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Stolperstein in Stuttgart-Ost: Ermordet der Liebe wegen

Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten 
Frank Rothfuß 25.01.2024 – 15:35 Uhr

Käthe Loewenthal wurde aus Stuttgart verschleppt und 1942 im Lager im polnischen Ibicza ermordet. Foto: Archiv der Stadt Stuttgart/Nachlass

Die Nazis erteilten der Malerin Käthe Loewenthal ein Berufsverbot. 1938 kam sie aus der sicheren Schweiz nach Stuttgart zurück, um ihre todkranke Freundin zu pflegen. Schließlich wurde sie Opfer des Terrors. Aus unserer Serie „Stuttgarter Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen“
Sie verkörperte alles, was die Nazis hassten. Sie hatte Vorfahren jüdischen Glaubens, sie liebte eine Frau, sie hatte einen eigenen Kopf, sie war emanzipiert, sie war gebildet. Die Malerin Käthe Loewenthal wurde im Kaiserreich geboren, genoss die Freiheit der Weimarer Republik und ist 1942 im Lager in Izbica in Polen ermordet worden.
Am 27. Januar 1945 hat die Rote Armee die Gefangenen des Konzentrationslagers Auschwitz befreit. Dieser Jahrestag ist seit 1996 deutscher Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Und seit 2005 internationaler Gedenktag für die Opfer des Holocaust. Die sowjetischen Soldaten fanden 7600 Menschen, mehr tot als lebendig, und 650 Leichen. In den Magazinen entdeckten sie 843 000 Herrenanzüge, 837 000 Damenmäntel und Damenkleider, 44 000 Paar Schuhe, 14 000 Teppiche und 7,7 Tonnen Haar. Kann man das Grauen in bloße Zahlen fassen?

Eine Liste des Grauens
Die Nazis und ihre Handlanger ermordeten mindestens 17 Millionen Menschen. Die Schreckensliste: sechs Millionen Juden, acht Millionen Zivilisten in der Sowjetunion, Polen und Jugoslawien, drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, 250 000 Behinderte, 250 000 Sinti und Roma, 70 000 sogenannte „Asoziale“, Bettler, Prostituierte, lesbische Frauen, 5000 Schwule, 1900 Zeugen Jehovas sowie eine unbestimmte Zahl von politischen Gegnern und Widerstandskämpfern.
17 Millionen Opfer. So viele Menschen leben heute in Baden-Württemberg und Hessen. 17 Millionen Menschen, 17 Millionen Schicksale, 17 Millionen Leben. Eines davon gehörte Käthe Loewenthal. An sie erinnert einer von 1000 Stolpersteinen in Stuttgart. Ihr Stein liegt vor dem Haus Ameisenbergstraße 32 im Stuttgarter Osten. Dort wohnte und arbeitete sie, gleich nebenan hatte sie ihr Atelier im Vereinshaus des Württembergischen Malerinnenvereins.

Stuttgarter Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen
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Der Stolperstein von Käthe Lowenthal Foto: S/Stolpersteine/Bogen

Weltgewandt und weit gereist
Käthe Loewenthal wird am 27. März 1878 in Berlin als Tochter von Wilhelm und Clara Löwenthal geboren. Sie hat fünf Schwestern, von denen nur die jüngste den Terror der Nazis überlebt. Ihre Mutter stammt aus einer reichen Kaufmannsfamilie in Hamburg, ihr Vater ist Arzt und Professor für Hygiene an der Humboldt-Universität. Er arbeitet mit Robert Koch und Paul Ehrlich, er lehrt und forscht im Ausland, in Tiflis, Lausanne, Paris, China, Bern und Argentinien. Die Familie Loewenthal ist weit gereist und weltgewandt, ihre jüdische Abstammung ist für sie allenfalls ein Hintergrundrauschen.
In der Schweiz lässt sich Käthe taufen und konfirmieren. Mit zwölf Jahren beweist sie nicht nur damit ihren starken Willen. Als die Familie von Bern nach Berlin zurückzieht, bleibt Käthe in der Schweiz bei einem protestantischen Pfarrerehepaar. 1894 stirbt ihr Vater mit nur 44 Jahren. Ein schwerer Schlag.

