Artikel aus der Stuttgarter Zeitung
Frank Rothfuß – 08.12.2024 – 18:00 Uhr
Das Haus in Weilimdorf, in dem die Schumachers lebten. Mittlerweile ist es abgerissen, dort steht ein Neubau. Foto: privat
Es war eine mutige Familie. Widerborstig und widerspenstig, zur Not bis zum bitteren Ende. Friedericke Schumacher und ihre beiden Söhne waren Gegner der Nazis und bezahlten dafür mit Haft und dem Tod.
Es gab keine Gnade. Auch nicht für die 74 Jahre alte Friedericke Schumacher. Zwei Jahre ist sie schon in Haft, als sie krank wird. So schwer, dass sogar ein Aufseher des Amtsgefängnisses Schorndorf sein Gewissen entdeckt und vehement dafür plädiert, Schumacher ins Krankenhaus zu bringen. Am 30. Dezember wird sie schließlich ins Krankenhaus gebracht, dort stirbt sie am Neujahrstag 1945.
Doch warum wurde sie vom Regime so bestraft? Friedericke Schumacher ist am 18. Juli 1870 in Geisingen, im Kreis Ludwigsburg, auf die Welt gekommen, als Tochter des Landwirts Johann Jakob Hehr und seiner Ehefrau Christine Veronika. 1906 heiratete sie den Schreiner Karl Emil Schumacher. Das Paar lebte zunächst im Stuttgarter Westen, erst in der Bismarckstraße 44, dann in der Schwabstraße 50, schließlich mit den beiden Söhnen in der Seyfferstraße 41.
Der Stolperstein für Friedericke Schumacher. Foto: privat
Im Ersten Weltkrieg wurde Emil Schumacher eingezogen. Und starb am 31. August 1916 an Ruhr in einem Feldlazarett in Gruschty (Nowo-Alexandrowsk) in Russland. Seiner Witwe und den Kindern blieben nur der Ehering und seine Taschenuhr.
Es gab das Wort damals noch nicht, doch Friedericke Schumacher war alleinerziehend. Von 1918 bis 1936 wohnte sie mit ihren zwei Söhnen Emil und Erich in Stuttgart in der Möhringer Straße, dann zog das Trio nach Weilimdorf in die Bachstraße 59. Die 1938 umbenannt wurde: Ausgerechnet nach einem Offizier, den die Nazis wegen seines Widerstands gegen Napoleon als Kriegsheld verehrten. Fortan lebten sie in der Ferdinand-Schill-Straße.
Im Widerstand
Emil arbeitete als Kaufmann und Erich als Mechanikermeister. Sie kauften schließlich das Haus. Emil zog mit seiner Frau Wilhelmine nach Feuerbach in die Kyffhäuserstraße 15. Friedericke blieb mit ihrem ledigen Sohn Erich in Weilimdorf wohnen. Mit im Haus lebten Hans und Gertrud Müller. Die Müllers waren Mitglied der Kommunistischen Partei und hatten mit ihrem Kampf gegen die Nazis nicht aufgehört, sondern im Verborgenen weitergeführt. Gertrud Müller stenografierte die deutschen Sendungen aus Moskau mit, tippte sie auf ihrer Schreibmaschine, vervielfältigte und verbreitete sie.
Die Naturfreunde waren verboten
Die Schumachers waren Mitglieder der Naturfreunde. Die Nazis hatten die Organisation 1933 umgehend verboten. Und dies nach und nach in den besetzten Gebieten fortgeführt. In Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Holland, Frankreich, Ungarn sowie in Danzig wurden die Naturfreunde aufgelöst. Das betraf 200.000 Mitglieder sowie das gesamte Vermögen des Vereins einschließlich der 416 Naturfreundehäuser. Generalsekretär Leopold Happisch verlegte den Sitz der Gesamtorganisation rasch nach Zürich und konnte dort das Geld der Naturfreunde in Sicherheit bringen. Ein Teil des Archivs der Naturfreunde reiste versteckt im Tender einer Lok in die Schweiz.
