Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 15.02.2011
Amtsgericht – Ein Hausbesitzer aus dem Süden klagt gegen die Stadt auf die Beseitigung der Mahnmale. Von Thomas Borgmann
Als der Kölner Künstler Gunter Demnig am 8. Oktober 2010 wieder einmal in den Stuttgarter Süden kam, um dort Stolpersteine zum Gedenken an jüdische Opfer des Nationalsozialismus zu verlegen, traf er auf eine unerwartete Szenerie: Am Haus Hohentwielstraße 146b hing ein Transparent mit der Aufschrift “Wir sind gegen diese Stolpersteine!” Eine Passantin, so erinnert sich Demnig, habe die Verlegung zur Erinnerung an das jüdische Ehepaar Mathilde und Max Henle durch Zwischenrufe massiv gestört. Vor einer Schulklasse der Schickhardt-Realschule sagte der Pfarrer Siegfried Bassler von der Stolperstein-Initiative Süd damals: “Bei Widerständen muss man auch mal hinstehen!”
Jetzt hat die Verlegung dieser beiden Stolpersteine ein juristisches Nachspiel. Zum ersten Mal, seitdem Gunter Demnig im Jahr 2003 die ersten der von ihm “erfundenen” kleinen Mahnmale in Stuttgarter Gehwege eingelassen hat, klagt ein Hausbesitzer in der Landeshauptstadt dagegen.
Diethard Erbslöh, der Eigentümer des Hauses Hohentwielstraße 146b, fordert von der Stadt, der der öffentliche Raum gehört, die Herausnahme der beiden Stolpersteine. Am Donnerstag dieser Woche wird der Fall vor dem Amtsgericht an der Hauffstraße verhandelt.
Gegenüber der Stuttgarter Zeitung begründete Diethard Erbslöh, ein Nachfahre der einstigen Hauseigentümer, seine Haltung so: “Dem jüdischen Ehepaar Henle ist bitteres Unrecht widerfahren – aber nicht in unserem Haus. Beide haben von 1932 bis 1942 als Mieter hier gewohnt und ein gutes Verhältnis zu ihren Vermietern gehabt. Dann sind sie ausgezogen, weil der damalige Sohn des Eigentümers geheiratet hatte und die Wohnung benötigte.” Das Ehepaar Henle sei seinerzeit in die Koppentalstraße 3 gezogen und erst von dort aus verschleppt worden. Die Verlegung der Stolpersteine vor seinem Eigentum, so Erbslöh, sei deshalb “historisch falsch und diskriminiert unser Haus”.
Gunter Demnig und mit ihm die Stolperstein-Initiative im Süden werten die historischen Fakten anders. Demnig sagt: “Meine Stolpersteine, inzwischen 27 000 in Deutschland und ganz Europa, liegen vor der jeweils letzten, von den späteren Opfern frei gewählten Wohnung, ehe sie direkt deportiert oder in die sogenannten Judenhäuser gepfercht und von dort aus verschleppt wurden.”
Im Falle des Ehepaars Mathilde und Max Henle sei es nach den Recherchen der Initiative Süd nachweislich so gewesen: “Das Haus Koppentalstraße 3, in dem die Eheleute im April 1939 unterkamen, gehörte Mathilde Henles jüdischer Schwägerin Erna Bickert, also einer Verwandten, bei der bereits andere verfolgte Juden dicht gedrängt lebten.” Dieses Gebäude sei also ein “Judenhaus” gewesen – von einem freiwilligen Einzug dort könne keine Rede sein, eine Wohnung auf dem freien Markt hätten die Juden zu jener Zeit nicht mehr bekommen können; 1942 wurden Mathilde und Max Henle, beide bereits deutlich über sechzig Jahre alt, in das “Judenviertel Haag” nach Haigerloch “evakuiert” – im August 1942 sollten sie vom Killesberg aus in das KZ Theresienstadt deportiert werden. Max Henle, 68 Jahre alt, starb vor Angst und Aufregung auf dem Killesberg, seine Frau wurde in Theresienstadt ermordet, ihre Schwägerin Erna Bickert war bereits 1941 in Riga ermordet worden.
Gunter Demnig blickt der Verhandlung vor dem Stuttgarter Amtsgericht mit Gelassenheit entgegen: “Es hat schon viele Versuche gegeben, die Stolpersteine wieder loszuwerden. Aber noch nie war eine Klage vor Gericht erfolgreich. Das wird auch in diesem Fall wieder so sein.”