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Stolpersteine im Herbst 2023 – 20 Jahre Stolpersteine für Stuttgart – Mahnung und Verpflichtung gegen rechts!

Die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen sorgen sich um das Schicksal der Familie Havron, die Opfer des brutalen, terroristischen Überfalls der Hamas auf Israel geworden sind. Die Familie ist den Stolperstein-Initiativen wohlbekannt, stammen die Vorfahren doch aus Stuttgart. Im Jahr 2008 wurden drei Stolpersteine für die NS-Opfer Julie Heilbronner, deren Tochter Rosalie und ihrem Mann Georg verlegt – unter Beisein einiger Familienmitglieder, die dafür extra aus dem Kibbuz Beeri angereist waren. Seit dem jüngsten Massaker der Hamas ist der Verbleib von 10 Mitgliedern der Familie Havron unklar. Die Geschichtswerkstatt Stuttgart-Nord und die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen haben der Familie in einer Mail ihr tief empfundenes Mitgefühl ausgesprochen.
Angesichts der aktuellen Situation – des jüngsten Angriffs auf Jüdinnen und Juden in Israel, der erstarkenden Rechten in Deutschland und des entfesselten Antisemitismus quasi weltweit – hat auch die Jubiläumsmatinee „20 Jahre Stolpersteine für Stuttgart—Zukunft braucht Erinnerung“ am 15. Oktober 2023 eine bedrückende Aktualität erhalten. Wissenschaftsministerin Petra Olschowski, die die Laudatio im ausverkauften Stuttgarter Schauspielhaus gehalten hat, hat deutliche Worte gefunden: „Diese verstörenden und sehr deutlichen Signale aus der Gesellschaft zeigen uns, dass wir nicht ruhen dürfen. Wir müssen sicherstellen, dass die Erinnerung wach bleibt, die Geschichte nicht umerzählt wird und die jungen Menschen sich nicht abwenden und weghören“. Stuttgarts Erster Bürgermeister Fabian Mayer (CDU) hat per Videobotschaft die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für die Erinnerungsarbeit hervorgehoben.
Mit dieser Matinee setzten die Veranstalter (Stuttgarter Stolperstein-Initiativen, Initiative Lern– und Gedenkort Hotel Silber e.V., Schauspiel Stuttgart) und große Teile der städtischen Zivilgesellschaft ein deutliches Zeichen gegen rechts, damit Rassismus, Antisemitismus und Faschismus – egal welcher Ausprägung – niemals wieder eine Chance haben. Die „Kontext-Wochenzeitung“ berichtete darüber: https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/655/raus-aus-der-blase-9125.html. Eine Auswahl von Bildern gibt es hier und weiter unten im Text (Fotos von Björn Klein und Peter Pöschl). Eine vertonte Slideshow vermittelt einen Eindruck von dieser bewegenden Veranstaltung.

Das Gismo Graf Trio spielt
Gesprächsrunde mit Angehörigen von NS-Opfern: Nadine Olonetzky (zweite von links) Goswinde Köhler-Hertweck und Heinz Hummler sowie Akteur*innen der Stuttgarter Erinnerungskultur: Harald Stingele, Friederike Hartl (SJR) und Marc Gegenfurtner (Kulturamtsleiter)
Michael Kashi überbringt eine Grußbotschaft der Repräsentanz der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW)

Bei der Matinee waren zahlreiche Angehörige von NS-Opfern anwesend, etwa elf Enkel*innen und Urenkel*innen von Ludwig Löb, die aus den Vereinigten Staaten angereist waren, und vier Nachkommen in der dritten und vierten Generation von Dr. Hugo Erlanger aus Paris. Die in Israel lebende Enkelin von Hugo Erlanger und ihr Mann konnten wegen des durch den Überfall der Hamas ausgelösten Krieges leider nicht kommen. Nur wenige Tage nach dem 20-jährigen Jubiläum, am 18. Oktober 2023 wurden dann Stolpersteine für Ludwig Löb (in der Breitscheidstr. 108) und Dr. Hugo Erlanger (in der Alexanderstr. 153) verlegt. Weitere Gedenksteine wird Gunter Demnig, der Kölner Künstler und Initiator der Idee, am 6. November 2023 in Stuttgart verlegen – die Zeremonien für die Opfer des Nationalsozialismus werden wieder mit Redebeiträgen und musikalischen Darbietungen würdevoll gestaltet. Noch bis 1. November 2023 ist im oberen Foyer des Schauspielhauses die begehbare Skulptur „Dreiunddreißig“ von Min Bark und Jan-Hendrik Pelz zu sehen. Die Arbeit „Dreiunddreißig“ bezieht sich auf die Vergangenheit des Hauses in der Sonnenbergstraße 33, in dem der jüdische Rechtsanwalt Dr. Albert Mainzer (ermordet 1944 in Auschwitz) mit seiner Frau Franziska Mainzer (geb. Grünwald) wohnte.

