Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 07.03.2008:
Die ersten Stolpersteine für ermordete Sinti
Am 65. Jahrestag der Deportation nach Auschwitz-Birkenau wird der NS-Opfer gedacht
Am 15. März 1943 sind vom Stuttgarter Güterbahnhof aus 234 Sinti aus ganz Württemberg in das KZ Birkenau deportiert worden. Das hat jahrelange Forschungsarbeit nachgewiesen. Kommende Woche wird auf mehrfache Weise an diese Naziopfer erinnert.
Von Thomas Borgmann
Stephan Janker, ein Historiker in den Diensten der Diözese Rottenburg-Stuttgart, hat mit Gleichgesinnten in langer Kleinarbeit zum ersten Mal Licht in ein dunkles Kapital süddeutscher Geschichte gebracht: “Die Verfolgung und Ermordung der Juden ist gut dokumentiert, weil die Nationalsozialisten penibel Buch geführt haben über das von ihnen angerichtete Grauen. Die Quellenlage über die verhältnismäßig kleine Gruppe der Sinti und Roma war hingegen äußerst spärlich. Jahrzehntelang hat man danach kaum geforscht.” Nun, so Janker, lägen gesicherte Fakten vor: “Am 15. März können wir der 234 Sinti gedenken, die vor genau 65 Jahren von Stuttgart aus in das sogenannte Zigeunerfamilienlager Birkenau bei Auschwitz deportiert wurden – nur wenige haben überlebt.”
In der kommenden Woche, vom 13. bis 15. März, gibt es in Stuttgart mehrere Veranstaltungen und Aktionen, die dem Gedenken an die Opfer des Naziregimes gewidmet sind, insbesondere der ermordeten Sinti. Zu den Ausrichtern gehören die Stolperstein-Initiativen, der Verein Zeichen der Erinnerung, die Stuttgarter “AnStifter”, aber auch der Landesverband der Sinti und Roma, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Evangelische Nordgemeinde sowie der Verein Geschichtswerkstatt Stuttgart-Nord. Zugleich kommt der Kölner Künstler Gunter Demnig wieder einmal nach Stuttgart, um insgesamt 68 der von ihm kreierten Stolpersteine zu verlegen, 21 davon für ermordete Sinti und Roma.
Die Reihe der Veranstaltungen beginnt am Donnerstag, 13. März, mit einem Gedenkkonzert des Zigeli-Winter-Quartetts im Saal der Steigkirchengemeinde auf dem Hallschlag (19.30 Uhr). Am Freitag, 14. März, und am Samstag, 15. März, wird Gunter Demnig, unterstützt von den Initiativen in den Stadtbezirken, die Stolpersteine in die Gehwege von den Häusern setzen, in denen die NS-Opfer vor ihrer Verhaftung und Deportation gewohnt haben: am Freitag um 9 Uhr vor dem Haus Stöckachstraße 28, wo die Sintifamilie Schneck zu Hause war, am Samstag um 14.30 Uhr vor dem Haus Düsseldorfer Straße 59, wo Johannes Reinhardt gewohnt hat. Zu beiden Anlässen spielt wieder das Zigeli-Winter-Quartett.
Auf der Gedenkstätte “Zeichen der Erinnerung” an der Otto-Umfrid-Straße beim Nordbahnhof beginnt am 15. März, 18 Uhr, die Gedenkstunde zum 65. Jahrestag der Deportation der 234 Sinti aus ganz Württemberg. Dabei wird der Historiker Stephan Janker von seiner Forschungsarbeit berichten; unter anderem sprechen auch Daniel Strauss, der Landesvorsitzende des Verbands der Sinti und Roma, Arno Fern von der jüdischen Gemeinde, der katholische Stadtdekan Michael Brock, Sozialbürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch sowie der CDU-Politiker Christoph Palmer. Am Abend um 20 Uhr findet im Saal der Martinsgemeinde an der Nordbahnhofstraße ein Abend der Erinnerung statt, an dem Philomena Franz, die die Deportation am 15. März 1943 miterlebt und später das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hat, von dieser Zeit berichtet.
Im Rahmen der Aktion Stolpersteine geht es in der nächsten Woche zum ersten Mal um die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti – aber nicht nur. Am 14. März um 8.20 Uhr kommt Gunter Demnig vor das Haus Hölderlinstraße 22, wo am 7. Dezember 1935 die kommunistische Widerstandskämpferin Lilo Hermann von der Gestapo verhaftet wurde. Sie hatte an der Uni Stuttgart studiert, später im Untergrund gearbeitet und war von einem Gestapospitzel denunziert worden. Im Juni 1937 wurde Lilo Hermann zum Tode verurteilt und am 21. Juni 1938 in Berlin hingerichtet. Sie gilt als das erste weibliche Opfer der Nazidiktatur.
Gedacht wird kommende Woche auch wieder der Opfer unter der jüdischen Bevölkerung. Am Freitag um 11 Uhr verlegt Gunter Demnig vor dem Haus Augustenstraße 39 B Stolpersteine für das Ehepaar Emma und Paul Pick, deren Sohn Richard Pick heute hochbetagt in Mexiko lebt.
Aktualisiert: 07.03.2008 06:16 Uhr