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Paula Beifus, Gaußstr. 95

Stolperstein-Verlegung am Mittwoch, den 15. März 2023, vor der Gaußstraße 95 in Stuttgart-West

Paula Beifus wurde am 29.11.1888 in Heddesdorf bei Neuwied geboren. 1912 heiratete sie den rund zwanzig Jahre älteren, aus Laasphe/Westfalen stammenden Bernhard Beifus. Kurz darauf zog das Paar nach Stuttgart, wo sich Beifus dem Vertrieb von Baumwollwaren und Trikotagen widmete. 1913 wurde die einzige Tochter Hilde geboren. Die Familie wohnte zunächst in der Liststraße 29, ab 1917 in der Hermannstraße 16, 3. Stock. Hilde besuchte das in der nahen Johannesstraße gelegene Königin-Olga-Stift, eine beim jüdischen Bürgertum beliebte Mädchenschule.
1929 erwarb das Ehepaar Beifus ein Grundstück in der Gaußstraße, in gefragter Halbhöhenlage; ihre Nachbarn waren ein ehemaliger Reichsarbeitsminister und Reichstagsabgeordneter der SPD sowie ein Oberbauinspektor. Als Architekten für ihr geplantes Haus beauftragten die Beifus das renommierte Büro von Oscar Bloch und Ernst Guggenheimer, beide Vertreter des Neuen Bauens, eines modernen städtebaulichen Stils mit kubischen Bauformen und Flachdächern; ein berühmtes Beispiel für diese einflussreiche Architekturrichtung ist die Stuttgarter Weißenhofsiedlung.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bekam die Familie zunehmende Repressionen zu spüren. Die Tochter Hilde, die im Februar 1933 am Olga-Stift ihr Abitur machte, konnte nicht wie gewünscht Jura studieren und Jugendrichterin werden – bereits damals wurden zahlreiche jüdische Anwälte und Richter aus ihren Funktionen gedrängt. So ging sie nach Brüssel, um sich zur Fotografin ausbilden zu lassen. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Fritz Franken kennen, der aus Köln in die belgische Hauptstadt geflüchtet war und dort mit seinen Brüdern ein Elektrogeschäft betrieb. 1935/36 emigrierten sie zusammen nach Palästina, wo die beiden Töchter Shulamith und Maja geboren wurden.

Ende 1938, wenige Wochen nach der Reichspogromnacht, in der neben den Synagogen auch zahlreiche jüdische Läden verwüstet wurden, musste die Beifus ihr Haus in der Gaußstraße, in dem sie acht Jahre gelebt hatten, verkaufen. Der neue Eigentümer sah sich mit der Forderung amtlicher Stellen konfrontiert, das Haus mit einem »deutschen Dach«, einem Walmdach, zu versehen. Ein Widerstand gegen moderne Architektur vermengte sich hier mit antisemitischem und rassistischem Affekt, wie auch bei der Diffamierung der Weißenhofsiedlung als »Vorstadt Jerusalems« und »Araberdorf«. Nach dem Krieg erhielt Hilde Franken einen finanziellen Ausgleich für das Haus; seit einigen Jahren ist es in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt.

Den Erlös aus dem Zwangsverkauf 1939 zog der nationalsozialistische Staat zum großen Teil als sogenannte Judenvermögensabgabe ein. Auch aus dem Umzugsgut, das Paula und Bernhard Beifus nach Jerusalem schickten, um ihrer Tochter zu folgen, wurden zahlreiche Wertgegenstände beschlagnahmt. Der Beginn des Krieges am 1. September 1939 machte dann eine Emigration unmöglich. Das Ehepaar Beifus wohnte zunächst in der Werastraße, dann in der Hölderlinstraße 51; ab Dezember 1939 waren jüdische Bürger gezwungen, sich in jüdischem Hausbesitz einzumieten, sogenannten Judenhäusern. Nach dem Tod von Bernhard Beifus im Oktober 1940 musste Paula Beifus in die Rosenbergstraße 144, später in ein von der Gestapo kontrolliertes Haus in der Hospitalstraße 34 umziehen. Sie engagierte sich in der jüdischen Restgemeinde und ist vermutlich in dem 1941 gedrehten Film über den sogenannten “Judenladen” in der Seestraße zu sehen. Zu den wenigen Kontakten, die ihr noch möglich waren, gehörte der Architekt ihres Hauses Ernst Guggenheimer; Oscar Bloch war bereits verstorben. Guggenheimer war selbst durch eine sogenannte Mischehe geschützt und entging auch der letzten Deportation aus Stuttgart nach Theresienstadt im Februar 1945, die diesen bislang verschonten Personenkreis betraf. Nach dem Krieg baute er die Stuttgarter Synagoge wieder auf.
Paula Beifus wurde am 1. März 1943, also vor genau 80 Jahren, vom Stuttgarter Nordbahnhof nach Auschwitz deportiert und vermutlich sofort ermordet.

Bei ihrem ersten und einzigen Besuch in Stuttgart nach dem Krieg, 1950, ließ Hilde Franken für ihre Eltern einen Grabstein auf dem jüdischen Teil des Pragfriedhofs aufstellen. Im Januar 1959 starb Fritz Franken an einem Herzinfarkt; seine Frau nahm sich ein halbes Jahr später unter diesem Schock das Leben. Aber gewiss wirkte hier auch die erlittene Verfolgung und das Trauma der Deportation ihrer Mutter nach.

Rechts: Paula und Bernhard Beifus

Recherche und Text: Susanne Stephan / Margot Weiß
Quellen: Stadtarchiv Stuttgart, Entschädigungsakten im Staatsarchiv Ludwigsburg; zur Baugeschichte des Hauses siehe Dietrich W. Schmidt: Bloch & Guggenheimer. Ein jüdisches Architekturbüro in Stuttgart, 2020.

Vor der Hermannstraße 16, dem Haus, in dem die Beifus vor dem Umzug in die Gaußstraße gewohnt hatten, liegen drei Stolpersteine für jüdische Bürger, die dort bis zu ihrer Deportation lebten. Informationen zu diesen und weiteren Stolpersteinen in Stuttgart-West wie im gesamten Stadtgebiet auf www.stolpersteine-stuttgart.de