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Stuttgart, 15.03.1943: Deportation der württembergischen Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau

Nach Einbruch der Dunkelheit verließ ein langer Güterzug den ?Stuttgarter Güterbahnhof?. Seine Fracht: Menschen, in Viehwaggons gepfercht ? Sinti und Roma aus Württemberg. Sein Ziel: das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ? tausendeinhundertfünfzig Bahnkilometer entfernt.

» Was war das für ein Weinen und Schreien damals, als sie die Menschen abgeholt haben ...? erinnert sich Olga Reinhardt aus Weil im Schönbuch. ?Die alte Mutter, sie war doch eine alte, kleine Frau. Sie ist zusammengesackt, aber um nichts in der Welt hat man sie oder wenigstens ein Kind dagelassen.«

Die älteste Teilnehmerin ist 83 Jahre alt. Das jüngste Baby zwei Monate. Mehrere Frauen sind schwanger. Die Reise ins völlig Ungewisse wird vielleicht 53 Stunden dauern. Möglicherweise sterben unterwegs bereits die Ersten? Was wird aus diesen Menschen werden?

Hildegard Franz aus Ravensburg berichtet von diesem grauenvollen Ereignis:
    » Sie brachten viele, viele Menschen von überall her, es waren einige Hundert Menschen. Die Polizei und die Gestapo sind mit schußbereiten Gewehren auf und ab marschiert. Es kann sich niemand vorstellen, was sich dort abspielte. Noch am gleichen Tag ging unser Transport von Stuttgart nach Auschwitz, jetzt aber in Viehwaggons. Ich weiß nicht mehr, wie lange die Fahrt gedauert hat. Zwei oder drei Nächte waren es. Wir sind spät abends oder nachts, es war schon dunkel, in Auschwitz-Birkenau angekommen. Nach dem Öffnen der Waggons sah man überall die Scheinwerfer, die alles beleuchteten.  …«

Hildegard war damals jung verheiratet. » Meine kleinen Mädchen waren drei und zwei Jahre alt, die Kleinste erst sieben Monate alt. « (Ausschnitt aus dem Film »MUT OHNE BEFEHL / Widerstand und Verfolgung in Stuttgart 1933-1945«, Katrin Seybold Film GmbH 1994)

Innerhalb von nur zehn Wochen starben ihre Kinder im ?Zigeunerlager? von Auschwitz-Birkenau. Ihr Mann, der sich zuletzt im KZ Bergen-Belsen befand, erlebte die dortige Befreiung nicht mehr.

Das Stolperstein-Recherche-Netzwerk Sinti und Roma forscht erst seit Januar zur Verfolgung und Vernichtung württembergischer Sinti und Roma. Im Moment können wir für Zweidrittel der Deportierten des Stuttgarter Transports nachweisen, dass sie Opfer des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma geworden sind.

Literaturhinweis: Die zitierten Texte von Olga Reinhardt und Hildegard Franz sind dem von uns empfohlenen Buch entnommen: … weggekommen. Berichte und Zeugnisse von Sinti, die die NS-Verfolgung überlebt haben. Herausgegeben von Daniel Strauß, Berlin 2000.