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Weitere Stolpersteine für Juden, “Euthanasie”-Opfer und Zwangsarbeiter – Verlegung am 27. Oktober 2016

Seit 20 Jahren ist der Kölner Künstler Gunter Demnig (69) unterwegs für die Stolpersteine, seinem Kunstprojekt für Europa, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der “Euthanasie”-Opfer im Nationalsozialismus lebendig erhalten will. Bereits jetzt ist sein Terminkalender mit Stolpersteinverlegungen bis Juni nächsten Jahres völlig belegt, auch Besuche in den Niederlanden, Italien, Spanien und Mazedonien gehören dazu.

Von Waldenbuch aus war Gunter Demnig am Donnerstag, 27. Oktober 2016 nach Stuttgart gekommen, um 16 weitere Stolpersteine zu verlegen und damit 16 weiteren Stuttgarter NS-Opfern wieder einen Namen zu geben. Der Schwerpunkt lag diesmal auf behinderten Opfern, die im Rahmen der “Euthanasie” als “lebensunwert” ermordet wurden. An einigen Verlegung nahmen auch Angehörige der Opfer teil, die z.T. weit angereist waren. Gedacht wurde aber auch jüdischen Opfern und einem Zwangsarbeiter. Die gut besuchten Verlegungszeremonien wurden u.a. von Musikgruppen und Schulklassen mitgestaltet.

Den Anfang machte gegen 11 Uhr ein Stolperstein in Vaihingen für Nikolaus Tschermuk, einem jungen russischen Zwangsarbeiter, der sich zwei Wochen vor seinem 20. Geburtstag auf dem Werksgelände der Metallwarenfabrik Herberts erhängte.

In Stuttgart-Nord erinnert nun ein Stolperstein an Carl Eisig (Jahrgang 1877), der dazu gezwungen wurde, seine Wohnung aufzugeben und in das jüdische Altersheim Heidehofstraße umzuziehen. Vier Tage vor der Deportation nach Riga am 1. Dezember 1941 heiratete er hier. An seine Frau Johanna Metzger geb. Eisig sowie an die beiden über achtzigjährigen Trauzeugen, Arthur Essinger und Heinrich Richheimer, die hier ebenfalls wohnten, erinnern bereits Stolpersteine in Stuttgart.

In Stuttgart-West wurde ein Stolperstein für den jüdischen Mitbürger Ludwig Weißburger verlegt. Der Epileptiker war viele Jahre in Heilanstalten. Als im Sommer das KZ Kowno (Kauen) in Litauen aufgelöst wurde, kam er in das KZ Dachau, wo er im Februar 1945 den Tod fand.

Für Emma Keim gibt es jetzt einen Gedenkstein in Stuttgart-Mitte in der Esslinger Straße 5, wo die Eltern das Lokal “Zum goldenen Träuble” betrieben hatten. Nach deren Tod kam die geistig behinderte Frau 1937 in die Anstalt Stetten, von wo sie im September 1940 zur Ermordung nach Grafeneck transportiert wurde.

Ebenfalls in der Stadtmitte wird an die Familie Lampelz erinnert. Das jüdische Ehepaar Udel und Henoch Lampelz sowie ihre beiden Kinder Klara und Max wurden deportiert und im deutsch besetzten Ost-Europa ermordet. Ihr zweitjüngster Sohn Julius, ein 15jähriger Teenager, schlug sich allein und mittelos ein Jahr lang im Untergrund quer durch Deutschland, Holland, Belgien, über den Balkan bis schließlich nach Palästina durch.

In Stuttgart-Ost wurden zwei Stolpersteine für “Euthanasie”-Opfer verlegt: Maria Schiller litt an Depressionen und als Folge davon an einer Schizophrenieform. Sie war Arbeiterin in einer Werkstätte für “Erwerbsbeschränkte” bis sie 1923 in die Heilanstalt Weissenau überwiesen und von dort im Juli 1940 nach Grafeneck verlegt und ermordet wurde. Auch Berta Groß litt an Schizophrenie. 1937 kam sie in die Heilanstalt Weinsberg, von wo sie im Mai 1940 nach Grafeneck kam und sofort nach ihrer Ankunft ermordet wurde.

In Bad Cannstatt werden die Schicksale eines jungen Mannes und einer Mutter in den Blickpunkt gerückt, deren Wege in den Tod sich mit denen prominenter Nazis kreuzten, deren Namen mit der NS-“Euthanasie” verknüpft sind: Dr. Karl Lempp, Stadtarzt und stellvertretender Leiter des Gesundheitsamtes sowie Rechtsanwalt Jonathan Schmidt, der Innenminister wurde und damit für die NS-“Euthanasie” mitverantwortlich war. Hans Lang und Pauline Dihl wurden 1940 in Grafeneck ermordet.