Sie weiß, was sie will
Die Mutter war kühl und distanziert, der Vater liebevoll, liberal und ermutigend. Ob es an diesem Verlust liegt? Zeit ihres Lebens hat Käthe Loewenthal mit Depressionen zu kämpfen. Doch sie weicht Kämpfen nicht aus. Auch nicht denen gegen sich selbst. 1940 schreibt sie in einem Brief: „Den realen Bedrückungen kann man nicht aus dem Weg gehen. Sie müssen bestanden werden. Oder man muss davonlaufen mit seinem Leben.” Davonlaufen ist ihre Sache nicht.
Käthe kehrt nach Berlin zurück, macht dort ihr Abitur. Sie weiß, was sie will: Malerin werden. Das geht sie überaus konsequent an. Sie studiert in Bern bei Ferdinand Hodler und in Berlin bei Leo von König. Der Generalssohn von König ist als Porträtist berühmt geworden. Er malte Erich Mühsam, Gerhard Hauptmann, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz. Er wurde geachtet, dann geächtet, 1937 soll Hitler ein Loch in eines seiner Bilder getreten haben.

Ab nach Stuttgart
Käthe Loewenthal lebt einige Jahre in München, zieht 1909 nach Stuttgart zu ihrer Freundin Erna Raabe. Diese ist bereits 1903 nach Stuttgart gekommen, um an der Kunstakademie zu studieren. Einer der wenigen Orte in Deutschland, wo dies einer Frau möglich ist – ausgerechnet in Württemberg, der Hochburg des „Pietkong“.
Hierzulande wurde die Dialektik erfunden, nicht zufällig, gibt es doch den Schwaben nicht ohne Widersprüche. Der tatkräftige Bruddler, der biedere Rebell, der verhockte Weltreisende. Alt-OB Manfred Rommel hat es so gesagt: „Der Schwabe neigt dazu, gleichzeitig mehrere Meinungen zu haben, die sich widersprechen.“ So kann er stramm konservativ sein und gleichzeitig fortschrittlich.

In der Damenklasse
Während man anderswo in Deutschland Künstlerinnen als „Malweiber“ verspottete, wurden an der Königlichen Kunstschule in Stuttgart bereits um 1860 Frauen zum Studium zugelassen. Als sich das herumsprach und immer mehr Frauen nach Stuttgart kamen, versuchten die Männer, ihnen das möglichst schwer zu machen. Mädchen galten als „außerordentliche Studierende“ und mussten 30 statt den sonst üblichen 20 Mark Aufnahmegebühr zahlen. Zudem mussten sie die Modelle selbst finanzieren.
Doch die Frauen waren selbstbewusst geworden. Sie gründeten 1893 den Württembergischen Malerinnenverein und feierten auf Motto-Festen, auf denen sie in Männerkleidung tanzten. Erste Vorsitzende war Anna Peters. Ihr Vater Pieter Francis Peters hatte 1861 die erste private Kunsthandlung in Stuttgart gegründet.
Anna lebte mit ihrer Schwester Pietronella ein relativ selbstständiges Künstlerinnenleben. 1877 hatte die Nationalgalerie eines ihrer Bilder gekauft. „Malen kann das Frauenzimmer“, bemerkte der große Realist Adolph Menzel. Sein Künstlerkollege Adolf Hölzel war ein Wegbereiter der abstrakten Malerei, er gründete seine Damenklasse in Stuttgart, auch weil er dachte, „die besten Lehrer sind gerade gut genug für die Frauen“, die ja viel nachzuholen hätten, was Kunst anging.

