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Wenn Steine sprechen können

Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten vom 09.05.2007:

Wenn Steine sprechen können
25 neue Stolpersteine erzählen vom Leiden der NS-Opfer

 
Zum Gedenken an die Todesopfer des NS-Regimes verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig in den letzten vier Jahren 225 so genannte Stolpersteine im gesamten Stadtgebiet – am Dienstag kamen 25 neue hinzu.

VON JAN PETER

Ein Mann mit Hut kniet vor dem Haus in der Hohenzollernstraße 12. Er beugt sich über ein Loch im Asphalt. Neben ihm liegen zwei Steine: Stolpersteine, zum Gedenken an die Opfer des NS-Regimes. “Ich stelle sie selber her”, sagt der Mann. Sein Name ist Gunter Demnig. Seit 1996 hat der Kölner Künstler bereits über 11 000 solcher Steine in rund 429 deutschen und sieben österreichischen Städten im Straßenpflaster versenkt. Drei Stolpersteine befinden sich sogar auf den Straßen der ungarischen Hauptstadt Budapest. Wozu? “Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist”, sagt Demnig. Die zehn mal zehn Zentimeter großen Steinquader tragen deshalb eine Messingplatte, in die Name, Geburtsjahr und Leidensweg der Opfer eingraviert sind.

“Hier in der Hohenzollernstraße 12 lebten bis 1939 Diana und Martin Loeb”, erklärt Lokalhistoriker Jörg Kurz. “Die Nazis haben den Textilfabrikanten und seine Frau aus ihrer Wohnung verjagt uns später in ein jüdisches Altersheim nach Haigerloch umgesiedelt.” Dort starb Martin Loeb. Ein dreivierteljahr später wurde seine Frau in Auschwitz ermordet. “An das Ehepaar erinnern nun zwei Stolpersteine vor ihrem ehemaligen Wohnsitz”, so Kurz.

Behutsam fügt Demnig die beiden Quader in das Loch ein und schüttet Sand hinzu, bis sie fest sitzen. Dann poliert er die Messingplatten. Fertig: 232 Stolpersteine liegen nun auf den Straßen Stuttgarts, bis zum Ende des Tages werden noch 18 weitere hinzukommen.

Der Verlegung gingen langwierige Recherchen voraus. “Seit 2003 erforschen wir in 14 Ortsgruppen die Namen, Daten und Schicksale von NS-Opfern”, sagt Werner Schmidt von der Stuttgarter Stolperstein-Initiative. Ein Engagement, das weit über die Stadtgrenzen hinaus Beachtung findet: Der Enkel der Loebs, Henry Kandler, reiste aus den USA an, um bei der Verlegung der Steine dabei zu sein.

Dank der Stolpersteine weiß er: Die Namen und das Leiden seiner Großeltern werden nicht vergessen.
 
Aktualisiert: 09.05.2007, 06:13 Uhr