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Christian Weber, Veielbrunnenweg 62

Christian Weber wurde am 14. Februar 1900 in Königsbronn im damaligen Oberamt Heidenheim, heute Landkreis Heidenheim, geboren. Sein Vater Gustav Adolph Weber, geboren am 7. Juli 1859, war von Beruf Eisendreher. Er starb schon im Alter von 50 Jahren, am 28. Juli 1909, an einer Lungenentzündung. Damals war Christian Weber neun Jahre alt. Seine Mutter hieß Christiane Weber, geborene Dauner. Sie war am 5. November 1870 geboren worden und verstarb zwei Tage vor Weihnachten am 22. Dezember 1920 mit ebenfalls 50 Jahren. Christian wuchs mit zwei Brüdern auf, dem 1897 geborenen Friedrich und dem 1905 geborenen Albert.

Christian Weber erlernte nach der Schule in Ludwigsburg den Beruf eines Schlossers und Schmiedes. Aus dem Kirchenbuch von Stuttgart-Bad Cannstatt lässt sich entnehmen, dass er spätestens ab 1929 in Cannstatt wohnte und am 27. Oktober 1929 neuapostolisch wurde. Gesundheitlich war er jedoch angeschlagen, denn mit 25 Jahren habe er Gelenkrheumatismus bekommen und sei 1932 wegen „gefährlicher Abmagerung“ im Krankenhaus in Cannstatt gewesen. Nach der Lehre arbeitete er zunächst bei Daimler, danach war er Schweißer bei der Straßenbahn. Aber diese Stelle habe er verloren, weil er seine Kollegen zum neuapostolischen Glauben habe bekehren wollen. Seit Herbst 1933 habe er dann wieder bei Daimler gearbeitet.

Ein Einschnitt in seinem Leben ergab sich durch einen Unfall mit Kopfverletzung im Oktober 1933. Er musste krankheitsbedingt zwei Wochen zu Hause bleiben. Danach wurde er im „Krankenhaus vom Roten Kreuz“ in Cannstatt behandelt. Gemäß seiner Patientenakte suchte er damals „jede Nacht das Haus eines Predigers“ auf und war davon nicht abzuhalten. Auffällig war, dass er sich nach dem Unfall in seinem Wesen angeblich verändert hat. Er musste sich bei Antworten lange besinnen und während er früher „pünktlich, gewissenhaft und fleißig“ gewesen sei, habe er sich laut seiner Patientenakte zunehmend „fanatisch und leidenschaftlich“ für seine Kirchengemeinde engagiert. Auch habe er immer weniger geschlafen, sei fortgelaufen und hätte Angstzustände gehabt.

Am 11. November 1933 ließ ihn der Arzt mit einem Sanitätsauto in das Bürgerhospital in Stuttgart einweisen. Er lebte damals in der Fabrikstraße 62 in Cannstatt. Nach der Einweisung war er extrem unruhig und machte sich Vorwürfe, Sünden begangen zu haben. Offensichtlich ergab sich durch Untersuchungen, dass eine Erbkrankheit vorliege und er an Schizophrenie leide. Am 26. April 1934 wurde er in die Heilanstalt Christophsbad Göppingen verlegt. Nach dem dortigen Patientenblatt war er verwirrt, abwesend und wollte „nachhause zu seiner lieben Schwester“. In den nächsten Wochen wurden Halluzinationen, Unruhe, Angst und Berührungsängste festgestellt, weshalb eine Untersuchung nicht möglich gewesen sei.

Am 17. August 1934 beantragte ein ärztliches Gutachten beim damaligen Erbgesundheitsgericht Stuttgart, Christian Weber unfruchtbar zu machen. Diesem Antrag stimmte das Erbgesundheitsgericht am 25. September 1934 zu. Tatsächlich erfolgte am 16. November 1934 die Sterilisierung im Krankenhaus Göppingen. Offensichtlich war Christian Weber traumatisiert durch den gegen seinen Willen vorgenommenen Eingriff. In der Patientenakte ist von „grotesken Vorstellungen, was alles aus ihm gemacht wurde“, die Rede, weshalb er sich weigerte, die Fäden aus der Wunde entfernen zu lassen.

In den nächsten Jahren scheint er etwas ruhiger geworden zu sein, konnte verschiedene Arbeiten, auch seiner beruflichen Qualifikation entsprechend, durchführen, hatte aber weiterhin Halluzinationen. Außerdem litt er an einem unstillbaren Sammeltrieb, indem er alles, dessen er habhaft wurde, aufsammelte.
Im April 1940 wurde bei Christian Weber eine Fieberkur mit Malaria-Erregern durchgeführt. Mit dieser Therapie wollte man wohl eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes erreichen. Doch im Mai desselben Jahres wurde die „Kur“ nach zwölf Fieberanfällen abgebrochen.

Am 26. Juni 1940 wurde er dann auf ministerielle Anweisung in die Heilanstalt Weissenau überführt. Sein dortiger kurzer Aufenthalt endete bereits am 5. Dezember 1940. Wenige Tage später, am 12. Dezember 1940, wurde er in Grafeneck im Rahmen der „Aktion T4“ im Alter von 40 Jahren ermordet.

Der Name „Aktion T 4“ basiert auf einer Ende 1939 in Berlin errichteten geheimen Organisation. Ihre Adresse war die Tiergartenstraße 4, daher der Begriff „T 4“. Hier wurde anhand der Patientenakten bis August 1941 über Leben und Tod entschieden. Zwischen 1939 und 1945 wurden ca. 200.000 Frauen, Männer und Kinder aus psychiatrischen Einrichtungen des Deutschen Reichs in mehreren verdeckten Aktionen ermordet. Allein aus Weissenau wurden 1940 und 1941 691 Patienten mit Bussen nach Grafeneck deportiert und ermordet.

Am 19. Oktober 2022 wurde im Veielbrunnenweg 62 (bis 1937 Fabrikstraße 62), ein Stolperstein für Christian Weber verlegt.

Christian Weber
Eingewiesen 1934
Heilanstalt Christophsbad Göppingen
“verlegt” 12.12.1040
Grafeneck
ermordet 12.12.1940
“Aktion T4”

Recherche und Text: Karl-Peter Krauss, Elke Martin

Quellen:
Christophsbad Göppingen, Patientenakte Christian Weber
Kirchenbuch der Neuapostolischen Kirche Stuttgart-Bad Cannstatt, KB B01991, Nr. 1607
Staatsarchiv Ludwigsburg, Patientenblätter, F 235 III Bü 915
Stadtarchiv Stuttgart, Akten Bürgerhospital 1721-1987, Christian Weber
Standesamt Königsbronn