Leiden an der Niederlage
Käthe Loewenthal folgt ihrer Freundin Erna Raabe nach Stuttgart, studiert von 1910 bis 1914 in der Damenklasse bei Hölzel, wenngleich sie dessen Malstil nie folgt. Sie malt das Sichtbare, abstrahiert nicht.
Anders als viele ihrer Künstlerkolleginnen ist sie auch keine Revolutionärin. Im Privaten kämpft sie um ihre Freiheit, streitet wider das reaktionäre Frauenbild dieser Tage. Politisch aber ist sie konservativ, den Vertrag von Versailles hält sie für eine „Erniedrigung“ des Deutschen Volkes. Als „Wiedergutmachung“ widmet sie dem germanischen Helden Herrmann sowie Kaiser Karl, Kant und Beethoven 1919 eine Gedichtsammlung mit dem Titel „Dem Vaterlande”.

Leben im Osten
1914 bekommt sie von der Stadt ein Atelier in der Ameisenbergstraße zugeteilt. Sie lebt in der Nähe, erst in der Albertstraße, dann in der Hackländerstraße, von 1928 bis 1941 in der Ameisenbergstraße. Sie arbeitet als freie Malerin, verdient ihr Geld vor allem mit Porträts. Immer wieder reist sie nach Hiddensee, hier entstehen viele ihrer Bilder.
1934 erhält sie Malverbot. Den Nazis gilt sie als Jüdin, sie wird aus dem Stuttgarter Künstlerbund ausgeschlossen, sie darf keine Leinwand oder Farbe kaufen, an keiner Ausstellung teilnehmen und keine Bilder mehr verkaufen. Sie verliert ihr Atelier. Ihre ehemalige Putzfrau Marie Nothdurft und die Familie Donndorf helfen ihr, so gut das in aller Heimlichkeit geht.
Eine Mappe mit 250 Werken bringt der elf Jahre alte Walter Nothdurft zur Familie Donndorf, die sie bis zum Ende des Dritten Reiches aufbewahrt. Einen anderen, den größeren Teil ihres Werks, versteckt der Malermeister Albrecht Kämmerer, ein Verwandter von Willi Baumeister, in seinem Lager. Doch das geht 1943 bei einem Bombenangriff in Flammen auf.

Zurück zur Gefährtin
Die Konstante in ihrem Leben ist ihre Partnerin Erna Raabe. Für Käthe Loewenthal ist Erna ihre „Familie“. In einem Gedicht schreibt sie: „Hab’ keine Heimat gefunden/ und frier/ Blute aus Hunderten Wunden/Sehn mich nach Dir.“ Erna Raabe schreibt zurück: „Wir wollen unsere Lebenszeiten – schon stolpernd oder fliegend – zusammen beenden.“
Weil Erna Raabe schwer krank ist, kehrt Käthe Loewenthal trotz aller Mahnungen ihrer Freunde 1935 aus der Schweiz nach Stuttgart zurück. Dort pflegt sie ihre Freundin bis zu deren Tod.
Und hat nun bald keine Chance mehr, dem Terror zu entkommen. 1941 muss sie ins „Judenhaus“ nach Kaltental ziehen, 1942 wird sie in ein Sammellager in Weißenstein bei Göppingen gebracht. Am 26. April 1942 wird sie mit 440 Württembergern jüdischen Glaubens, darunter ein gerade mal 19 Tage altes Baby, vom Killesberg aus nach Izbica in Polen deportiert. Sie werden alle ermordet.

Die Themenseite zu unserer Stolpersteine-Serie finden Sie hier.

Serie
Auf Stuttgarts Gehwegen erinnern mehr als 1000 Stolpersteine an Menschen, die von den Nationalsozialisten entrechtet, verfolgt, deportiert und in vielen Fällen ermordet wurden. Dank der Recherchen der Initiative „Gegen das Vergessen: Stolpersteine für Stuttgart“ kennen wir die Geschichte der Menschen, deren Namen auf den Stolpersteinen verewigt sind. Bis Dezember erzählen wir jede Woche eine dieser Lebensgeschichten.