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Stolpersteine in Stuttgart: Hitler das Wort abgeschnitten

Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten 
Armin Friedl 18.02.2024 – 18:00 Uhr


Hier wohnte Theodor Decker mit seiner Familie zur Zeit des Kabelattentats im Februar 1933: In der heutigen Schönbühlstraße 78. Foto: Stadtarchiv Stuttgart / 101-FN250-4692

Theodor Decker wurde lange nicht mit dem Kabelattentat in Verbindung gebracht, bei dem vier Männer ein Übertragungskabel durchtrennten, als Hitler in der Stuttgarter Stadthalle sprach. Ein langer Leidensweg begann dennoch für ihn. Dieser endete 1940 im KZ Mauthausen.

„Wenn wir nicht reden dürfen, darf der Hitler auch nicht reden“, sagten sich die Stuttgarter Kommunisten. Und vier junge Männer aus diesen Reihen schritten zur Tat: Sie durchtrennten mit zwei Axthieben das Übertragungskabel zwischen der Stadthalle, wo heute der SWR residiert, dem damaligen Telegrafenamt am Stöckach, heute Sitz der Staatsanwaltschaft sowie dem Marktplatz, auf dem sich viele befanden, die keinen Zulass in die Stadthalle mehr bekamen. Diese Rede Hitlers blieb außerhalb der Veranstaltungshalle zumindest in Teilen ungehört an diesem 15. Februar 1933.

Viel Mut, Risikobereitschaft und eine Portion Glück
Was aufs Erste wie ein Streich übermütiger junger Männer klingen mag, benötigte in Wirklichkeit eine präzise Planung, viel Mut und Risikobereitschaft und eine große Portion Glück. Hitler war zu diesem Zeitpunkt zwar erst seit zwei Wochen Reichskanzler, doch war schon aus früheren Wahlkampfveranstaltungen bekannt, dass die Anhänger Hitlers sowie dessen SA-Truppen nicht zimperlich waren, wenn es darum ging, kritische Stimmen mundtot zu machen oder Störaktionen zu verhindern. Und die Maschinerie der Unterdrückung ist da auch schon angelaufen: Zum „Schutz des deutschen Volks“ erließ Hindenburg, damals noch Reichspräsident, am 4. Februar eine Verordnung, welche die Versammlungs- und Pressefreiheit weitgehend einschränkte. Davon betroffen waren die Aktivitäten der linken Parteien, die Wahlveranstaltungen der NSDAP liefen weiter wie geplant. Und die Verhaftungen der politischen Gegner waren da auch schon angelaufen.

Viel los im Stuttgarter Osten
Da war also einiges geboten an diesem 15. Februar 1933 im Stuttgarter Osten: Viel Polizei war vor Ort und natürlich die SA-Wachtrupps. Und viele neugierige Bürger, denn diesen Rummel und Auftrieb war ein Ereignis. Die Auswahl an guten Stellen, wo man das Kabel problemlos kappen konnte, war deshalb nicht groß. Genau genommen waren es nur wenige Meter im Hinterhof der Werderstraße 14, wo das Kabel an einer Hauswand installiert war, ansonsten verlief es unterirdisch.

Stolperstein für Theodor Decker

Diesen neuralgischen Punkt haben natürlich auch Polizei und SA als solchen erkannt, entsprechend wurde dieser bewacht. So scheiterte der erste Versuch: Ein SA-Trupp entdeckte zwei der jungen Leute, die gerade eine Leiter hochstiegen. Doch die zwei konnten mit einer Lüge überzeugen. Plan B funktionierte: Eduard Weinzierl und Wilhelm Bräuninger provozierten die Wächter, die nah am Kabel in der Werderstraße postiert waren. Die beiden rannten dann davon, die Wächter hinterher, und so war der Weg frei für Alfred Däuble und Hermann Medinger zum Kabel, das sie dann erfolgreich durchtrennten.

Stuttgarter Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen
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Ausführliche Recherchen
Dies ist nicht nur durch Erzählungen überliefert, sondern mittlerweile auch ausführlich recherchiert. Etwa in dem jüngst erschienenen Buch „Stuttgart Berg – Porträt eines bemerkenswerten Stadtteils, herausgegeben und zum Teil geschrieben von dem Ortshistoriker Ulrich Gohl. Im Tübinger Silberburg-Verlag ist dazu 2020 der Tatsachenroman „Ein Beil gegen Hitler“ erschienen von dem früheren SWR-Redakteur Rolf Schlenker.


Hier im Hinterhof der Werderstraße 14 hat das Stuttgarter Kabelattentat am 15. Februar 1933 stattgefunden.

Von Elmar Blessing ist 2009 im Stuttgarter Ziegelhaus-Verlag „Endstation Mauthausen – Der lange Leidensweg des Hans Theodor Decker“ erschienen. Und es ist vor allem der Stolperstein-Initiative Stuttgart-Ost zu verdanken, dass es heute sehr viel Detailwissen gibt, auch was das Schicksal von Deckers Frau und den Kindern betrifft.

