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Trauer um Henry Kandler

Henry “Hank” Kandler, der 1929 in Stuttgart als Heinz Kahn geboren wurde und 1939 mit einem “Kindertransport” nach England den Nazis entkommen konnte, ist jetzt in New York gestorben. Die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen und die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V. haben ihm viel zu verdanken und erinnern an ihn mit untenstehender Traueranzeige in den Stuttgarter Zeitungen. Zudem erschien ein ausführlicher Nachruf von Jan Sellner in der Stuttgarter Zeitung, in dem insbesondere auch Hanks Engagement für den Erhalt des Hotels Silber gewürdigt wird, das nach den im Herbst 2008 bekannt gewordenen Plänen der Firma Breuninger, des Landes und der Stadt für ein neues Dorotheenquartier (damals großspurig “Da Vinci-Projekt” genannt) abgerissen werden sollte.

Foto: Thomas Schlegel

Bereits am 8. Mai 2007 wurden für Laura Diana “Lolo” und Martin Loeb  Stolpersteine in der Hohenzollernstraße 12 verlegt. Enkel Henry Kandler reiste dazu aus den USA an. Zwischen seinen zahlreichen Besuchen in Stuttgarter Schulen nahm er sich damals Zeit für ein Gespräch mit Mareike Erlmann von der Stabsabteilung Kommunikation der Stadt Stuttgart und erzählte seine Geschichte. Den Artikel geben wir hier zum Gedenken an einen großartigen Menschen unverändert wieder:

Henry “Hank” Kandler lebte bis zu seinem neunten Lebensjahr in Stuttgart. Dann schickten die Eltern ihn und seinen Bruder mit dem Kindertransport-Programm nach England. Der 77-jährige Psychiater lebt heute mit seiner Frau in New York und hat drei Kinder und sieben Enkel.

Eine Woche war Kandler in Stuttgart und besuchte Schulen. “Wenn jemand, der es erlebt hat, die Geschichte erzählen kann, ist das immer besser, als ein Buch zu lesen”, berichtet er von seinen Begegnungen mit den sehr interessierten Schülern.

Schwimmen verboten

Mitte der 30er Jahre erlebte der jüdische Junge Heinz Kahn, wie er damals hieß, Diskriminierung bewusst zum ersten Mal: Plötzlich durfte er nicht mehr ins Schwimmbad. Im August 1938 mussten Vater und Großvater das Familienunternehmen an einen Nazi-Funktionär verkaufen. “Das war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah”, erinnert sich Kandler.

“Kindertransport” nach England

Der nächste Schlag der Nazis traf die Kahns und alle anderen jüdischen Bürger Stuttgarts in der “Kristallnacht”. Wie alle jüdischen Männer wurde auch Heinz’ Vater Rudolf verhaftet und für drei Wochen ins KZ Dachau gesperrt. Heinz wechselte zwangsweise auf eine jüdische Schule. Lange blieb er dort nicht. Mit einem “Kindertransport” reisten der Neunjährige und sein sechs Jahre alter Bruder im Januar 1939 nach London zur Familie des Onkels. Kandler erinnert sich an den Tag des Abschieds: “Es war eher so, als würden wir in Urlaub fahren, um die Cousins zu sehen. Erst später erfuhr ich, wie unglücklich meine Großeltern waren. Ich habe sie nie wieder gesehen.” Sie fielen dem Nazi-Terror zum Opfer.

Wegen der Angriffe deutscher Bomber wurden die Kinder aus London weg geschickt, die Familie wurde getrennt. Heinz, der jetzt Henry hieß, lebte in den folgenden Jahren bei vier Familien, in Camps und Internaten. Er besuchte sechs verschiedene Schulen. “Menschen reden nicht gern über die schlechten Zeiten”, meint Kandler heute. “Ich erinnere mich, dass ich eine gute Zeit hatte. Aber die Briefe, die ich damals geschrieben habe, sie zeigen mir, dass ich ein sehr trauriger kleiner Junge war.”

Neubeginn in den USA

Den Eltern gelingt 1941 in letzter Minute die Ausreise in die USA. Sie nehmen den Namen “Kandler” an, ein Neubeginn. 1944 ist die Familie wieder vereint. Einfach war das zunächst nicht, erinnert sich Kandler, der in England gezwungermaßen sehr selbstständig geworden war. “Ich war 14, fühlte mich wie 20 und meine Mutter dachte, sie würde den Neunjährigen zurück bekommen”, meint er. Trotzdem fühlte sich Henry sofort wieder zu Hause.

“Meine Eltern haben mich vor den Schrecken der Naziherrschaft geschützt”, resümiert Kandler. Sie haben ihren Optimismus nie aufgegeben. Wohl ein wichtiger Grund, warum sich Kandler trotz aller schlimmen Erlebnisse heute immer noch gern an Stuttgart erinnert.
Mareike Erlmann

© Landeshauptstadt Stuttgart, Stabsabteilung Kommunikation

http://www.stuttgart.de/sde/item/gen/199017.htm