Artikel aus der Nord-Rundschau vom 18.03.2008:
Rücktritt von einer geplanten Stolperstein-Aktion
Angehöriger einer Sinti-Familie spricht sich gegen Verlegung in Feuerbach aus – Er will nicht, dass Leute auf Gedenksteine treten
Feuerbach. Mit einer Feierstunde am Nordbahnhof wurde in Stuttgart erstmals der am 15. März 1943 deportierten Roma und Sinti gedacht. In Feuerbach sollten als Zeichen gegen das Vergessen sieben Stolpersteine für Sinti-Opfer verlegt werden. Sie wurden allerdings nicht in den Boden eingelassen, weil sich ein Angehöriger der Opfer gegen diese Form des Gedenkens aussprach.
Von Georg Friedel
Am 15. März 1943 verließ nach Einbruch der Dunkelheit ein Zug den Stuttgarter Güterbahnhof. In den Viehwaggons waren 234 Sinti und Roma. Ziel der Reise war das Vernichtungslager Auschwitz. Unter diesen Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns befand sich auch eine Familie aus Feuerbach. Franz und Johanna Reinhardt sowie die Kinder Josef, Rudi, Adele Jolanta, Julietta und Roswitha wurden verschleppt. Mit im Zug saß auch Maria Adelheid Reinhardt. Sie war die Schwester von Franz Reinhardt und lebte mit seiner Familie seit 1941 in der Stuttgarter Straße 114, damals die Adolf-Hitler-Straße 114. Am 15. März wurde sie mit ihrem Bruder und seiner Familie verhaftet und zum Güterbahnhof Stuttgart gebracht. Fast alle Mitglieder der Familie kamen im Konzentrationslager um. Lediglich der älteste Sohn überlebte die Hölle von Auschwitz. Er starb 1976.
Elke Martin von der Feuerbacher Stolperstein-Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, neben den jüdischen Lebensspuren und Biografien auch die Namen der einst in Feuerbach beheimateten Sinti und Roma aufzuspüren. Sie arbeitet seit Anfang 2006 in einem Recherchenetzwerk mit. 36 Sinti, die in Stuttgart lebten und infolge der Deportation oder Verfolgung starben, konnte die Gruppe bisher ausfindig machen. An diesem Wochenende wurden für einige dieser Opfer Stolpersteine verlegt. Auch in Feuerbach sollten sieben Steine vor dem Wohnhaus an der Stuttgarter Straße 114 namentlich daran erinnern, welches Unrecht hier geschah. Dazu kam es aber nicht: “Wir werden die Stolpersteine nicht verlegen”, sagte Elke Martin bei der kleinen Gedenkfeier vor dem Schuhgeschäft Sand. Ein Verwandter der von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti-Familie hatte im Vorfeld der Stolperstein-Verlegung die Verantwortlichen darum gebeten, von der geplanten Aktion Abstand zu nehmen. Die Steine so zu legen, dass Leute darauf treten könnten oder darüber laufen, lehne er ab, sagte der Angehörige, der nicht namentlich genannt werden wollte, am Rande der Gedenkfeier. Auch der Gedanke, dass die verlegten Steine durch Hunde beschmutzt werden könnten, widerspreche seiner Vorstellung von einem würdigen Gedenken an Verstorbene. Gegen eine Stele oder Tafel an der Wand hätte er nichts einzuwenden, betonte der Mann aus Kirchheim unter Teck. Ansonsten unterstütze er das Engagement und die Arbeit der Stolperstein-Initiative. Dass die Stolpersteine in einer Ausstellung gezeigt werden sollen, begrüße er ebenso. Er sei lediglich gegen das Verlegen der Steine in den Boden. Der Angehörige hatte im Vorfeld auch mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig geredet. Demnig hat die Stolperstein-Aktion Mitte der 90er Jahre erdacht. Mit den 10 mal 10 Zentimeter großen Messingtafeln will er die Erinnerung an die Opfer wachhalten. Der Begriff Stolpern beinhalte auch, darauf zu stoßen, betont der Künstler.
Einige der Anwesenden waren folglich überrascht, als nach den Klängen des Zigeli Winter Quartetts Demnig seinen Mörteleimer holte, um gewöhnliche Pflastersteine statt der Symbolsteine in den Bürgersteig zu zementieren. Die Aktion ganz abzublasen, kam aber für Elke Martin nicht in Frage: “Mir war wichtig, auf das Schicksal der Sinti-Familie hinzuweisen”, sagt sie. Die nicht verlegten Stolpersteine sollen nun im Rahmen einer Ausstellung vom 1. April an in der Bismarckschule Feuerbach gezeigt werden.
Aktualisiert: 18.03.2008 06:01 Uhr