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Heinrich Ott, Wagenburgstr. 142

Stolperstein verlegt am 04.11.2019 für Heinrich Ott.

Heinrich Ott wurde am 17. September 1888 in Mohrenhausen, Kreis Babenhausen (Unterallgäu) geboren. Er war verheiratet; die Familie hatte ein Kind. Er arbeitete beim Daimler.

Er muss ein politisch wacher Mensch gewesen sein, der sich schon lange vor 1933 in der Arbeiterbewegung engagierte. Die Arbeiterbewegung war damals in ihrer Analyse schärfer und in ihren Forderungen weniger zurückhaltend als heute. Hätte sie mit jeder Wirtschaftskrise weiteren Zulauf erhalten, hätte sie eines Tages womöglich den Fortbestand der Wirtschaftsordnung in Frage gestellt.

Auch die Nazis wollten sich als Arbeiterbewegung darstellen. Nicht umsonst führte die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei die Begriffe „Sozialismus“ und „Arbeiter“ in ihrem Namen, und die Parteimitglieder sprachen sich mit “Genosse” an. In Wahrheit bot die NSdAP jedoch ein Gegenkonzept, in dem die Arbeiter nicht selbstbewusst ihre Interessen durchsetzen, sondern als „Gefolgschaften“ den Zielen von Unternehmen und Partei dienen sollten. Das kam bei vielen Wirtschaftsführern gut an und ebnete der Partei den Weg an die staatliche Macht.

Im Juli 1933 verboten die Nazis die bestehenden Arbeiterorganisationen und steckten ihre Anführer in Konzentrationslager, um deren befürchteten Widerstand zu brechen.

Wie Zeugen im Wiedergutmachungsverfahren nach 1945 aussagten, hatte sich Heinrich Ott vor 1933 in der SPD und in der KPD als aktiver Antifaschist betätigt. Nach dem Verbot dieser Parteien unterstützte er die Familien bereits inhaftierter Kollegen.
Doch auch er stand auf den Listen der politischen Polizei und wurde 1933 zusammen mit zeitweise 3.400 anderen Nazigegnern in das „Schutzhaftlager” Heuberg bei Stetten am kalten Markt gesperrt. Ihm wurde vorgeworfen, Flugblätter gegen die NSdAP verteilt zu haben. Eigentlich war für die „Schutzhaft“ der Nazis gar kein konkreter Tatvorwurf erforderlich. Nach dem “Schutzhaftgesetz” konnte die Polizei unliebsame Personen zeitlich unbegrenzt inhaftieren, ohne in einem Gerichtsverfahren einen Tatvorwurf vorbringen und beweisen zu müssen. (*)

Ende 1933 wurde das Lager Heuberg aufgelöst und die Gefangenen in das Lager Oberer Kuhberg in Ulm gebracht.

Nach seiner Entlassung arbeitete Heinrich Ott noch viele Jahre bei der Firma Daimler in Untertürkheim. Wie Zeugen nach dem Krieg berichteten, nahm er das Risiko auf sich, die Verbindung zu Resten des Widerstands im Untergrund wieder aufzunehmen. Seine Aufgabe sei das Abhören ausländischer Radiosender und die Weiterleitung von Kriegsnachrichten gewesen.

Anfang 1942 wurde er von Betriebsangehörigen bei der Gestapo angezeigt. Er habe gesagt, nach Stalingrad sei der Krieg verloren und jeder Arbeiter solle mithelfen, den Krieg zu verkürzen. Zunächst konnte die Anzeige zurückgestellt werden. Doch als nach einem halben Jahr ein neuer Gestapo-Sachbearbeiter den Vorgang wieder aufgriff, musste Heinrich Ott am 25. Juni 1942 morgens um 8 Uhr zur Vernehmung erscheinen.

Um 12 Uhr teilte die Polizei seiner Frau mit, ihr Mann sei an einem Herzschlag verstorben. Frau Ott berichtete später, das Gesicht des Toten sei hochrot und seine Lippen blau gewesen. Nach Auskunft des Stuttgarter Mediziners Dr. Karl-Horst Marquardt deuten diese Anzeichen nicht auf einen Herzschlag, sondern eher auf Erhängen oder Erdrosseln.

Was sich bei der Vernehmung ereignete, liegt heute noch im Dunkeln. Vielleicht versuchte die Gestapo, durch die Erzeugung von Erstickungsangst die Preisgabe weiterer Namen zu erreichen, und ging dabei einen kleinen Schritt zu weit.

Der Stolperstein für Heinrich Ott wurde am 4. November 2019 verlegt.
Für die Übernahme der Kosten danken wir der IG Metall Stuttgart.
Die Inschrift lautet:
    HIER WOHNTE
    HEINRICH OTT
    JG. 1888
    IM WIDERSTAND
    ‘SCHUTZHAFT’ 1933
    HEUBERG
    VERHAFTET 25.06.1942
    VERHÖRT DURCH GESTAPO
    TOT 25.06.1942
    TODESURSACHE NIE GEKLÄRT


(*) Eine für den Rechtsstaat ähnlich problematische Konstruktion ist die 2017 vom bayerischen Landtag eingeführte vorbeugende Inhaftierung von „Gefährdern“. Wer „Gefährder“ ist, definiert die Polizei nach einem Katalog, der keineswegs nur Terrorisnus, sondern weite Bereiche des Alltags-Strafrechts abdeckt. Im Unterschied zum Schutzhaftgesetz des dritten Reichs muss ein Richter die Inhaftierung alle 3 Monate mit seiner Unterschrift verlängern. Eine gerichtliche Überprüfung der Gefährdungseinschätzung ist jedoch auch in Bayern nicht vorgesehen.
Glücklicherweise ist die bayrische Polizei derzeit nicht mit der Gestapo vergleichbar. Doch unsere Wachsamkeit muss der Einführung von Strukturen gelten, die von künftigen Machthabern missbraucht werden können – und sich dann nicht mehr abschaffen lassen.
Die Innenministerien anderer Bundesländer, darunter Baden-Württemberg, arbeiten an ähnlichen Polizeigesetzen.

Recherche und Text: Stolperstein-Initiative Stuttgart-Ost