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Jakob Gustav, Lore Pia und Gretel Hella Guggenheim, Johannesstraße 73

In Erinnerung an Jakob Gustav Guggenheim und seine beiden Töchter Lore Pia und Gretel Hella Guggenheim wurden am 1. April 2019 drei Stolpersteine vor dem Haus Johannesstraße 73 verlegt.

J.G. GuggenheimJakob Gustav Guggenheim kam am 20. September 1876 in Tiengen/Baden als erstes Kind des Metzgers Moses Guggenheim (1847-1917) und seiner Frau Peppi, geborene Jung (1852-1920) zur Welt. Zwei Mädchen (Sophie und Jeanette) wurden 1878 und 1879 geboren, starben aber nach jeweils zwei Monaten. Erst als er fast acht Jahre alt war, bekam er mit Bona am 21. August 1884 eine Schwester. Seine Kindheit und Jugend dürfte er mit Vettern und Basen in Tiengen verbracht haben. Der Name Guggenheim war damals häufig in Tiengen.

Am 17. August 1919 heiratete Jakob Gustav Guggenheim in Waibstadt bei Sinsheim Selma Bodenheimer, geboren am 9. Juni 1889 in Neidenstein. Bei der Eheschließung wohnte er bereits in Stuttgart. Er hatte eine Papiervertretung, war also als Kaufmann bzw. Handelsvertreter tätig. Das junge Paar zog in das Haus des jüdischen Kaufmanns Benjamin Rosenfeld in der Militärstraße 35, heute Breitscheidstraße, im Stuttgarter Westen. Dem Ehepaar wurden zwei Mädchen in Stuttgart geboren: Lore Pia am 26. August 1922 und Gretel Hella am 27. Juli 1924.
 
Die Familie Guggenheim zog mehrmals um: 1922 bis 1925 wohnte sie in der Christophstraße 2, danach in der Schloßstraße 51, 1929 in der Kasernenstraße 49, heute Leuschnerstraße, und schließlich 1932 im 2. Stock des Hauses Johannesstraße 73.

Seit 1922 war Jakob Gustav Teilhaber der Firma Guggenheim & Co, Rohproduktenhandlung, Rotestraße 23 B, heute Theodor-Heuss-Straße. Mitinhaber waren Ludwig Guggenheim, sein Vetter, und Adolf Bodenheimer, sein Schwager. Von 1931 an war er erster Reisender und später auch Prokurist bei der Süddeutschen Papiermanufaktur AG Mannheim, einem großen Unternehmen für das er nicht nur Deutschland, sondern auch das Ausland bereiste, besonders die Schweiz. Er sprach mehrere Sprachen. 1936/37 wurde er als Jude völlig aus dem Berufsleben verdrängt. Vermutlich seit November 1938 hatte er keine Provisionseinnahmen mehr und musste von seinen Rücklagen leben.

Die Ehefrau und Mutter Selma verstarb am 11. September 1936 und wurde auf dem jüdischen Teil des Pragfriedhofs beerdigt. Die Töchter Lore Pia und Gretel Hella waren da gerade 14 bzw. 12 Jahre alt. Jakob Gustav Guggenheim zog mit den beiden Mädchen 1937 in eine preiswertere Wohnung in der Rosenbergstraße 150/1. Seine unweit von ihm wohnende Schwägerin Herta, Ehefrau von Adolf Bodenheimer, sagte nach dem 2. Weltkrieg aus, dass die Guggenheims sich bereits für die Auswanderung mit neuen Kleidern, Wäsche und auch Einrichtungsgegenständen ausstaffiert hätten. Doch dazu kam es nicht mehr.

In die Rosenbergstraße 150/1 zog 1938 auch die Schwester Bona Schwarzschild, geborene Guggenheim, die bis dahin in Delkenheim bei Wiesbaden gewohnt hatte, vielleicht bei ihrer 1915 geborenen Tochter Julia. Ihr Ehemann Julius Schwarzschild war bereits 1915 im 1. Weltkrieg gefallen.

