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Stolpersteine für Stuttgart am 24. September 2007

Stolpersteine für Naziopfer – Gegen das Vergessen – Bereits 8. Verlegungsaktion in Stuttgart seit 2003

Seit 2003 hat der Kölner Künstler Gunter Demnig rund 11.000 Stolpersteine in über 220 Ortschaften (u.a. auch in Österreich, Italien, den Niederlanden und Ungarn) verlegt, um an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Deserteure und “Wehrkraftzersetzer”, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der  “Euthanasie”-Opfer im Nationalsozialismus zu erinnern. In Stuttgart liegen bisher mehr als 250 dieser Kleindenkmale, weitere 30 folgen am 24. September 2007. Wiederum haben die lokalen Initiativen in intensiver ehrenamtlicher Archiv- und Recherchearbeit die Namen und Schicksale der Opfer und damit ein Stück Stadt- und Zeitgeschichte erforscht.

Auf je drei Stolpersteinen vor den Häusern in der Wagenburgstraße 26-28 und in der Heidehofstraße 9 wird an die israelitischen Altersheime erinnert, die dort 1934 bzw. 1936 eröffnet wurden. 1940 und 1941 wurden in diesen Heimen jüdische Mitbürger vor ihrer Zwangsumsiedlung nach Dellmensingen, Eschenau und anderen Orten und der anschließenden Deportation zusammengepfercht, 1942 erfolgte die Zwangsräumung der Heime. Bei der Verlegung in der Heidehofstraße wird auch Dr. Roland Müller vom Stadtarchiv Stuttgart sprechen.

In der Albert-Schäffle-Straße 105 in Stuttgart-Ost werden jetzt den Stolpersteinen für das Ehepaar Berenz drei weitere Steine für ihre Kinder Abraham, Manasse und Bela Berenz hinzugefügt, die mit ihnen in die Vernichtung gehen mussten: Zwillinge mit fünf Jahren und das Jüngste im Alter von sieben Wochen.

In der Reinsburgstraße 104 in Stuttgart-West werden künftig zwei Stolpersteine an die Geschwister Mathilde und Rudolf Justitz erinnern. Sie besaßen zusammen mit ihren Brüdern Julius und Otto ein Juweliergeschäft in der Rotebühlstraße 35. Für Otto, der mit Frau und zwei Kindern ebenfalls nach Riga deportiert wurde, liegen bereits seit September 2005 Stolpersteine in Degerloch. Julius Justitz überlebte als Einziger.

Lina Hatje, die aus einer jüdischen Familie stammte, wohnte mit ihrem Mann, dem Sozialdemokraten und früheren Gewerkschaftsfunktionär Johann Hatje, und ihren Kindern Gerhard und Elsa in der Richthofenstraße, der heutigen Karl-Kloß-Straße, Nr. 40 in Stuttgart-Süd. Im Schutze einer sogenannten privilegierten Mischehe hätte sie die NS-Zeit überleben können. Ein kleiner Anlass genügte aber, um in die Fänge der stets lauernden Gestapo zu geraten, für einen jüdischen Menschen gab es dann kein Entrinnen.

Siegfried Sander kam wegen seiner SPD-Mitgliedschaft gleich bei der ersten Verhaftungswelle von März bis Oktober 1933 ins KZ Heuberg, die Familie verlor Wohnung und Arbeit. Nach dem 9. November 1938 wurden er und seine Frau Berta Sander auch aus der Wohnung in der Querstraße 23 (heute: Vandalenstraße) vertrieben, diesmal weil sie Juden waren. Bis zur Verschleppung nach Dachau und Ravensbrück im Jahre 1942 mussten sie in sogenannten Judenhäusern auf engstem Raum mit anderen jüdischen Familien leben.

Eugen Wiedmaier aus Zuffenhausen war Mitglied und Funktionär der KPD. 1934 wurde er während einer Beratung mit badischen Antifaschisten verhaftet und anschließend zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Ludwigsburg in strenger Einzelhaft verbüßen sollte. Dort wurde er am 14.3.1940 ermordet.

