Stuttgarter Nachrichten vom 17.03.2005:
Stolpersteine im Süden verlegt
Schüler des Mörike-Gymnasiums sind Paten für Hermine Mayer
Der Künstler Gunter Demnig hat am Mittwoch 21 Stolpersteine im Süden und sechs Steine im Osten verlegt. Sie sollen an die Opfer der Nazis erinnern. Demnig setzt die Steine vor den ehemaligen Wohnhäusern der Ermordeten in den Bürgersteig ein.
VON FRANK ROTHFUSS
Was vom Leben von Hermine Mayer blieb, passt auf eine Messingplatte, zehn mal zehn Zentimeter groß.
Hier wohnte Hermine Mayer
geb. Hell
Jg. 1876
Deportiert 1942
Theresienstadt
Ermordet 23. 9. 1942
Mehr als die nackten Daten in Adressbüchern und den Deportationslisten waren nicht mehr zu finden. Doch selbst dieses Wenige war Jahrzehnte in den Tiefen der Archive vergraben, Helene Mayer war vergessen. Nun haben ihr die Initiative Stolperstein und Gunter Demnig wieder ins Gedächtnis ihrer Mitmenschen verholfen: Wer immer das Haus an der Arminstraße 38 betritt, soll in Gedanken stolpern und lesen: “Hier wohnte Hermine Mayer.”
Nur wenige Schritte sind es von der Arminstraße 38 bis zum Mörikegymnasium. Schulleiterin Sonja Spohn nutzte mit ihrer elften Klasse das Verlegen des Steines als Anschauungsunterricht. Nicht nur wegen der geringen Distanz waren die Schüler gekommen, sie sind Paten, sie haben 95 Euro für Material, Gravieren, Gießen und Verlegen gespendet. Doch beim bloßen Bezahlen soll es nicht bleiben. “Wir wollen andere darauf aufmerksam machen”, sagen Lea und Tobias. Wie beim Mahnmal am Alten Schloss, für das das Mörikegymnasium ebenfalls Pate ist, sollen auch am Stein von Hermine Mayer Andachten stattfinden. Bei einem solchen Gedenken an die Nazi-Opfer hatte der ehemalige Bezirksvorsteher des Südens, Siegfried Bassler, den Schülern die Initiative Stolperstein näher gebracht.
Und die wollen gerne mehr tun, als nur beim Verlegen zuzuschauen. Neugierig sind sie, wollen mehr erfahren, “wie das früher war, wie das passiert ist”. Natürlich werde im Unterricht das Thema behandelt, “aber das sind doch vor allem Daten und Zahlen. Das ist sehr abstrakt.” Sechs Millionen Ermordete, so unvorstellbar ist die Zahl, dass man kaum begreifen kann, welches Leid sich dahinter verbirgt. “Aber so bekommen die Opfer ein Gesicht, werden ein Mensch, der in der Nachbarschaft gelebt hat”, sagen die Schüler, “vielleicht ist sie sogar bei uns in die Schule gegangen.” Sehr gut könnten sie sich vorstellen, ein Schicksal zu recherchieren, einen Menschen dem Vergessen zu entreißen.
Das Erinnern hat sich die Initiative Stolperstein vorgenommen. Sie wurde einst im Osten gegründet, mittlerweile liegen dort 77 Steine, sieben weitere kommen heute hinzu. Dem Beispiel sind Bürger aus dem Süden gefolgt, und auch in anderen Stadtteilen sind Initiativen am Werk. Es gilt viele Gedächtnislücken zu schließen: Die Nazis haben 4600 Stuttgarter Juden ermordet.