Julius, Hermine und Marianne Stern
Eine gut situierte wohlhabende Familie lebte auch in der Wiederholdstraße 22.
Julius Stern, geboren am 3.06.1886 in Malsch, nahe Esslingen, ist Geschäftsführer der
Firma Leo Mayer GmbH in Feuerbach, einem florierenden Unternehmen in der Affalterstraße 8. Dort wird Kunstbaumwolle hergestellt. Seine Frau Hermine Stern ist Mitinhaberin dieser Firma, die von ihrem Vater Leo Mayer gegründet worden war. Sie ist Stuttgarterin, wurde am 30.06.1896 in Feuerbach geboren. Die Sterns Mayers wohnen seit 1930 im zweiten Stock der Wiederholdstraße 22, hier wächst ihre Tochter Marianne Stern auf, von hier geht sie zur Schule.
Mehrere Dokumente weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Familie wohlhabend war. Die Akten belegen aber auch den materiellen Niedergang. Da ist zunächst die „Arisierung des Betriebes“, dessen Aktiva auf 383.977, 36 RM berechnet werden. Die Firma ist am 28.2.1939 erloschen und geht für 260.000 RM in den Besitz der Fa Robert Bosch GmbH über. Nach der „Pogromnacht“ werden die Sterns aufgefordert in 5 Raten á 5000 RM als Sühneleistung, die „Judenvermögensabgabe“, zu zahlen. Die Pfandleihanstalt der Stadt Stuttgart hatte ihr mobiles Eigentum zu taxieren, bevor es gepfändet und versteigert wurde. Die Akte Nr. 2647 belegt, dass die Wertsachen ihres Haushalts, wie Möbel, Kleider, Geschirr, Teppiche, Kunstgegenstände u.a. auf 2.624 RM geschätzt wurden; als amtlicher Schätzwert für das mobile Eigentum einer jüdischen Familie ein deutlicher Beweis, dass die Sterns in einem großbürgerlichen Haushalt gelebt haben. Mit dem Verkauf änderte sich Ihr Lebensstil schnell und grundlegend: mit nur wenig Hausrat werden sie noch vor Ihrer Deportation innerhalb eines einzigen Jahres (1941) nacheinander in zwei weitere kleine und beengte Wohnungen zwangsumgesiedelt werden: zunächst ins Obergeschoß der Breitlingstraße 33, dann in die Wielandstraße 17.
Dort wird die Familie Stern mit einem Schreiben von Anfang April 1942 aufgefordert, sich am 26.4.1942 in der „Ländlichen Gaststätte“ im Killesbergpark zur „Umsiedlung“ - Deportation - einzufinden.
Das Gebäude, nach dem Kriege lange Zeit als Kabarett genutzt, ist inzwischen abgerissen.
Die Deportation führt sie ins polnische Dorf Izbica, nahe bei Lublin. Nach dem, was an Erkenntnissen aus der ersten großen Stuttgarter Deportation vom 1.12.1941 nach Stuttgart durchgedrungen ist, machen sie sich keine Illusionen. Sie wissen, was auf sie zukommt. Eine Postkarte an die Tochter in New York, datiert vom 15. April/August 1942 aus Izbica, ist das letzte Lebenszeichen von den Dreien. Im „Durchgangslager“ Izbica verliert sich ihre Spur. Wie alle Übrigen müssen sie in die KZs entweder Sobibór oder Belzec verschickt und dort ermordet worden sein. Nicht ein einziger der 286 „Häftlinge“ des Transports aus Stuttgart kehrt zurück. In welchem der beiden KZs sie umgekommen sind, wissen wir nicht. Mit dem Datum der Postkarte aus Izbica vom 15. April/August 1942 werden die Sterns nach dem Kriege für tot erklärt.
Julius Stern ist 56, seine Frau 46, seine Tochter 17 Jahre alt.
Anmerkungen:
Die Anwesen Wiederholdstraße 20, 22 und 23 aus dem Jahre 1904 wurden am 12. September 1944 durch einen schweren Luftangriff der Royal Air Force zerstört.
Das letzte Lebenszeichen - eine Postkarte - ist vom15. April oder 15. August 1942 datiert.
Recherche und Text: Josef Klegraf, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Nord.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg und Stadtarchiv Stuttgart.
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Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
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Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
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Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
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Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
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im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
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Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
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