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Die Namen dürfen nicht untergehen

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 09.05.2007:

Die Namen dürfen nicht untergehen
Kunst gegen das Vergessen

Knapp 250 Stolpersteine gibt es in Stuttgart. Gestern, am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, sind 23 Steine hinzugekommen. Der Künstler Gunter Demning hat mittlerweile 11 000 Stolpersteine verlegt.

Von Katharina Schönwitz

Für Hank Kandler war der Herdweg 45 nicht irgendeine Adresse, sondern sein Elternhaus. Zumindest bis zum 19. Januar 1939. An dem Tag musste der Neunjährige mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder in einen Zug nach England steigen, um vor den Nazis in Sicherheit gebracht zu werden. Damals wussten die beiden gar nicht so genau, was es bedeutet, jüdisch zu sein. Ihre Eltern und Großeltern blieben zunächst in Stuttgart. Erst 1944 konnten sich die beiden Buben und ihre Eltern in den USA wieder in die Arme schließen. Die Großmutter war 1940 gestorben. Der Großvater wurde 1942 in Theresienstadt ermordet. Ihm wurde bereits im vergangenen Jahr ein Stolperstein gesetzt.

Gestern, also mehr als 68 Jahre später, war Hank Kandler wieder in der vornehmen Maisonettewohnung im Herdweg zu Gast. Eigentlich lebt der Psychiater in New York, wo er immer noch an der Einstein School of Medicine als Professor lehrt. Er war extra aus den USA angereist, um dabei zu sein, wie für seine beiden anderen Großeltern, Martin und Lolo Loeb, zwei Stolpersteine verlegt wurden. Sie waren ebenfalls in einer Gaskammer ermordet worden. In seinem ehemaligen Elternhaus trafen sich mittags die verschiedenen Stolperstein-Initiativen, Bürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch und Gunter Demning, der Erfinder und ausführende Künstler der Stolpersteine.

Der 8. Mai wurde gewählt, weil er als Tag der Befreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus gilt. “Heute Morgen sind bereits elf neue Stolpersteine in Stuttgart hinzugekommen”, berichtete Werner Schmidt von der Stolperstein-Initiative Stuttgart-Süd. “Und zwölf weitere werden heute Nachmittag noch folgen.” Insgesamt gibt es in Stuttgart 250 Stolpersteine. Immer wieder entstehen neue Initiativen, in Sillenbuch ist gerade wieder eine gegründet worden. “Oft ist die Suche nach den Ermordeten in den Archiven keine leichte Aufgabe”, berichtete Schmidt. “Und meistens bleiben nach der Spurensuche auch Spuren bei einem selbst zurück.” Deswegen danke er besonders Roland Müller, dem Leiter des Stadtarchivs.

Seit 1993 hat Gunter Demnig mehr als 11 000 Stolpersteine in Deutschland, Österreich und Ungarn verlegt. “Nur in München, Paris und Polen sagt man Nein zu den Stolpersteinen”, erklärte der Kölner Künstler. Für ihn gilt ein Zitat aus dem Talmud: “Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.” Und genau das sollen die Stolpersteine verhindern.

Aktualisiert: 09.05.2007, 06:13 Uhr