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Stolperstein in Stuttgart-Mitte: Es wirkt alles so idyllisch

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung 
Jan Georg Plavec 29.06.2024 – 11:00 Uhr 


Adolf Wolff, Rohstoffunternehmer aus Stuttgart. Foto: privat

Adolf Wolff ist ein frühes Opfer der NS-Zwangsherrschaft. 1936 nimmt er sich das Leben. Doch etwas von ihm bleibt. 

Wer heutzutage durch die Danneckerstraße in Stuttgart-Mitte spaziert, sieht eine friedlich daliegende Straße voller Altbauten. Prächtige Stadtvillen sind darunter, einige mit wunderbarem Blick auf die Stadt und straßenseitig beschattet von alten Bäumen.

1933, im Jahr der „Machtübernahme“ der Nazis, residiert hier eine illustre Gesellschaft. Fabrikanten oder deren Witwen, der evangelische Jungmännerbund und das Haus Württemberg zählen zu den Eigentümern der Gebäude, in denen Beamte, Architekten und Buchhändler ebenso leben wie Ärzte, Privatiers und Kaufleute. Man kann das alles dem Adressbuch aus jenem Jahr entnehmen, das auf der Website der Württembergischen Landesbibliothek digital einsehbar ist.

Illustre Wohngegend
Unter den Eigentümern ist auch Adolf Wolff. Doch den damals 67-jährigen jüdischen Textilunternehmer plagen 1933 schwere Sorgen. Seine Frau Hedwig ist todkrank, und die Nazis bedrohen die Existenz auch der Stuttgarter Juden. Hedwig gehört das 1917 von der Familie erworbene, im Stil des Historismus errichtete Mehrfamilienhaus.

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Die Danneckerstraße 1942. Im unteren Teil des auf diesem Foto abgebildeten Teils der Straße befindet sich das Haus der Familie Wolff. Foto: Stadtarchiv/101-FN250-1577

Zwanzig Jahren sind Adolf und Hedwig Wolff bereits verheiratet, als sie in die Danneckerstraße ziehen. Sie haben zwei Kinder, Ludwig und Alfred. Wolff leitet in Zuffenhausen eine ursprünglich von seinem Vater gegründete Firma, in der unter anderem aus Knochen hochwertige Papiere und später Kunstbaumwolle hergestellt werden. 1931 übergibt er die Leitung seinem älteren Sohn Ludwig, um sich seiner leidenden Ehefrau zu widmen. Sie stirbt 1933, Adolf Wolff und die Kinder werden Eigentümer des Gebäudes.

Stimmung heizt sich auf
Es sind die letzten Jahre des Unternehmers, und sie verlaufen tragisch. Die Stimmung gegen Juden heizt sich, getrieben von den nationalsozialistischen Machthabern auf. Ein Vehikel ist das sogenannte „Blutschutzgesetz“, das sexuelle Kontakte und Eheschließungen zwischen Juden und „Ariern“ unterbinden soll.

Das Gesetz ist das Eine, was den Juden widerfährt das Andere. „In diesen Monaten kam es verschiedentlich zu Fällen von Lynchjustiz gegen Juden, die ‚Arierinnen’ als Geliebte hatten oder heiraten wollten, schreibt Lothar Gruchmann in einem Aufsatz zum NS-„Blutschutzgesetz“ über die Jahre 1934 und 1935. Der Historiker beschreibt, wie die menschenfeindliche Ideologie der Nazis langsam in die deutschen Gesetzbücher und, ähnlich schlimm, in die Köpfe der Menschen einsickert.

1934 sagen einige Juristen im Reichsjustizministerium voraus, dass Teile der Bevölkerung ein „unerfreuliches, ja widerwärtiges Gesicht“ offenbaren werde, wenn das „Blutschutzgesetz“ in Kraft trete. So kommt es, und Adolf Wolff spürt die Folgen am eigenen Leib. Der „Stolpersteine“-Autor Dietrich Leube beschreibt, wie Wolff im Sommer 1936 mutmaßlich von Nachbarn, „der ‚Rassenschande’ verdächtigt und anonym bei der Polizeibehörde angezeigt“ wird.

Anonymer Vorwurf der „Rassenschande“
Als „Rassenschande“ gilt damals schon, wenn „arische“ Dienstmädchen in jüdischen Haushalten beschäftigt werden. So ist es im Falle der Familie Wolff, bei der schon lange vor 1933 ein Dienstmädchen zu arbeiten begonnen hat. Infolge der Anzeige ergeht eine richterliche Vorladung, „der Wolff in Begleitung seines Anwalts nachkam“, schreibt Dietrich Leube. Kurz darauf, am 19. Juni 1936, setzt der damals 70-Jährige seinem Leben ein Ende.

Wolffs Sohn Ludwig kommt zumindest mit dem Leben davon. Noch 1936 verkauft er das Haus in der Danneckerstraße, 1937 die Fabrik. Im September 1938 verlässt Ludwig Wolff mit seiner Familie Stuttgart und emeritiert in die USA, wo sein Bruder bereits lebt. Das Geld aus den Verkäufen zieht der NS-Willkürstaat ein.

Es sind Geschichten wie diese, die man bei Spaziergängen durch vermeintlich friedliche Wohngebiete wie die Danneckerstraße im Kopf haben sollte. Bergab in Richtung der Hohenheimer Straße ist das ehemalige Haus der Familie Wolff der letzte noch stehende Altbau, unterhalb davon ersetzen Hochhäuser die Wunden, die der Krieg geschlagen hat. Und noch etwas bleibt von Adolf Wolff: Seit März 2022 erinnert ein Stolperstein an den in den Tod getriebenen Unternehmer, Ehemann und Familienvater.