In Feuerbach wird an Aloysia Futterer erinnert, die wegen einer psychischen Erkrankung in die Heilanstalt Rottenmünster kam und von dort 1940 nach Grafeneck “verlegt” wurde, wo sie gleich nach der Ankunft in der dortigen Gaskammer ermordet wurde.

Schließlich wurde in Weilimdorf ein Stolperstein für Gotthilf Raith verlegt, der als Erwachsener erkrankte und 1931 als geistig behindert in die Heilanstalt Göppingen eingeliefert wurde. Über die Heilanstalt Weissenau wurde er 1940 nach Grafeneck transportiert und ermordet.

Aktueller Routenplan für die Stuttgarter Stolperstein-Verlegung am 27. Oktober 2016

Stolpersteine für Stuttgart am Donnerstag, den 27. Oktober 2016 (Uhrzeit~Steinverlegung):

11:00 Vaihingen – Schockenriedstr. 20
1 Stein für den russischen Zwangsarbeiter Nikolaus TSCHERMUK, der hier in der Metallwarenfabrik Herberts arbeiten musste und am 9.8.1944 in den Tod flüchtete

11:30 S-Nord – Parlerstr. 36
1 Stein für Carl EISIG
Deportiert 1941 Riga
Ermordet 1942 Salaspils

11:50 S-West – Lerchenstr. 28
1 Stein für Ludwig WEISSBURGER
Deportiert Kowno 1944 Dachau
Ermordet 16.2.1945

12:10 S-Mitte – Esslingerstr. 5
1 Stein für Emma KEIM
EINGEWIESEN 2.10.1937 HEILANSTALT Stetten
„VERLEGT“ 18.9.1940 Ermordet in Grafeneck

12:30 S-Mitte – Rosenstr. 41
6 Steine für Henoch + Udel LAMPELZ und deren Sohn Max („Polenaktion“ 1938 Deportiert 1941 Riga Ermordet) sowie deren Kinder Saul, Rosa und Julius, die nach Palästina flüchten konnten und überlebten             


13:30 S-Ost – Luisenplatz 6
1 Stein für Maria SCHILLER
EINGEWIESEN 21.11.1923 HEILANSTALT Weissenau
„VERLEGT“ 10.6.1940 Ermordet in Grafeneck

13:45 S-Ost – Abelsbergstr. 40 
1 Stein für Berta GROSS
EINGEWIESEN 21.5.1937 HEILANSTALT Weinsberg
“VERLEGT“ 8.5.1940 Ermordet in Grafeneck

14:15 Bad Cannstatt – Hallstr. 28
1 Stein für Pauline DIHL
EINGEWIESEN 29.5.1935 HEILANSTALT Rottenmünster 
„VERLEGT“ 29.11.1940 Ermordet in Grafeneck

14:30 Bad Cannstatt – Glockenstr. 46
1 Stein für Hans LANG
EINGEWIESEN 8.8.1938 HEILANSTALT Zwiefalten 
„VERLEGT“ 5.8.1940 Ermordet in Grafeneck

15:00 Feuerbach – Baldernstr. 4
1 Stein für Aloysia FUTTERER
EINGEWIESEN 19.7.1907 HEILANSTALT Rottenmünster
„VERLEGT“ 5.12.1940 Ermordet in Grafeneck

15:30 Weilimdorf – Kimmichstr. 17  (Verlegungsstelle im Hopplaweg)
1 Stein für Gotthilf RAITH
EINGEWIESEN 11.5.1931 HEILANSTALT Göppingen
„VERLEGT“ 5.12.1940 Ermordet in Grafeneck

Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein — Verschiebungen lassen sich trotz sorgfältiger Planung leider nicht ganz ausschließen — Änderungen sind möglich — Wer bei einer Steinverlegung dabei sein will, sollte sich deshalb möglichst frühzeitig am Verlegungsort einfinden! Aufgrund des eng bemessenen Zeitplans kann Gunter Demnig an den vor Ort stattfindenden Rahmenveranstaltungen jeweils nur kurz teilnehmen! Mehr Infos über die einzelnen Stadtteilinitiativen in der Tagespresse!

Den aktuellen Plan für die Verlegung am 27. Oktober 2016 gibt es hier zum Ausdrucken