Artikel aus der Stuttgarter Zeitung
Dominika Bulwicka-Walz 19.05.2024 – 18:00 Uhr
Das Ehepaar Isak und Johanna Falk. Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg
Isak und Johanna Falk legten die Hände nie in den Schoß. Sie waren tüchtig und voller Ideen. Bis die Nationalsozialisten auch ihnen alles nahmen.
Isak Falk war offenbar keiner, der sich leicht unterkriegen ließ. Wenn etwas nicht funktionierte, tüftelte er an einer neuen Idee und probierte einen anderen Weg. Das hatte er als Bub wahrscheinlich bereits früh lernen müssen. Als Vollwaise im Alter von elf Jahren stand er bis zur Volljährigkeit unter der Vormundschaft eines Verwandten. Ein kleines Erbe, das ihm seine Eltern hinterlassen konnten, nutzte er später, um in Straßburg eine Kaufmannslehre zu absolvieren.
Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte Isak Falk in Stuttgart sein Glück. Gemeinsam mit Max Thalheimer gründete der damals 32-Jährige die „Falk u. Co. Schuhriemenkonfektion und Anschlägerei“ in der Olgastraße 47. Und wie es das Schicksal wollte, Max Thalheimer heiratete und Isak Falk verliebte sich in die Schwester der Braut: Johanna Ebstein.
Zahlreiche Umzüge
Die elf Jahre jüngere Johanna war als das jüngste von acht Geschwistern in wohlbehüteten Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater betrieb ein Herren- und Knabenkleidermagazin in der Hirschstraße, wo er sogar eine Immobilie erwerben konnte. Die prominente Lage in der Innenstadt ist ein Hinweis auf erfolgreiche Geschäfte.
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Nach der Heirat ausgestellte Urkunde für Johanna Falk. Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg
Die Hochzeit des 34-jährigen Isak und der 25-jährigen Braut fand am 11. Mai 1922 in Stuttgart statt und die frischgebackenen Eheleute zogen gemeinsam in Isaks Wohnung in Bad Cannstatt in die Neckarstraße 105. Ein glückliches Familienleben zeichnete sich ab. Ein Jahr nach der Hochzeit wurden Johanna und Isak stolze Eltern. Am 10. Juni 1923 kam der Stammhalter Fritz zur Welt, Tochter Carry am 11. Januar 1925. Und während sich die Familie vergrößerte, zog sie auch mehrfach um. Die damaligen Adressbücher erwähnen die Langestraße 59 im Stuttgarter Westen, die Landhausstraße und die Urbanstraße, wo die Falks innerhalb der Straße zwei Mal umzogen und schließlich die Uhlandstraße 14A.
Wäschereibetrieb in der Ulrichstraße
Auch beruflich veränderte sich der Isak Falk mehrfach. Sein Unternehmen benannte er 1922 in eine „Schuhnestelfabrik“ um, heute würde man Schnürsenkelfabrik sagen. Erfolg hatte er damit wahrscheinlich keinen, denn 1925 begann er eine Frottierwarengroßhandlung. Es folgte ein Textilwarengeschäft und 1927 eine berufliche Trennung, da Teilhaber Max Thalheimer mit seiner Familie nach Tübingen zog.
Urkunde Isak Falks. Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg
Die teils turbulenten und wechselhaften Zeiten seines Unternehmertums sind wohl auch auf die wirtschaftlich schwierigen Jahre nach dem ersten Weltkrieg zurückzuführen. Doch die Falks waren scheinbar keine Familie, die die Flinte ins Korn warf: Anfang der Dreißigerjahre, 1932, kehrte die Familie der Textilbranche endgültig den Rücken und eröffnete eine Wäscherei im Erdgeschoß der Ulrichstraße 1. Dieser Betrieb bestand am längsten, aber auch hier war nach sechs Jahren Schluss. Dieses Mal sind allerdings weder Unwirtschaftlichkeit noch schlechte Geschäftsideen der Grund. sondern die politischen Verhältnisse. Die Nationalsozialisten drangen immer stärker an die Macht.
Ausreise nach Palästina geplant
Die Reichspogromnacht markierte einen tiefen Einschnitt. Organisierte Schlägertrupps zerstörten in der Nacht vom 9. auf dem 10. November 1938 jüdische Geschäfte und Einrichtungen, setzten jüdische Gotteshäuser in Brand, Plünderungen und körperliche Misshandlungen jüdischer Nachbarn, Geschäftspartner und bisherigen Freunde kamen hinzu.
Lina Ebstein, Johannas älteste Schwester. Sie wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Foto: Yad Vashem
Wie Isak Falk in der Reichspogromnacht einer Verhaftung entging, ist nicht zu rekonstruieren. Fest steht aber, dass die Falks ihren Wäschereibetrieb aufgeben mussten. Tochter Carry wechselte gezwungenermaßen auf das jüdische Internat „Wilhelmspflege“ in Esslingen. Hatte die Familie im Vorfeld geahnt, dass eine Katastrophe drohte? Wahrscheinlich ja. Darauf deutet zumindest der Plan hin, für den 14-jährigen Fritz eine Ausreise nach Palästina vorzubereiten. Aus diesem Grund begann er bereits im April des Jahres 1938 eine Ausbildung an der „Israelitischen Gartenbauschule“ in Ahlem bei Hannover, die sich seit 1933 bei der Vorbereitung von Ausreisen engagierte.