Nach Ernst Köhler (Hedelfingen) und Ernst Rohatsch (Luginsland), für die bereits im November 2006 bzw. Mai 2007 Steine gesetzt wurden, werden nun mit August Leitz (Vaihingen), Karl Albert Motzer (Stammheim) und Albert Fröhlich (Stuttgart-West) drei weitere Opfer der NS-Euthanasieverbrechen mit Stolpersteinen bedacht. Zur Verlegung in Stuttgart-West reist auch der in den USA lebende Bruder mit Familie an, außerdem wird Dr. Thomas Stöckle von der Gedenkstätte Grafeneck sprechen.

Die Schwestern Emilie und Julie Levi mussten schon bald nach der Machtübernahme erfahren, was es im Dritten Reich bedeutete, jüdischer Abstammung zu sein. Die Kommunalverwaltung entfernte rasch die “nichtarischen” Beschäftigten aus dem “Personalkörper”. Julie war nach sieben Dienstjahren ohne Einkommen. Nachdem ihr Antrag auf ein Übergangsgeld abgelehnt worden war, musste Emilies Rente für beide reichen. Zur finanziellen Not kam die immer strenger angezogene Schraube nazistischer Drohungen und Schikanen. Die nächste verlässliche Nachricht über Julie Levi stammt vom 1. Dezember 1941, dem Tag, an dem sie vom Killesberg aus nach Riga deportiert wurde und ihre Spuren sich im Grauen des Massenmordes verlieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte man die Schwestern aus ihrer Wohnung im zweiten Stock des Cannstatter Hauses Liebenzeller Straße 8 längst hinausgedrängt. Emilie kam im bereits völlig überbelegten jüdischen Altersheim Wagenburgstraße 28 unter. Von dort wurde sie am 22. Dezember 1941 nach Eschenau zwangsumgesiedelt, drei Wochen, nachdem ihre Schwester mit unbekanntem Ziel nach Osten abtransportiert worden war. Mit der Zwangsumsiedlung betagter Juden verfolgte die Stadt Stuttgart ein doppeltes Ziel: sich die Gebäude der jüdischen Altersheime anzueignen und eine “reinliche Scheidung zwischen Ariern und Juden” herbeizuführen. Im Dezember 1941 hat die Sicherheitspolizei die jüdischen Altersheime in Stuttgart deshalb geräumt und die Betagten in sogenannte Altersheime auf dem Land abgeschoben. Für die meisten waren diese “Landghettos” eine Zwischenstation auf dem Weg nach Theresienstadt. Emilie Levi hat den Umzug nach Schloss Eschenau bei Heilbronn jedoch nur einen Monat überlebt und starb am 26. Januar 1942.

In der Bebelstr. 43 und 29 werden künftig zwei Stolpersteine an Anton Hummler und Max Wagner erinnern. Beide waren überzeugt davon, dass Hitler und der Faschismus Krieg bedeuten würden. Sie hörten seit etwa 1938 regelmäßig Auslandssender, um sich zu informieren, und hatten darüber hinaus regelmäßige Kontakte zu einer Widerstandsgruppe in Berlin, für die sie im Sommer 1943 einen jüdischen Zahnarzt beherbergten, der in die Schweiz geschmuggelt werden sollte. Von einem Spitzel verraten, wurden sie im September 1943 verhaftet, vom berüchtigten Volksgerichtshof wegen geplanten Hochverrats verurteilt und am 25. September 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Anton Hummlers Sohn und seine beiden Schwestern werden bei der Verlegung anwesend sein.

Einen Tag vor der Verlegungsaktion, am Sonntag, den 23. September 2007 um 10:30 Uhr, wird Gunter Demnig im Rahmen einer Matinee der Naturfreunde im Clara-Zetkin-Haus Sillenbuch zur “Idee und Entwicklung des Projekts Stolpersteine” sprechen. Mitglieder der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen geben Auskunft über den Stand der Aktion in unserer Stadt, Autorinnen und Autoren lesen aus dem Buch über die “Stuttgarter Stolpersteine ? Spuren vergessener Nachbarn ? Ein Kunstprojekt füllt Gedächtnislücken”.

