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Stolperstein im Westen: Widerstand bis in den Tod

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung
Frank Rothfuss  14.04.2024 – 17:00 Uhr


Betty Rosenfeld (li.) in Spanien mit anderen Krankenschwestern der Internationalen Brigaden, Foto: Schmetterling Verlag

Betty Rosenfeld war mutig und unerschrocken. Die Stuttgarterin kämpfte zu Hause und in Spanien gegen Nazis und Faschisten. Sie wurde in Auschwitz ermordet. Der Autor Michael Uhl hat das Leben der schwäbischen Jüdin gewürdigt.

Es ist ein Leben, über das es mehr als genug zu erzählen gibt. Ein Leben, das ganz viel über Stuttgart in den 20er Jahren und unter Hitler erzählt. Die junge Stuttgarter Jüdin Betty Rosenfeld wuchs in einem bürgerlichen Elternhaus im Westen auf, ging in den Widerstand, kämpfte später in Spanien gegen die Faschisten, wurde von den Franzosen ausgeliefert und starb in Auschwitz.


Passbild von Betty Rosenfeld aus dem Jahr 1938, Foto: CDMH Salamanca

Der Autor Michael Uhl hat dieses Leben dem Vergessen entrissen. Wie ihm dies gelang, ist höchstselbst eine spannende Geschichte. Fünf Jahre lang war er auf ihren Spuren unterwegs, in Moskau, in Frankreich, in den USA und Israel hat er recherchiert. „Ich bin nicht die Hauptfigur“, wiegelt er ab, wenn man auf ihn zu sprechen kommt. Einige Worte seien dennoch erlaubt. Als Schuljunge hatte der 1961 in Stuttgart geborene Uhl „Wem die Stunde schlägt“ von Ernest Hemingway gelesen. Der Roman über den Spanischen Bürgerkrieg packte ihn,er wurde Historiker und forscht über die 3500 deutschen Kämpfer der Internationalen Brigaden, die von 1936 bis 1939 an der Seite der Republikaner gegen Francos Faschisten kämpften. 30 von ihnen kamen aus dem Raum Stuttgart, die einzige Frau war Betty Rosenfeld.

Vor gut 30 Jahren hatte Uhl als Student in Salamanca im Bürgerkriegsarchiv eine Akte mit ihrem Namen entdeckt. Schon ihre Herkunft aus Stuttgart weckte sein Interesse. Er wühlte sich durch Archive. Etwa in Moskau. Dort lagern Akten über jeden Brigadisten, angefertigt von der Geheimpolizei, die in ihrem Wahn jedes Detail beschreibt. So merkte er: „Die Quellenlage ist günstig, sonst hat man nur oberflächliche Miniaturen, aber bei Betty ließ sich ein Leben beschreiben.“ Von 2017 an machte er nichts anderes mehr. Er verkaufte seine Gitarren, um die Recherchen zu finanzieren. Die Anstifter griffen ihm unter die Arme. Er reiste nach Kalifornien, wo zwei Töchter von Bettys Schwester Ilse leben. Ilse hat als einzige der Familie den Nazi-Terror überlebt. Im Nachlass von Ilse fanden sich viele von Bettys riefen. So entfaltet er ein Leben, anhand dessen ein „plastisches Bild entsteht, wie Stuttgart in die Nazi-Diktatur rutscht, wie Polizei und Justiz und Behörden auf Seite der Rechten stehen“.

