Ehepaar Alter
Alter, Sandor ( Alexander)
geboren: 10. März 1876, Lemberg
Beruf: Kaufmann, Leichenwärter
Eheschließung: 1904 in Wien
Kinder: Erwin *1908, Gertrud *1912
Ausweisung: 1938 nach Polen
Tod: vermutlich 1940 in Sibirien
Todeserklärung: 31.12.1945
Alter, Amalie (Mali), geborene Ardel
geboren: 15. Juni 1874, Wien
Beruf: Hausfrau
Eheschließung: 1904 in Wien
Kinder: Erwin *1908, Gertrud *1912
Ausweisung: 1939 nach Polen
Tod: vermutlich 1940 in Sibirien
Todeserklärung: 31.12.1945
Im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts - 1904 - heirateten Mali Ardel und Sandor Alter. Mali oder Amalie war 1874 in Wien geboren, Sandor oder Alexander kam in Lemberg, Galizien, 1876 zur Welt und lebte seit 1889 in Wien. Damals gehörte Lemberg zu Österreich-Ungarn. Beide waren sie österreichische Staatsangehörige.
Dort in Wien wurden die beiden Kinder geboren, Erwin 1908 und Gertrud 1912. Sandor war Kaufmann, er arbeitete als Einkassierer und Vertreter.
Am 28. Februar 1913 zog das Ehepaar Alter mit den beiden Kindern nach Stuttgart. Zunächst wohnten sie im Stuttgarter Osten, in der heutigen Hausmannstraße.
Als 1914 der 1. Weltkrieg begann, tat Sandor bei einem K. u. K. Regiment Dienst. Im November 1918 wurde er entlassen und kam nach Stuttgart zurück.
Mali war mit den Kindern allein in Stuttgart geblieben, die Zeit war sicherlich schwierig in der für sie doch fremden Stadt. In der nahe gelegene Ostheimer Schule gingen die Kinder zur Schule.
Sandor Alexander Alter stand von 1919 an in den Diensten der Stuttgarter Israelitischen Religionsgemeinde und zwar als Leichenwärter. In dieser Eigenschaft mußte er, wenn ein Todesfall eingetreten war, bis zur Bestattung - also mindestens zwei Tage - bei dem Leichnam in der Friedhofskapelle wachen und die notwendigen Gebete sprechen.
Das Ehepaar Alter verlor nach dem Untergang des österreichisch-ungarischen Reiches seine österreichische Staatsbürgerschaft. Sie waren jetzt polnische Staatsangehörige. Der Geburtsort des Ehemannes - Lemberg, nun Lwow - gehörte nun zu Polen. Die Eltern und die Kinder hatten im Jahr 1933 die Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erfüllt, doch machten sie auf Anraten der Stuttgarter Polizeibehörde keinen Gebrauch davon.
Ende der 20er Jahre zogen sie für wenige Jahre in den Nelkenweg 6 und dann 1932 in den Stuttgarter Westen, in die Augustenstraße 65, in das Obergeschoß.
Der Sohn Erwin wanderte 1938 nach Palästina aus, die Tochter Gertrud heiratete 1936 in Stuttgart Max Arm. Auch sie ging mit dem Ehemann nach Palästina.
Im Oktober 1938 wurde Sandor Alter bei der Synagoge in der Hospitalstraße von der Gestapo verhaftet und als polnischer Staatsangehöriger nach Polen abgeschoben. Mali blieb in Stuttgart zurück.
Am 28.10.1938 gab es mehr als 17 000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit, die eine polizeiliche Ausweisverfügung aus Deutschland erhielten. Am 6. Oktober 1938 erließ die polnische Regierung eine Verordnung nach der alle Pässe der im Ausland lebenden polnischen Staatsangehörigen mit Wirkung vom 29. Oktober 1938 ihre Gültigkeit verloren, wenn sie nicht einen Prüfungsvermerk enthielten. (Zelzer S. 192) Es bestand nun die Befürchtung seitens Deutschlands, dass alle polnischen Juden in Deutschland geduldet werden müßten. Daher wurde mit Wirkung vom 29. Oktober 1938 für alle Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit ein Aufenthaltsverbot für das Reichsgebiet erlassen. Dies war der Grund, weshalb Sandor Alter Hals über Kopf abgeschoben wurde.
Zunächst ging Sandor in seine Geburtsstadt Lemberg. Anfang 1939 hatte er die Möglichkeit, nach Stuttgart zurückzukommen, um seine schwer herzkranke Frau zu holen und seine Angelegenheiten zu klären. Inzwischen war Sandor staatenlos geworden.
Mali Alter mußte die 4-Zimmerwohnung in der Augustenstraße 65 bis zum 1. Februar 1939 geräumt haben. Zu diesem Zeitpunkt war die Wohnung anderweitig vermietet. Ihre neue Bleibe war in der Hauptstätterstraße 46 im 1. Stock. Für kurze Zeit wohnten nun beide dort.