Stelle als Verwalter
Währenddessen in Stuttgart: Nachdem Isak und Johanna Falk ihre Wäscherei aufgeben mussten, standen sie mittellos da. Die Sorgen, Verzweiflung und Unsicherheit der Familie, kann man nur erahnen. Wahrscheinlich war ihre langjährige Geschäftserfahrung ausschlaggebend, dass sie eine neue Beschäftigung fanden. Im „Israelitischen Asyl für alleinstehende Männer und Frauen“ in Sontheim bei Heilbronn verdingten sie sich nun als Hausverwalter.
Dora Thalheimer, geb. Ebstein, Johannas Schwester mit ihren Kindern. Foto: Stadtarchiv Tübingen
Allerdings wurde die Einrichtung im November 1940 geschlossen. Isak kehrte mit Frau und Tochter nach Stuttgart zurück, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach erneut in ihrer früheren Wohnung in der Uhlandstraße 14A lebten. Doch diese mussten sie sich jetzt mit einer anderen Familie teilen. Es ist die Familie des langjährigen Religionslehrers Meier Rosenstein, die aus Schopfloch bei Ansbach nach Stuttgart zieht. Die Tochter Frieda Süss-Schülein nahm sich im Mai 1939 wegen der zunehmenden Verfolgung das Leben.
Was im Verlauf der kommenden zwölf Monate geschah, bleibt ungeklärt. Das nächste gesicherte Ziel der Familie Falk ist Ende 1941 das Schloss Weißenstein im Kreis Göppingen. Was malerisch klingt, war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Zwangswohnheim. Rund 60, vorwiegend ältere jüdische Bürgerinnen und Bürger aus dem Raum Stuttgart waren zwischen 1941/1942 in dem zuvor leer stehenden Schloss untergebracht. Isak und Johanna Falk fungierten als Verwalter und Hausmeister, und da Carry sie begleiten durfte, ist davon auszugehen, dass ihre Mitarbeit die Voraussetzung dafür war.
In diesem, später im Krieg zerstörten Haus in der Uhlandstraße wohnte die Familie Falk. Foto: Stadtarchiv
Zwar durften die Bewohner das Heim nicht verlassen, für die Falks bestand diese Einschränkung jedoch nicht. Daher übernahmen sie Behördengänge und erledigten Besorgungen. Möglicherweise trugen sie mit ihrem Verhalten dazu bei, dass die Stimmung unter den Bewohnern nicht kippte. Die überlieferte Aussage von Sofie Kroner, einer damaligen Bewohnerin im Schloss Weißenstein, lässt das vermuten: „Ich habe mir mein Eckchen schon recht nett eingerichtet, wie die Leiterin Frau Falk, früher Wäscherei Stuttgart, mich eben lobte.“
Während Isak, Johanna und Carry sich noch in Weißenstein aufhielten, musste Fritz einen Rückschlag verkraften, der über sein künftiges Schicksal entscheiden sollte. Seine Ausreise nach Palästina wurde abgelehnt. Im März 1941 kehrte er nach Stuttgart zurück, wo er in ein sogenanntes „Judenhaus“ in der Werfmershalde 12 zog. Ob er seine Familie jemals wieder gesehen hatte, ist unklar.
Die frisch verlegten Stolpersteine für die Familie Falk und Meier Rosenstein mit Tochter Frieda Süss-Schülein in der Uhlandstraße 14A in Stuttgart. Foto: Jan Sellner
Klar ist: der April 1942 läutete die Auslöschung der Familie Falk ein. Fritz wurde im Alter von knapp 21 Jahren nach Izbica verschleppt und kehrte nie zurück. Wenige Monate später, im August, wurden alle Bewohner von Schloss Weißenstein, damit auch Isak, Johanna und Carry Falk, zum Sammellager auf dem Killesberg in Stuttgart gebracht, von wo aus sie einen Zug nach Theresienstadt besteigen mussten, ebenso wie ihr Mitbewohner aus der Uhlandstraße Meier Rosenstein. Zu diesem Zeitpunkt befand sich in Theresienstadt auch Isaks Schwester, Mina Lämle, und es ist davon auszugehen, dass sie sich dort ein letztes Mal begegneten.
Sechs Monate verbrachten die Falks in Theresienstadt, wo Hunger, Krankheiten, Kälte, Enge und Angst ihren Alltag bestimmten. Am 29. Januar 1943 wurden sie nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. Carry Falk war 18 Jahre alt.
Zum Gedenken an die Familie Falk und an den in Theresienstadt gestorbenen Meier Rosenstein und seine Tochter Frieda Süss-Schülein wurden am 16. Mai 2024 in der Uhlandstraße 14A Stolpersteine verlegt. Es war der letzte Wohnort, den die Familie freiwillig gewählt hatte. Die Steine für die Falk-Kinder wurden von Schülerinnen und Schülern der American High School gespendet.