Mit der Tante in der Wohnung dürfte das Leben für die beiden Töchter Lore Pia und Gretel Hella leichter geworden sein, zu denen sich fast keine Angaben finden ließen. Von der Mutter gut versorgt, wuchsen sie in einem größeren familiären Kreis auf, da Verwandte der Eltern in Stuttgart wohnten. Ab und zu dürfte auch die Großmutter mütterlicherseits (Adelheid Bodenheimer, geborene Friedberger, 1850 – 1936), die noch in Waibstadt (Kraichgau) lebte, besucht worden sein.

Wo die beiden Mädchen zur Schule gingen, ließ sich leider nicht feststellen. Von der Wohnung in der Kasernenstraße 49 aus, kämen als zuständige Volksschulen die damalige Johannesschule, Johannesstraße 6/8, oder die Hospitalschule, Hospitalstraße 8, in Frage. Da die Teilnahme am Unterricht in den allgemeinen Schulen für beide Mädchen immer schwieriger geworden war, besuchten sie zuletzt die jüdische Schule, die 1934 eröffnet worden war. Ihr Standort war ein “Hof- und Gartenplatz hinter dem Gemeindeverwaltungsgebäude” in der Hospitalstraße 36 A, unweit der damaligen Synagoge. Sicher ist, dass sie im Jahr 1941 dort noch zur Schule gingen, bevor diese geschlossen wurde.

Im Spätherbst 1941 wurde Jakob Gustav Guggenheim zusammen mit seinen Töchtern Lore Pia und Gretel Hella aufgefordert, sich auf dem früheren Reichsgartenschaugelände auf dem Stuttgarter Killesberg einzufinden. Sie waren in den ersten Deportationstransport eingeteilt, der von Stuttgart aus Richtung Osten in ein Konzentrationslager fuhr. Dieser Zug mit normalen Personenwaggons fuhr am 1. Dezember 1941 mit über 1000 jüdischen Frauen, Kindern und Männern aus Württemberg vom inneren Nordbahnhof aus nach Riga. Im Durchschnitt waren diese Menschen 43 Jahre alt. Drei Tage später hatten sie das Ziel erreicht: den Jungfernhof bei Riga.

Der 65 Jahre alte Jakob Gustav Guggenheim wurde vermutlich bei der Aktion “Konservenfabrik Dünamünde” im März 1942 ermordet. Den Häftlingen war mitgeteilt worden, dass sie nach Dünamünde transportiert würden, um in einer Fischkonservenfabrik zu arbeiten. Tatsächlich wurden alle im Wald von Bikernieki bei Riga erschossen. Das Leid seiner beiden Töchter ging weiter: Sie galten als “privilegierter Personenkreis”, weil sie ledig und kinderlos waren, also arbeitsfähig. Die letzte bekannte Adresse der damals 18 Jahre alten Gretel Hella ist das Außenlager “Getto Riga” von Riga-Jungfernhof. Anfang 1942 waren etwa 200 jüngere Personen, vorwiegend Frauen und Mädchen, zum Arbeitseinsatz dorthin überstellt worden. Die 22 Jahre alte Lore Pia wurde am 9. August 1944 noch in das KZ Stutthof bei Danzig verlegt. Auch die beiden Töchter wurden schließlich ermordet.

Die Spur Bona Schwarzschilds, der Schwester und Tante, verliert sich bereits vor den Deportationen. Vom Amtsgericht Hochheim wurde sie nach dem Krieg für tot erklärt. Ihre Tochter Julia lebte in den 50er Jahren in Haifa/Israel.

Alle Geschwister der verstorbenen Selma Guggenheim hatten sich mit ihren Familien in den USA in Sicherheit bringen können.

Margot Weiß (Recherche und Text)
Stolperstein-Initiative Stuttgart-West Juni 2018  

Quellen:
Staatsarchiv Ludwigsburg: Entschädigungsakten
Stadtarchiv Stuttgart: Adressbücher, Deportiertenliste, Judenlisten
Mit freundlichem Dank für Auskünfte von:
Standesamt Stuttgart, Stadtarchiv Waldshut-Tiengen, Ortsverwaltung Delkenheim, Gemeindeverwaltung Waibstadt, Paul-Lazerus-Stiftung-Wiesbaden

Bild:
Staatsarchiv Ludwigsburg, Passakten

Kontakt:
Wolfgang Kress (Stolperstein-Initiative Stuttgart-West), 0711/65 14 94, wolfkress@t-online.de