 

Aktive aus den Stuttgarter Stolperstein-Initiativen
Die NaturFreunde-Kulturgruppe “Die Marbacher” auf der Bühne im Foyer (hier mit Andreas Nikakis, der die Mauthausen-Kantate singt)
Jazz-AG des Mörike-Gymnasiums
Gabriele Hintermaier & Boris Burgstaller lesen ausgewählte Opferbiographien

• Mittwoch, 1. November 2023, 19 Uhr:

Bündische Jugend zwischen Anpassung und Widerstand 1929 bis 1939 – Vortrag und Diskussion mit Dr. Matthias von Hellfeld im Hotel Silber, Else-Josenhans-Str. 3, 70173 Stuttgart, Foyer
Bereits am 1. November steht ein Thema des Widerstands auf dem Programm: „Bündische Jugend zwischen Anpassung und Widerstand 1929 bis 1939“. Schon vor der Machtübernahme von Hitler – bis zum Ende des 2. Weltkriegs – gab es Menschen, die Widerstand leisteten, trotz hoher persönlicher Risiken und geringer Erfolgsaussichten. Meist taten sich wenige Personen zu kleinen Gruppen zusammen, auch Jugendliche. Nach einem Vortrag des renommierten Historikers Dr. Matthias von Hellfeld soll im Gespräch mit heutigen Jugendorganisationen ergründet werden, wie und warum Jugendliche sich damals gegen das NS-Regime auflehnten. Es geht auch um die aktuelle Frage, was im Vergleich dazu heute junge Menschen politisiert und zu politischem Handeln motiviert.
Die gemeinsame Veranstaltung der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e. V., des Stadtjugend-rings Stuttgart e.V., der NaturFreunde und der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen findet am 1. November 2023 um 19 Uhr im Foyer des Hotel Silber statt. Der Eintritt ist frei. Anmeldungen werden erbeten unter: anmeldung@hotel-silber.de.

• Montag, 6. November 2023, ab 9 Uhr: Stuttgart erhält 13 weitere Stolpersteine— 42. Verlegung mit Gunter Demnig in Neuwirtshaus, Feuerbach, S-Ost, S-Mitte, S-Nord und S-West

9:00-9:15 Uhr: Neuwirthshaus, Halligenstraße 9 – 1 Stein für Helmut Stahl
Helmut Stahl war 17 Jahre alt als er 1939 wegen angeblichen Spionageverdachts verhaftet wurde. Zuerst war er im Gefängnis Heilbronn, von dort kam er ins KZ Mauthausen, Außenlager Schwechat, wo er am 23.10. 1943 ermordet wurde. Gestaltet wird die Zeremonie von der Gruppe Hörmal Vokal und Anne von der Vring sowie von Inge und Diethard Möller von der Stolperstein-Initiative Zuffenhausen. Auch lokale Vereine sind beteiligt.

9:35-9:50 Uhr: Feuerbach, Fahrionstraße 21 – 1 Stein für Karl Nothdurft
Karl Nothdurft war Wachmann bei einem Landesschützen-Bataillon in der Nähe von Kehl. Weil er sich kritisch über die Kriegslage und das NS-Regime geäußert hatte, wurde er im Dezember 1941 wegen „Wehrkraftzersetzung“ verhaftet. Im Frühsommer 1942 kam er zur Bewährung mit einer Strafkompanie an die mittlere Ostfront und starb im August 1943 an einer Verwundung durch Granatsplitter in Orscha (heutiges Weißrussland).

10:05-10:20 Uhr: S-Ost, Haußmannstraße 174 – 1 Stein für Hermann Seitz
Hermann Seitz wurde am 30. 11. 1944 (zusammen mit Angehörigen und Freunden der Untertürkheimer Familie Schlotterbeck) ohne jegliches Gerichtsverfahren auf Weisung des Reichssicherheitshauptamtes in Dachau ermordet. Die Zeremonie wird von Caroline Hatje, dem Schauspieler Christoph Hofrichter sowie Gudrun Greth und Walter Geisse von der Stolperstein-Initiative Ost gestaltet.

