewähr’ n…
Was ich ganz bestimmt nicht brauche – ist die öde deutsche Jauche
Mit dem „wir sind besser“ – Tick – nie nach vorn, immer zurück
In die schlimmste aller Zeiten – Rassenwahn und Hass verbreiten
Was aus kranken Hirnen kroch  – warum gibt’s die eigentlich noch….
Ich will meine Stadt nicht braun….