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Karl Krauss, Friedhofstr. 18

Karl Krauss wurde am 02. Februar 1910 in Stuttgart-Wangen geboren.
Er wuchs bei seiner Mutter auf. Beide gehörten der evangelischen Gemeinde an. In Wangen ging Karl Krauss zur Schule und erlernte dort den Beruf eines Schlossers.
Wer sein Vater war, bleibt unbekannt. Karl Krauss trägt den Mädchennamen seiner Mutter. Sie heiratet erst sehr viel später, als Karl schon aus dem Hause ist. Eine Unterstützung durch den leiblichen Vater hat es nicht gegeben. Als alleinstehende Frau aus unterer Schicht mit einem so genannten “unehelichen Kind” hat es die Mutter schwer, für sich und den Sohn zu sorgen.

Krauss Karl FriedhofstrasseAm 30. April 1938 heiratet Karl Krauss die um 9 Jahre ältere Hedwig Anna Mehrer, die einer Stuttgarter Kaufmannsfamilie entstammt. Noch im selben Jahr zieht die Fanlilie in die Friedhofstraße 18a, dort wohnen sie in einem kleinen Haus neben der Martinskapelle im Erdgeschoss zur Miete. Das Haus wird am 12. September 1944 durch einen Bombenangriff zerstört und wurde nicht wieder aufgebaut. Die Familie verliert dabei ihren bescheidenen Besitz.

Karl Krauss wächst in einer wirtschaftlich schweren Zeit auf. Arbeitslosigkeit, Depression und Inflation haben es dem heranwachsenden Karl Krauss schwer gemacht, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Zwar hat er den Beruf eines Schlossers erlernt, doch er arbeitet in vielerlei Berufen, nimmt manche Gelegenheitsarbeit an. Entbehrungen und materielle Not bestimmen sein Leben von Anfang an. Es ergeht ihm wie vielen seiner Altersgruppe und sozialen Schicht. Schon früh kommt er mit dem Gesetz in Kontflikt. Wie sich zeigt, sind seine Straftaten ausschließlich Eigentumsdelikte.

Mit 15 Jahren steht er erstmals wegen “gewöhnlichen” Diebstahls vor dem Jugendgericht Stuttgart, er wird zu zwei Tagen Haft auf Bewährung verurteilt; das Amtsgericht Stuttgart erlässt ihm diese Strafe. – Als 19-Jähriger erhält Karl wegen Betrugs eine Woche Gefängnis. Noch im gleichen Jahr wird er wegen Veräußerung von unrechtmäßig erworbenen Diebesgut verurteilt. – Nur ein halbes Jahr später folgt eine Sammelklage über zehn Eigentumsdelikte. Er erhält eine Gesamtstrafe über 18 Monate; es ist wenig in Anbetracht der Zahl von zehn Vergehen. Die Gefängnisstrafe dafür ist am 22. April 1934 verbüßt. – Am 14.9. 1938 steht er letztmals vor dem Landgericht Stuttgart: Wegen Betrugs wird er zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Strafe hat er dieses Mal nicht in einem “normalen Gefängnis” abzusitzen. Die NS-Justiz schickt ihn ins Konzentrationslager Dachau. Laut Urteil des Landgerichts Stuttgart gilt die Gefängnisstrafe mit dem 21.07. 1940 als verbüßt. Doch Karl Krauss kommt nicht frei.
zynischen Spruch am Lagereingang "Arbeit macht frei" Im KZ Dachau hat die SS-Leitung inzwischen die Gerichtsbarkeit übernommen. Der Lagerkommandant stuft ihn als so genannten. “Asozialen” ein. Karl Krauss verbleibt auf Anordnung der Staatspolizeileitstelle München in “Polizeilicher Sicherungsverwahrung”. Wann er entlassen wird, liegt in der Willkür der KZ-Verwaltung, seine Strafe hat er längst verbüßt. – Von Beruf ist er ja Schlosser und damit für die SS ein Häftling, der ihnen in den seit langem eingerichteten Arbeitsstätten des Lagers Profit einbrachte.
Zwar liest man über dem Lagereingang den zynischen Spruch “Arbeit macht frei” doch viele der Insassen gehen durch die Zwangsarbeit im Lager elendig zugrunde. – Ob Karl Krauss ein Opfer dieser Ausbeutung durch Arbeit war, wissen wir nicht. Wir kennen aber das nächste amtliche Dokument über Karl Krauss: es ist eine Todesurkunde des Standesamts Dachau. Als Todesursache wird seiner Frau mitgeteilt, ihr Ehemann sei am 7. Februar 1941, an “Versagen von Herz und Kreislauf’ verstorben. Ein ärztliches Gutachten ist nie ausgestellt worden. Der Begriff “Versagen” lässt vermuten, dass der Tod plötzlich und unerwartet eingetreten ist. Karl Kraus ist 31 Jahre alt.
Die im KZ Dachau Verstorbenen wurden im dortigen Krematorium verbrannt. Ein Grab für Karl Krauss lässt sich hier in Stuttgart nicht nachweisen.
Karl Krauss Lebensgeschichte hat für unser heutiges Verständnis der Zeit nach dem Kriege noch ein nicht unwichtiges Nachspiel: Im Mai und Oktober 1948 stellt seine alleinstehende Frau, Hedwig Krauss, von Beruf einfache Näherin im Stuttgarter Kaufbaus Breuninger, zwei Wiedergutmachungsanträge, die sie mit der politischen Verfolgung ihres Ehemannes, Karl Krauss, begründet. Beide Anträge werden positiv beschieden. 1948 werden ihr insgesamt 350 DM für die Haft und die Folgen der Haft ihres Ehemannes zuerkannt. Einen weiteren Antrag auf Beihilfe lehnt das Amt für Wiedergutmachung mit der Begründung ab, dass der Verstorbene “nicht aus politischen Gründen in Haft war”, und kommt zum Ergebnis, Hedwig Krauss, die Ehefrau des NS-Opfers Karl Kraus sei demnach zur Rückzahlung der ihr gewährten Vorleistungen in Höhe von DM 350,– verpflichtet. Nach vielen erfolglosen Interventionen von Opferverbänden sowie Freunden und Bekannten ihres Mannes hat sie diese 350 DM zurückzahlen müssen.

Karl Krauss Lebensgeschichte weist sehr wohl Entgleisungen und Irrwege auf. Ebenso eindeutig aber ist er ein Opfer des NS-Unrechtsstaates geworden. Das NS-Regime hat ihm unrechtmäßig, gegen die gesetzlichen Vorgaben und willkürlich seine Rechte auf ein Leben in Freiheit und Würde genommen; es hat ihm willkürlich und ungesetzlich sein Leben genommen.
Diesem Mann möchten wir heute, am 16.04.2012, mit einem Stolperstein ein Zeichen setzen und zum Ausdruck bringen, dass hier bei uns und heutzutage Freiheit und Gesetz, Rechtlichkeit und Menschenwürde unveräußerlicher Besitz sein müssen und nicht in Frage gestellt werden dürfen.

Recherche und Text: Josef Klegraf, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Nord.

Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg und Stadtarchiv Stuttgart.