Weitere Einzelheiten können der angefügten Routenplanung entnommen oder bei den Kontaktadressen der Stadtteil-Initiativen erfragt werden. Nähere Informationen zum Schicksal der Opfer, für die jetzt Steine gesetzt werden, finden Sie demnächst auch unter dem Menüpunkt “Biografien”.

Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein – Verschiebungen nach vorne oder nach hinten lassen sich trotz sorgfältiger Planung leider nicht ganz ausschließen – Wer bei einer Steinverlegung dabei sein will, sollte sich deshalb möglichst frühzeitig am Verlegungsort einfinden! Aufgrund des eng bemessenen Zeitplans kann Gunter Demnig an den vor Ort stattfindenden Rahmenveranstaltungen jeweils nur kurz teilnehmen!

Stolpersteine für Stuttgart am Montag, den 24. September 2007 (Uhrzeit~Steinverlegung):

7:45 S-Ost

8:00 S-Ost
Wagenburgstr. 26/28
Heidehofstr. 9
3 Steine vor ehem. Jüdischen Altersheim
25 ermordete Bewohner
3 Steine vor ehem. Jüdischen Altersheim
72 ermordete Bewohner
8:30 S-OstAlbert-Schäffle-Str. 1053 Steine für Abraham, Manasse und Bela Berenz, mit 5 Jahren bzw. 7 Wochen 1942 nach Izbica deportiert
8:50 S-WestReinsburgstr. 1042 Steine für Rudolf und Mathilde Justitz, 1941 nach Riga deportiert und dort 1942 ermordet
9:10 S-SüdKarl-Kloß-Str. 401 Stein für Lina Hatje, 1943 nach Rudersberg deportiert und in Auschwitz ermordet
9:40 S-VaihingenKelterberg 10/11 Stein für Gottlob Häberle, KZ Welzheim 1936/40-41, KZ Sachsenhausen 1941-1945, ermordet 28.2.1945
10:00 S-VaihingenVaihinger Markt 121 Stein für August Leitz, ermordet 31.3.1941 ‘Landesheilanstalt’ Hadamar
10:40 S-ZuffenhausenVandalenstr. 232 Steine für Siegfried Sander (1942 nach Dachau deportiert und in Neuengamme ermordet) und Berta Sander (1942 nach Ravensbrück deportiert und dort ermordet)
11:00 S-ZuffenhausenMarconistr. 231 Stein für Eugen Wiedmaier, 1934 verhaftet und 1940 im Zuchthaus Ludwigsburg ermordet
11:30 S-StammheimKornwestheimer Str. 521 Stein für Karl Albert Motzer, ermordet 30.7.1940 ‘Landespflegeanstalt’ Grafeneck
13:00 S-Bad CannstattZieglergasse 12 Steine für Josef und Jette Buxbaum, 1942 nach Theresienstadt deportiert und in Treblinka ermordet
13:20 S-Bad CannstattLiebenzeller Str. 82 Steine für Emilie Levi (1941 nach Eschenau zwangsumgesiedelt) und Dr. Emil Loewe (1942 nach Theresienstadt deportiert)
13:40 S-Bad CannstattWiesbadener Str. 192 Steine für Klara Kaufmann (1942 nach Theresienstadt deportiert und in Auschwitz ermordet) und Johanna Kaufmann (1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet)
14:00 S-Bad CannstattKreuznacher Str. 61 Stein für Gerhard Loewe, 1942 nach Izbica deportiert
14:30 S-OstGriesinger Weg 91 Stein für Moses Oppenheimer, 1938 verhaftet und 1940 im KZ Buchenwald ermordet
15:00 S-WestRosenbergstr.1192 Steine für Nathan Fröhlich (1938 im KZ Dachau ermordet) und
Albert Fröhlich (ermordet 1940 ‘Landespflegeanstalt’ Grafeneck)
15:30 S-WestBebelstr. 43/1
Bebelstr. 29/2
1 Stein für Anton Hummler, ermordet am 25.9.1944 in Brandenburg
1 Stein für Max Wagner, ermordet am 25.9.1944 in Brandenburg