In Württemberg wurden 239 Naturfreunde zu insgesamt 485 Jahren Konzentrationslager oder Gefängnis verurteilt. 16 Menschen sind in der Haft gestorben oder wurden hingerichtet. Die Schumachers waren also unter Beobachtung, aber sie gaben nicht klein bei. Gemeinsam hörte man im Haus Nummer 59 ausländische Sender um die Wahrheit über den Verlauf des Krieges zu erfahren. Das war strengstens verboten. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 erging die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“. Es drohte Zuchthaus.
Das Hören von „Feindsendern“
Der Deutsche Dienst der BBC war bereits 1938 während der Krise ums Sudetenland auf Sendung gegangen. In der ersten deutschsprachigen Sendung am 27. September 1938 wurde die Rede des britischen Premiers Chamberlain verlesen. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 und dem Kriegseintritt der USA kamen aus Moskau und Amerika via Kurzwelle deutsche Programme. Dafür musste man den Volksempfänger umbauen. Die Anleitung dafür kam von der BBC.
Fast alle deutschsprachigen Sender der Alliierten ließen Kriegsgefangene zu Wort kommen. Auch die „Stimme Amerikas“, die als staatlicher Auslandsfunk seit Februar 1942 sendete. Radio Moskau gestalteten deutsche Kommunisten, die den Nazis entkommen waren. Am Ende des Programms der Stimme Amerikas kam stets der Hinweis wieder auf deutsche Sender umzuschalten.
Folter wegen Barmherzigkeit
Denn die Blockwarte waren darauf geeicht, die Hörer von „Feindsendern“ aufzuspüren. 1941 suchten sie alle Wohnungen auf und brachten an den Volksempfängern eine Karte an: „Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet. Denke daran!“ .
Das schreckte weder die Müllers noch die Schuhmachers. Doch die Nazis waren gnadenlos. Im Juni 1942 wurden Hans und Gertrud Müller verhaftet wegen staatsfeindlicher Betätigung und Vorbereitung zum Hochverrat. Sie hatten versucht, Zwangsarbeitern im Lager Lehmgrube in Weilimdorf Essen zukommen zu lassen. Sie wurden denunziert, das Abhören von Feindsender war einer der Vorwürfe. Hans Müller wurde bei Verhören schwer misshandelt und war bis Kriegsende in Haft. Gertrud Müller blieb bis Herbst 1943 in Schutzhaft, dann kam sie ins KZ Ravensbrück, dann in ein Außenlager des KZ Dachau. Dort wurde sie bis 1945 von den Amerikanern befreit.
Auch der Sohn wird verhaftet
Erich Schumacher ist Mitglied einer Abspaltung der KPD, er wird am 11. September 1942 an seinem Arbeitsplatz verhaftet – wie viele andere Regimegegner am gleichen Tag. Da die Gefängnisse in Stuttgart überfüllt sind, kommt Erich Schumacher in Haft in Esslingen und Backnang. Im Frühjahr 1943 wird er nach Stuttgart zum Verhör ins Hotel Silber gebracht, wo er schwer misshandelt und bewusstlos geschlagen wird. Im April 1945 muss er mit anderen Gefangenen zu Fuß von Esslingen nach Ravensburg marschieren. Sie werden am 25. April 1945 in Heudorf bei Riedlingen von französischen Truppen befreit.
Nach seiner Rückkehr bekam er das Haus Nr. 59 wieder zurück. Er starb 1980. Sein Bruder Emil wurde eingezogen und kam 1949 aus russischer Gefangenschaft zu seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern nach Feuerbach zurück. Er starb 1984.
Friedericke Schumacher wurde am 28. August 1942 im Alter von 72 Jahren verhaftet. Die Anklage lautet auf Vorbereitung zum Hochverrat wegen antifaschistischer Tätigkeiten und Verbreitung feindlicher Rundfunknachrichten. Es findet weder eine Gerichtsverhandlung noch eine Verurteilung statt. Bis zu ihrem Tod kommt sie nicht mehr frei. Sie wird später als politisch Verfolgte anerkannt. 2009 wird der erste Stolperstein in Weilimdorf vor ihrem ehemaligen Haus in der Lindenbachstraße, wie sie mittlerweile heißt, verlegt. Als Mahnung und zu ihren Ehren.