Im privaten Kreis denunziert
Der Ideengeber dafür war Theodor Decker, Angestellter beim Telegrafenbauamt am Stöckach, er wusste Bescheid über den Verlauf des Kabels und die paar Meter, wo das Kabel sichtbar war. An der Aktion selbst war er nicht unmittelbar beteiligt, dennoch ist er der einzige der Beteiligten, der 1935 ins KZ kam und dort in Mauthausen im Januar 1940 verstarb. Die anderen vier wurden erst zwei Jahre später 1935 verhaftet und kamen mit rund zwei Jahren Gefängnis davon. Decker wurde denunziert im privaten Kreis, denn in den Ermittlungsakten taucht sein Name nicht auf. Ähnliches gilt auch für die anderen vier.

Decker wohnte damals mit Frau und den zwei Kindern in der heutigen Schönbühlstraße 87, einst die Lehmgrubenstraße. Daran erinnert seit 2009 ein Stolperstein vor der Haustüre, angebracht von der Initiative Stolperstein. Diese Schönbuchsiedlung wurde vom Bund Deutscher Architekten entwickelt und in den Jahren 1929 bis 1930 erbaut. Das war also quasi ein Neubau, den Decker da bewohnte, wo trotz dichter Bebauung unter anderem viel Wert darauf gelegt wurde, dass der Einfallswinkel der Sonne möglichst groß ist in die Wohnungen.

Hier auf dem Gelände des SWR-Gebäudes war bis Ende des Zweiten Weltkriegs die Stuttgarter Stadthalle, in der Adolf Hitler am 15. Februar 1933 eine Rede hielt. Die Initiative Stolperstein fordert schon lange, dass hier eine Gedenktafel angebracht wird, die an das Stuttgarter Kabelattentat im Jahre 1933 an diesen Ort erinnert.

Decker war da Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der ihr nahe stehenden Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO). Und er war Betriebsratsvorsitzender bei der Reichspost, konkret im Telegrafenamt am Stöckach, kannte sich also aus in der noch neuen Übertragungstechnik dieser Zeit.

Langer Leidensweg durch die Konzentrationslager
Fristlos entlassen und verhaftet wurde Decker aber nicht, weil er im Verdacht stand, am Kabelattentat beteiligt gewesen zu sein, sondern als Mitglied der RGO. Die Mitgliedschaft in der KPD war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verboten. Wie andere Oppositionelle kam Decker in Schutzhaft in das dafür eingerichtete Konzentrationslager Heuberg bei Stetten am Kalten Markt. Im Oktober 1933 wurde er entlassen und bekam Arbeit bei der Firma Bosch in Feuerbach. Dort wurde er am 10. Dezember 1934 erneut verhaftet und am 11. Juli 1935 als Häftling ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Am 23. August 1935 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Stuttgart wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust.

Die Haft trat er am 25. Oktober 1935 in der Landesstrafanstalt Ludwigsburg auf dem Hohenasperg an, wo ihn seine Frau und seine beiden Kinder zum letzten Mal besuchen konnten. Die weiteren Stationen von Decker waren das Lager Achendorfer Moor im Emsland, das Zuchthaus Berlin-Plötzensee, dann das Gefängnis Berlin-Moabit. Seine Strafe hatte er am 23. Juli 1938 verbüßt. Doch statt entlassen zu werden, kam er über das Stuttgarter Polizeigefängnis in das Schutzhaftlager Welzheim, dann nach Augsburg und wieder nach Dachau. Am 27. September 1939 wurde er ins Konzentrationslager Mauthausen überstellt, wo er am 17. Januar 1940 ermordet wurde. Jene vier, die das Attentat konkret verübt hatten, wurden zu je zwei Jahren Haft verurteilt

Theodor Decker kam am 10. Januar 1901 auf die Welt im Stuttgarter Westen als uneheliches Kind von Elise Decker, die angeblich von einem Adligen geschwängert wurde. Aus seiner Jugendzeit ist bekannt, dass er im Ersten Weltkrieg quasi als Kindersoldat bei einer Einheit der Schutztruppe Deutsch-Südwestafrika war. Im April 1922 hat er dann Arbeit beim Telegrafenamt bekommen.

Passend zur Veröffentlichung dieses Artikels gibt es jetzt von der Akademie für Gesprochenes Wort den Podcast „gedenkworte“. In diesem Kooperationsprojekt zwischen der Stolperstein-Initiative und der Akademie für gesprochenes Wort sowie der Uta-Kutter-Stiftung konnte jetzt mehr als ein Jahr lang fast wöchentlich eine Biografie eines Menschen veröffentlichen, für den ein Stolperstein verlegt wurde. Die Recherche und die Texte kommen von der Initiative Stolperstein, das Sprecherteam von der Akademie für gesprochenes Wort. Seither können jetzt auch Angehörige in aller Welt die Biografien anhören.