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Das Wohnhaus der Familie Rosenfeld in der Breitscheidstraße 35, erkennbar mit dem spitzen Dach. Foto: Stadtarchiv// 101-FN250-3165

Betty Rosenfeld wird am 23. März 1907 in Stuttgart geboren. Mit ihren Schwestern Ilse und Charlotte wächst sie in der heutigen Breitscheidstraße 35 auf. Ihrem Vater Benjamin gehört eine kleine Putzmittelfabrik. Die Mutter Theresia ist Hausfrau. Betty lernt Krankenschwester im Katharinenhospital. Wie der Papa sind auch die Töchter an Politik interessiert, werden Mitglieder in der linksliberalen DDP. 1930 spitzt sich die Lage zu. In Zuffenhausen wird der kommunistische Arbeiter Hermann Weißhaupt von einem SA-Mann erstochen. Wenige Tage später folgt die Rache, der SA-Mann Ernst Weinstein wird in der Gerberstraße getötet. Die DDP driftet ins rechte Lager ab, Betty sucht eine neue politische Heimat.

Sie belegt einen Kurs an der Marxistischen Arbeiterschule. Dort ist der Arzt Friedrich Wolf Dozent – Autor des Romans „Cyankali“, der das Abtreibungsverbot anprangerte und Vater des späteren Stasi-Chefs Markus Wolf. Einer ihrer besten Freunde ist der Schuhmacher Sepp Dieringer, der sich als Laienschauspieler in Wolfs Theatergruppe für den Sozialismus stark macht. Als die Nazis die Macht ergreifen, geben weder Dieringer noch Betty Rosenfeld klein bei. Sie erstellen Flugblätter, verteilen diese, entgehen mehrmals knapp der Entdeckung. Sepp Dieringer und seine Frau Emma verstecken später Bettys Mutter und ihre Tante in ihrem Haus. Beide werden 1942 im KZ Treblinka ermordet. Das Ehepaar Dieringer wird von der Gestapo ins Hotel Silber gebracht und gefoltert. Emma verliert dabei ihr Kind, mit blonden Haaren geht sie in die Zelle, völlig ergraut kommt sie zurück. Die beiden tauchen unter. Sepp hat immer sein ganzes Bargeld dabei, für den Fall einer Flucht in die Schweiz. Noch Jahrzehnte später geht er nur mit vollem Portemonnaie aus dem Haus.


Der Stolperstein für Betty Rosenfeld, Foto: p

Betty Rosenfeld wandert mit ihren Schwestern 1935 nach Palästina aus. Im März 1937 reist sie auf einem Dampfer via Frankreich nach Spanien und schließt sich den Internationalen Brigaden an. In Murcia und später bei Barcelona arbeitet sie in einer Klinik. Selbst die gestrengen und brutalen Politkommissare haben an der 1,57 großen Schwäbin nichts auszusetzen, sie beschreiben sie als „zuverlässige Antifaschistin“. Im März 1938 heiratet sie den Leipziger Sally Wittelson, einen Kämpfer der Brigaden. Einige Monate später werden die Brigaden aufgelöst, die Faschisten haben gesiegt. Rosenfeld und Wittelson flüchten nach Frankreich. Im Juni 1939 werden sie wie viele andere ehemalige Kämpfer der Brigaden verhaftet. Das Paar wird getrennt. Im Sommer 1942 liefert das Vichy-Regime alle Deutschen jüdischen Glaubens an die Nazis aus. Betty Rosenfeld stirbt im September in Auschwitz. Mit 35 Jahren. Auch ihr Mann wird vermutlich dort ermordet.


Das KZ Auschwitz, Foto: Imago

„Wäre Betty in Palästina geblieben, hätte sie den Holocaust überlebt“, sagt Uhl, „aber sie riskierte ihr Leben für den Kampf gegen den Faschismus.“ Seine Recherche und sein Buch zeitigen Wirkung. Eine Initiative gründete sich, sie möchte den Bismarck-Platz im Westen in Betty-Rosenfeld-Platz umbenennen. Eine Diskussion, bisher ohne Ergebnis. Immerhin, ein Stolperstein erinnert an der Breitscheidstraße an Betty und ihre Familie. Wer ihn sucht, findet ihn unweit des Orthopädiegeschäfts der Familie Dieringer. Viele Geschichten kreuzen sich dort. Michael Uhl fand, es war Zeit, sie zu erzählen.