Arthur Hirsch, vom Unternehmer zum Heizer
Hospitalstr. 21 B
„...In den letzten Jahren arbeitete er als Heizer - im Haus der jüdischen
Gemeinde...” - so wird uns überliefert.
Arthur Hirsch, wurde am 16.03.1886 in Tübingen, als Sohn von Gustav und Frieda Hirsch geboren. Er machte eine kaufmännische Ausbildung. Zu Beginn des 1. Weltkriegs war Arthur 32 Jahre, sein kleinerer Bruder Siegfried, der in Künzelsau geboren wurde, gerade 11 Jahre alt.
Arthur zog in den Krieg und überlebte diese Hölle. Ein Jahr nach Kriegsende heiratete er am 19.04.1919 Hermine Singer aus Hechingen, geb. 10.02.1893. Sie zogen nach Stuttgart und gründeten, trotz der schwierigen Nachkriegsjahre, der Inflation und der Wirtschaftskrise eine Familie. Ihre beiden Söhne wurden in Stuttgart geboren: Erwin * 1.07.1920 und Gerhard * 30.03.1926. Arthur arbeitete zunächst bei der Firma Hirsch, Mayer u. Schwingsgäbele. 1922 wurde er Teilhaber der Firma Sattler- und Polster-Materialien u. Leinengroßhandlung in der Hospitalstr. 24 B. Sie wohnten dort und mieteten sich 1923 im Haus Sonnenbergstr. 20 bei Dr. Friedrich v. Korn, Landesgerichtspräsident a. D. ein.
1930 war Arthur Alleininhaber der Fa. Hirsch und beschäftigte zehn Mitarbeiter. Die wirtschaftlichen Zeichen standen schlecht, und das hatte Auswirkungen. Die Auftragslage verschlechterte sich, und 1932 erfolgte die rechtliche Übernahme des Geschäftes durch Ehefrau Hermine. - Praktisch führte Arthur die Geschäfte weiter.
Die Machtübernahme 1933 durch die Nazis brachte die Familie in den materiellen Ruin. In den folgenden sechs Jahren ging es immer weiter bergab.
Arthur und Hermine lebten in einer sog. „privilegierten Mischehe”. Hermine war arischer Abstammung - trotzdem wurde 1938 ein Schicksals-Jahr: „Geschäftsaufgabe aus Verfolgungsgründen”, Löschung im Handelsregister durch Hermine. Sohn Erwin gelang mit 18 Jahren die Flucht in die USA; er fand in der Nähe von Chicago eine neue Heimat.
Arthur durchlebte alle Entrechtungsmaßnahmen, durch welche die gesellschaftliche und wirtschaftliche Existenz für Juden zunehmend eingeschränkt wurden: Allein in diesem Jahr 1938 wurden acht solcher Verordnungen erlassen1:
- 22. April: Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe.
- 26. April: jüdisches Vermögen über 5 000 RM muss bis zum 30. Juni angemeldet werden.
- 26. April: Verkäufe, Verpachtungen und Neueröffnung jüdischer Gewerbebetriebe unterliegen staatlicher Genehmigungspflicht.
- 14. Juni: Registrierungspflicht für jüdische Gewerbebetriebe sowie Erlaubnis des Reichswirtschaftsministeriums zur besonderen Kennzeichnung der Betriebe.
- 6.Juli: Berufsverbot für Juden im Überwachungsgewerbe, der Vermögensberatung, der Heiratsvermittlung, dem Maklerwesen und im Wandergewerbe.
- 25. Juli: Ärzte als »Krankenbehandler« und Rechtsanwälte als »Konsulenten« nur für jüdischen Kundenkreis zugelassen.
- 17. August: Ab 1.1.1939 müssen männliche Juden zusätzlich den Namen »Israel«, Frauen den Namen »Sara« tragen.
- 5. Oktober: Reisepässe von Juden werden ungültig ohne besonderes Kennzeichen »J«.
Arthur Hirsch wurde am 9. November, in der Pogromnacht, zusammen mit vielen anderen männlichen Juden festgenommen.
Möglicherweise wollte er beim Brand der Synagoge löschen - oder retten helfen, sicher war er an der Brandstelle, ca. 130 m von seiner Wohnung entfernt. Ob er in dieser Nacht auf der Polizeiwache, in der SD-Dienststelle Reinsburgstraße oder in der Gestapo-Zentrale im Hotel Silber, in der Dorotheenstraße 10 festgehalten wurde - wir wissen es nicht. Am nächsten Tag wurde er bereits, wie viele andere jüdische Bürger, in das Konzentrationslager Dachau gebracht.
An Schwäche und infolge endlos langer Appelle starb Arthur Hirsch am 8. Dez. 1938 im Alter von 52 Jahren. Vom Unternehmer zum Heizer! Aus dieser Kurzbiographie wird ablesbar, wie die Machthaber des Dritten Reiches mit Menschen verfahren sind - die ihre politischen Gegner waren, mit Menschen anderen Glaubens, aufgrund von Rasse und körperlicher oder geistiger Behinderung und mit Menschen, die Widerstand wagten.
1940 folgte Sohn Gerhard, gerade 14 Jahre alt, seinem älteren Bruder in die USA; er änderte seinen Namen in Jerome Hirsch. Gleichzeitig verließ auch Mutter Hermine Hirsch die Wohnung in der Hospitalstraße und fand in der Werlinstr. 1 neue Unterkunft. Nach dem Krieg zog sie zu ihren Söhnen in die USA, wo sie im Alter von 63 Jahren am 15.02.1956 in Chicago verstarb.
Recherch/Text: Gebhard Klehr
Quellen: Hauptstaatsarchiv S, Staatsarchiv LB, und die bekannten Standardwerke
Spender/Pate für das Kleindenkmal: Verein Forum Hospitalviertel e.V., vertreten durch Pfr. Eberhard Schwarz (Vorstand)
Hermine Hirsch
Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg
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STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
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Warum Stolpersteine?
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Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
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Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
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Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
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im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
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Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
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Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
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