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Stolpersteine im Stuttgarter Süden: Eine Ehe, die damals nicht sein darf

Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten
Sebastian Jutisz 11.02.2024 – 18:35 Uhr


In der Mittelstraße in Stuttgart-Süd befindet sich das Wohnhaus von Martha und Otto Häberle. Foto: Stadtarchiv Stuttgart/101-FN250-1628

Ehen zwischen Juden und sogenannten „Ariern“ stehen im Nationalsozialismus unter massivem Druck. Martha Häberle wird so in den Tod getrieben, ihr Mann Otto wird nie darüber hinwegkommen. Ein Schicksal, das stellvertretend für Zehntausende Paare steht. Aus unserer Serie „Stuttgarter Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen“

Das Schicksal, das nach der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 die Familie Häberle ereilt, teilen Zehntausende Ehepaare. Die Hetze auf sogenannte „Mischehen“ zwischen Menschen, die jüdischen Glaubens sind oder von den Nazis zu Juden erklärt werden und sogenannten „Ariern“ setzt schon kurz nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 ein.

Zu dieser Zeit leben in Deutschland zwischen 15 000 und 35 000 Paare in solchen Ehen. Ganze Familien begehen Selbstmord oder versuchen zu flüchten. Andere versuchten mit juristischen Tricks der Verfolgung der Nazis zu entkommen. Martha und Otto Häberle gehören zu den Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns.


Martha Häberle nimmt sich 1945 das Leben. /Privat
Martha Häberle-Levi, geborene Levi, kommt am 10. Juli 1890 in Heilbronn zur Welt. Sie ist die Tochter von Emma Stern und dem Kaufmann Samuel Levi, die 1883 in dessen Geburtsort Bad Friedrichshall heirateten. Als Martha fünf Jahre alt ist, zieht die Familie nach Stuttgart, wo ihr Vater die „Stuttgarter Liqueurfabrik“ von seinem 1894 verstorbenen Vetter Max Levi übernimmt. Martha wächst in der Gymnasiumstraße 28 auf.

Stuttgarter Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen
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1898 – Martha ist gerade einmal acht Jahre alt – stirbt auch der Vater. Die Kaufmanns-Witwe Emma Levi führt die Liqueurfabrik noch einige Jahre fort. 1906, Martha ist nun 16 Jahre alt, ziehen Mutter und Tochter in den Stuttgarter Süden.

Die Nazis hetzen ab 1933 gegen sogenannte „Mischehen“
Am 5. Mai 1920 heiratet Martha Levi in Stuttgart den Kaufmann Robert Otto Häberle. Sie ist Jüdin, er evangelischen Glaubens. Zusammen mit dem Sohn Walter und Marthas Mutter wohnen sie in der Mittelstraße 4 im ersten Stock, in einem um 1897 erbauten und bis heute erhaltenen Gebäude.

Schon vor der Verkündigung der sogenannten Nürnberger Gesetze 1935 auf dem sogenannten „Reichsparteitag der Freiheit“, mit denen die deutschen Juden zu „Einwohnern minderen Rechts“ degradiert werden, sind Martha und Otto Häberle zunehmendem Druck durch die Nationalsozialisten ausgesetzt.


2008 wird in der Mittelstraße 4 ein Stolperstein in Erinnerung an Martha Häberle gesetzt. /Ute Hechtfischer
Im März 1933 kommt es zu ersten Entlassungen jüdischer Mitarbeiter und zum Boykott jüdischer Geschäfte. Im „Stürmer“ und im „Völkischen Beobachter“ wird sofort gegen sogenannte gemischte Paare gehetzt. Einzelne Standesämter lassen keine Anmeldungen von „Ariern“ und Juden mehr zu. Der Druck sich scheiden zu lassen ist enorm. Oft verlieren die jüdischen Partner ihre Arbeit und leben isoliert zu Hause.

Lange bewahrt ihre Ehe Martha vor der Deportation
Bis kurz vor Kriegsende bewahrt Marthas Ehe sie vor einer Deportation. In den letzten Kriegsjahren sind jedoch auch Jüdinnen und Juden bedroht, die in sogenannten „Mischehen“ leben. Im Januar und Herbst 1944 werden zunächst sogenannte „Mischlinge” und jüdische Menschen deportiert, deren „arischer” Ehepartner gestorben ist oder sich hatte scheiden lassen. 1945 erreicht dann auch Martha Häberle der Befehl der Geheimen Staatspolizei, sich in einem Sammellager in Bietigheim einzufinden.

Wie allen anderen Betroffenen wird Marth Häberle befohlen, ihre Lebensmittelkarten abzumelden, Kinder unter 16 Jahren zu Verwandten in Pflege zu geben und Proviant für fünf Tage einzupacken. Erst kurz zuvor war ein Verwandter, der aus der Emigration nach Südamerika aus Heimweh nach Deutschland zurückgekehrt ist, in einem Konzentrationslagen gestorben.

Am 2. Februar 1945 nimmt sich Martha Häberle mit einer Überdosis Veronal das Leben. Otto Häberle kommt über den Tod seiner Frau nicht hinweg. Sechs Jahre später begeht auch er Suizid.

Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen
Serie
Auf Stuttgarts Gehwegen erinnern mehr als 1000 Stolpersteine an Menschen, die von den Nationalsozialisten entrechtet, verfolgt, deportiert und in vielen Fällen ermordet wurden. Dank der Recherchen der Initiative „Gegen das Vergessen: Stolpersteine für Stuttgart“ kennen wir die Geschichte der Menschen, deren Namen auf den Stolpersteinen verewigt sind. Bis Dezember erzählen wir jede Woche eine dieser Lebensgeschichten.

Stolperstein
Am 14. März 2008 wird in der Mittelstraße 4 im Beisein ihrer Nichte ein Stolperstein zur Erinnerung an Martha Häberle gesetzt.