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Stolpersteine sollen der Erinnerung auf die Sprünge helfen

Artikel aus der Nord-Rundschau vom 09.11.2006:

Stolpersteine sollen der Erinnerung auf die Sprünge helfen

Am morgigen Freitag werden in Zuffenhausen erstmals acht Gedenksteine für Opfer des nationalsozialistischen Terrors verlegt – Manche Schicksale können nicht mehr geklärt werden

Zuffenhausen. Millionen Menschen gerieten in die Todesmühlen der Nazis. Hinter nackten Zahlen und Statistiken verbergen sich erschütternde Schicksale. Um das Gedenken an die Opfer wach zu halten, gibt es die Initiative Stolpersteine. Am morgigen Freitag werden in Zuffenhausen acht solcher Steine verlegt.

Von Bernd Zeyer

“Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt”, schrieb Bertolt Brecht einst. Dieses Motto hat der Kölner Künstler Gunter Demnig aufgegriffen und gehandelt. Seit 1993 hat er in Deutschland fast 9000 der zehn auf zehn Zentimeter großen Steine verlegt. Standorte sind Gehwege vor den ehemaligen Wohnhäusern verfolgter und ermordeter NS-Opfer. Auch in Stuttgart gibt es mehrere Dutzend dieser Gedenksteine, Zuffenhausen war bislang allerdings noch ein weißer Fleck auf der Stolperstein-Karte. Das wird sich am morgigen Freitag ändern: An vier verschiedenen Standorten werden acht Steine verlegt.

Ins Leben gerufen wurde die Zuffenhäuser Initiative von Inge Möller. Vor drei Jahren hat die ehemalige Bibliothekarin damit begonnen, in mühevoller Kleinarbeit Akten zu sichten, alte Briefe zu lesen und Zeitzeugen zu suchen. “Der Umgang mit dem Thema belastet einen sehr, aber es ist auch eine große Befriedigung, ein bislang unbekanntes Opfer aus der Vergessenheit zu bringen”, beschreibt Möller ihre Erfahrungen. Früher seien Archive für sie abschreckend gewesen, heute sei die Recherche manchmal spannender als jeder Krimi. 34 Schicksale von NS-Opfern hat sie bislang in Zuffenhausen gefunden. Am schwierigsten, so Möller, gestalte sich die Suche nach Angehörigen. Scham oder Scheu würden oftmals den Schritt in die Öffentlichkeit verhindern. Dazu kommt noch etwas anderes: “Nach 1945 gerieten Überlebende zum Teil an dieselben Beamten, die sie während der NS-Zeit in den Tod geschickt hätten”, sagt Möller.

Die meisten Opfer forderte die nationalsozialistische Vernichtungspolitik unter den europäischen Juden. Doch auch andere Bevölkerungsgruppen wurden von der NS-Ideologie als “lebensunwert” eingestuft: Sinti, Roma, Behinderte und Homosexuelle gehörten ebenso zu den Verfolgten wie politisch Andersdenkende und Widerstandskämpfer. Viele Schicksale können nicht mehr endgültig geklärt werden, was geblieben ist, das ist oftmals nur Name, Geburtsdatum und die letzte bekannte Adresse.

“Ich will die Erinnerung da hinbringen, wo die Menschen zu Hause sind”, sagt Gunter Demnig, der alle Steine selbst verlegt. Die Betonsteine haben eine Messingtafel, auf der nach der Überschrift “Hier wohnte” Namen, Daten und das Schicksal des Opfers eingraviert sind. Finanziert wird das Projekt in erster Linie durch Spenden, für 95 Euro kann die Patenschaft für einen Stein übernommen werden. Verlegt wird dieser auf dem Gehweg vor dem ehemaligen Haus des Opfers, der Stein geht so in den Besitz der Stadt über.

Begleitend zu dem Projekt ist nun auch ein Buch erschienen. Unter dem Titel “Stuttgarter Stolpersteine – Spuren vergessener Nachbarn – ein Kunstobjekt füllt Gedächtnislücken” (ISBN: 13-978-3-235-129-30-5) werden die Schicksale von 31 NS-Opfern nachgezeichnet, für die in Stuttgart Steine verlegt wurden. Einer von ihnen ist Eugen Spilger, der wenige Tage vor Kriegsende ohne Gerichtsverfahren erschossen wurde. Seine Mörder kamen mit geringen Gefängnisstrafen davon und mussten an die Hinterbliebenen nicht einmal Schadenersatz zahlen.

Zeitzeugen können sich bei Inge Möller, Telefon 87 01 68 9 melden. Am Donnerstag, 16. November, gibt es im Rahmen des Programms ZZZ zum Thema Stolpersteine von 19.30 Uhr an eine Veranstaltung in der Zuffenhäuser Zehntscheuer. Infos im Internet findet man unter: www.stolpersteine-stuttgart.de

Aktualisiert: 09.11.2006, 06:03 Uhr