Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten vom 07.08.2007:
Vandalismus – Erneute Schändung der Opfer
Zehn Stolpersteine mit Farbe besprüht – Lokale Initiativen setzen Belohnung aus
Stuttgart – Damals, 1942, als Auguste und Joseph Goldschmidt von den Nationalsozialisten aus ihrem Haus in der Moserstraße geholt wurden, weinten die Nachbarn. Das böse Wort vom KZ, das man nur flüsternd verwendete, machte die Runde, erinnern sich Zeitzeugen. Wiedergesehen hat die beliebten Goldschmidts niemand. Auf den beiden Stolpersteinen vor dem Haus Nummer 13 stehen heute Dinge wie “Ermordet 16.5.1944 Auschwitz”. Jetzt könnte man ergänzen: Andenken besudelt am 3.8.2007.
In den vergangenen Tagen sind in mehreren Stadtbezirken insgesamt zehn der rund 250 Stolpersteine mit grauer Farbe besprüht worden. Mit den Messingplaketten erinnert der Kölner Künstler Gunter Demnig in zahlreichen Städten an die Opfer der Nazidiktatur. Und zwar dort, wo sie gewohnt haben – etwa in der Moserstraße, in der Urban- und der Olgastraße, wo in der Nacht zum vergangenen Freitag fünf Steine beschmiert worden sind. Bereits einige Tage zuvor waren Steine in Degerloch und Vaihingen betroffen.
Weil bei allen Fällen gleich vorgegangen worden ist, vermutet die Polizei dieselben Täter. Die Ermittlungen hat das Dezernat für Staatsschutz übernommen. Nähere Erkenntnisse gibt es allerdings noch nicht. Auch eine regelmäßige Überwachung der Steine sei wegen deren großer Zahl ausgeschlossen, sagt ein Polizeisprecher, der aber auf die Bevölkerung hofft: “Wir sind darauf angewiesen, dass die Leute sensibel reagieren. Vielleicht gibt es so die Chance, die Täter auf frischer Tat zu ertappen.
“Mithelfen wollen dabei auch die Initiative Stolpersteine für Stuttgart und die Initiative Anstifter. Letztere vermutet “eine gezielte rechtsradikale Aktion” und hat sogar eine Belohnung für Hinweise auf die Täter ausgesetzt. Die Stolperstein-Organisatoren haben ein Rundschreiben an alle Stadtteilgruppen verfasst mit der Bitte, alle Stolpersteine auf Beschädigungen und Schmierereien zu überprüfen. Bisher noch unentdeckte Taten sind nämlich nicht ausgeschlossen. “Es handelt sich keinesfalls um einen Dummejungenstreich, denn es wurde sehr exakt gearbeitet, offenbar mit Schablonen”, weiß Werner Schmidt von der Stuttgarter Stolperstein-Initiative.
Mittlerweile haben Helfer die Steine gereinigt. Zu den Tätern sei ihm nur ein alter Filmtitel eingefallen, sagt Gerhard Götze von der Initiative Stuttgart-Ost. “Denn sie wissen nicht, was sie tun.” Seine Empörung über “die gezielte Aktion” kleidet er in deutliche Worte: “Die Opfer werden dadurch nochmal geschändet.”
Ein klassisches Eigentor, die Formulierung sei erlaubt, haben die Täter aber geschossen: Weil bei den Steinen die graue Farbe zwar auf der Tafel, nicht aber in den Buchstaben gut zu entfernen war, sind die Namen der Opfer in der Moserstraße jetzt noch deutlicher zu lesen als zuvor. Den Farbsprühern und dem Vergessen zum Trotz.
Die Polizei bittet um Hinweise unter der Rufnummer 89 90 – 63 33.
Jürgen Bock, StN
07.08.2007 – aktualisiert: 07.08.2007, 10:32 Uhr