Eigentlich war vorgesehen, daß das Ehepaar auch nach Palästina ausreist. Sohn Erwin versuchte von Palästina aus, dies zu arrangieren. Eine Einreiseerlaubnis nach Palästina konnte jedoch nicht erreicht werden. Beide mußten nach Polen zurückkehren. Zunächst gingen sie nach Lemberg, wo sie mittellos ankamen.
1940 wurden Mali und Sandor Alter aus Lemberg, das inzwischen zur Sowjetunion gehörte, von den Russen weiter nach Sibirien verschleppt. Aus Sibirien erreichten den Sohn noch Karten und Briefe, die als Abschriften in den Entschädigungsakten im Staatsarchiv Ludwigsburg aufbewahrt werden.
Darin heißt es (Schreibweise ohne Sinnveränderung aktualisiert):
"Liebe Kinder.
Wie Ihr seht sind wir nach sechswöchiger Reise bei Tag und Nacht hier gelandet und seit drei Wochen hier. Wir wohnen im Lager im Wald. Wie Du Deine Mutter kennst mit Herzleiden, mir tut die Luft nicht gut. Wir husten beide und haben oft Fieber. (...) Papas Arbeit ist leichtes Holzsägen u.s.w., ich arbeite nichts. Mittags wird hier leichtes Essen gekocht. (...). Wenn wir das Klima einmal wechseln sollen werde ich vielleicht Stryj oder Euch Kinder sehen.
Küsse Euch
Mutter"
"Sibirien 20/8.
Mein lieber Erwin.
Wie Du siehst hat unser trauriges Schicksal uns auf die alten Tagen nach hierher gebracht, wir sind alle Flüchtlinge und Emigranten nach hier gebracht worden, wir sind beide ohne Mittel und warten entweder auf Deine Hilfe oder wie das Schicksal uns treiben wird. Wir sind beide ganz verzweifelt. Wenn es noch lange dauern wird können wir es nicht mehr lange ertragen. Wir sind beide schwach und unterernährt. Wenn Du uns noch sehen wirst, wäre das ein Wunder Gottes (machte nun am schnellsten).
Grüße und Küsse Dich auch Trude Mac, Ruth
Papa Sandor.
Ich bin zu schwach um mehr zu schreiben. Du würdest mich nicht mehr erkennen. Ich und Mama sind ganz mager, also unterernährt.
Papa Sandor"
Weder Sohn Erwin noch sonst jemand erhielt ein weiteres Lebenszeichen. Über das weitere Schicksal von Mali und Sandor Alter ist nichts bekannt. Es muß angenommen werden, daß beide im Jahr 1940 in Sibirien verhungert sind.
Lemberg selbst wurde beim deutschen Angriff auf Russland sofort besetzt. Praktisch alle dort noch lebenden Juden wurden in Konzentrationslagern ermordet.
Recherche und Text: Margot Weiß
Stolpersteininitiative Stuttgart - West
Frühjahr 2009
Quellen:
Staatsarchiv Ludwigsburg, Entschädigungsakten
Stadtarchiv Stuttgart
Maria Zelzer: "Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden", 1964
ZEITGENOSSE DEMNIG
Für die SWR-2-Reihe "Zeitgenossen" hat Andreas Langen mit Gunter Demnig, Erfinder der Stolpersteine, gesprochen...
Podcast "gedenkworte" Akademie für gesprochenes Wort - Uta-Kutter- Stiftung und Initiative Stolpersteine Stuttgart-Ost
Das Sprecherensemble der Akademie für gesprochenes Wort spricht die Geschichte der Personen hinter den Stoplersteinen. Ein gemeinsames Projekt der Akademie für gesprochenes Wort und der Initiative Stolpersteine Stuttgart-Ost
STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
Künstler*innen bleiben gerade auch in diesen Zeiten präsent und begegnen einem konkreten Stuttgarter Stolperstein oder einem anderen Ort, der in Stuttgart an die Verfolgungen in der NS-Zeit erinnert
http://www.stolperkunst.de/stolperblick-stolperkunst-in-coronazeiten/
Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
...ein Projekt der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen gegen Geschichtsvergessenheit!
Warum Stolpersteine?
Für Hannelore Levi und ihre Eltern Berta und Ernst, letztere 1942 in Riga ermordet, wurden im Herbst 2017 Stolpersteine in Stuttgart verlegt. Pip McCosh (*1965, Neuseeland), Tochter von Hannelore Levi (*1928, Stuttgart, gest. 2012, Neuseeland) schrieb am 22. Januar 2018 eine e-mail, die anschaulich zeigt, dass Stolpersteine ihre Schleifen bis ins Hier und Jetzt ziehen...
Übersichtskarte der Stolpersteine
in der Reihe TÜBINGER JUDAISTISCHE STUDIEN erschienen:
Briefe zur JÜDISCHEN EHEVERMITTLUNG 1911-1921
Publikationen aus dem Stuttgarter Norden
Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
Herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter
Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
Postkarten aus Theresienstadt von Gertrud Nast-Kolb an ihre Tochter Ilse in Stuttgart (1944-1945)
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Verlegt
Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
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Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
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Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
Letzter frei gewählter Wohnort:
Hohentwielstrasse 146 B, Stuttgart Süd
Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
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