10:25-10:50 Uhr: S-Mitte, Urbanstraße 33 – 5 Steine für Klara, Jenny und Isidor Lemberger sowie Maria Schäfer und Anna Scheck
Isidor (*1875) und Jenny (*1876) sowie ihre drei Töchter Maria (*1905), Anni (*1906) und Klara (*1907) lebten den jüdischen Glauben nicht. Im Alltag spielte er keine Rolle – bis 1933. Die Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Klara, die Kläre gerufen wurde, verlor sofort nach der NS-Machtübernahme ihre Stelle beim Süddeutschen Rundfunk, später floh sie nach London. Maria wurde noch 1945 ins KZ verschleppt, überlebte aber. Ihre Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Anni erkrankte nach Kriegsende schwer und starb einige Jahre später in Folge der jahrelangen Verfolgung. Ihr Mann Erwin Scheck hatte sie und die beiden Söhne über die NS-Zeit gerettet, indem er sich weigerte, die Familie zu verlassen.

11:00- 11:20 Uhr: S-Nord, Oberer Hoppenlauweg 28 – 4 Steine für Gustav, Hedwig, Leopold und Frieda Blum
Gustav und Hedwig Blum, von Beruf Hoteliers, sind 1938 aus Oberhof/Thüringen nach Stuttgart gezogen, um eine „Jüdische Fremdenherberge“ zu betreiben. Bereits im August 1939 wurde aus dem Anwesen, das sich in jüdischem Besitz befand auf Anordnung der Stadtverwaltung ein sog. Judenhaus. In die Gästezimmer wurden jüdische Familien einquartiert. Gustav Blum, seine Frau Hedwig und der 15-jährige Sohn Leopold wurden am 1.12.1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert, wo sie ermordet wurden. Die gemeinsame Tochter Frieda überlebte, weil sie bereits 1939 mit einem Kindertransport nach England gebracht wurde.

11:30-11:45 Uhr (Achtung: Uhrzeit neu!): S-West, Feuerseeplatz 5 (Achtung: Verlegungsort neu!) – 1 Stein für Amalie Friedmann
Amalie Friedmann wurde 1871 in Sieniawa, Polen, als Tochter von Baruch und Sarah Silber geboren. Sie heiratete den aus dem pommerschen Thorn stammenden Israel Friedmann, Generalvertreter der in Frankfurt a.M. ansässigen „Liga Gummiwerke“. Das Paar hatte vier Kinder und lebte eine Zeitlang in München, später in Stuttgart, wo 1916 das jüngste Kind Werner geboren wurde. Von 1918 bis 1930 wohnte die Familie am Feuerseeplatz 5A. 1931 erfolgte der Umzug in die Seestraße 36. Diese Adresse existiert nicht mehr; die gesamte untere Seestraße ist heute vom Katharinen- und Olgahospital überbaut. Israel Friedmann, der in der Weltwirtschaftskrise einiges Vermögen verloren hatte, starb 1931. 1936/37 musste Amalie Friedmann die Wohnung in der Seestraße verlassen und in eine kleinere in der Schlossstraße 12A umziehen, 1940 in ein sogenanntes Judenhaus in der Olgastraße 75. Im Lauf des Jahres 1942 gelangte sie in das Jüdische Krankenhaus in Frankfurt, von wo sie am 16. März 1943 nach Theresienstadt deportiert wurde. Der Todeszeitpunkt ist unklar. Von ihren vier Kindern wurden zwei nach Auschwitz deportiert und ermordet: Joseph Friedmann, der mit seiner Familie nach Paris geflüchtet war, und Bella Stein, geb. Friedmann, die mit ihrer Familie in Pforzheim lebte. Amalies Tochter Sarah überlebte in Israel und der Sohn Werner in den USA, wohin er noch im August 1939, kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges, emigrieren konnte. Vorher hatte er für eine jüdische Agentur gearbeitet, die jüdischen BürgerInnen bei der Ausreise half. Eine Tochter von Werner Friedmann wird zur Verlegung aus den USA anreisen.

Stolpersteine für Stuttgart am Montag, den 6. November 2023:

Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein — Verschiebungen lassen sich trotz sorgfältiger Planung leider nicht ganz ausschließen — Änderungen sind möglich — Die Begleitveranstaltungen zu den einzelnen Verlegungen beginnen in der Regel früher — wer bei einer Steinverlegung dabei sein will, sollte sich deshalb möglichst frühzeitig vor Ort einfinden (20 – 30 Minuten vorher) und die Mitteilungen der Stadtteil-Initiativen (Kontaktadressen siehe unten) beachten! Über etwaige Änderungen im Verlauf der Verlegungen informieren wir an dieser Stelle.